VP 2015 05 - page 29

REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MAI/JUNI 2015
29
Ausstellung
Am 22. Mai eröffnet das
Volkskundemuseum in Dieten-
heim die Sonderausstellung
„Höfe ohne Männer. Frauen-
alltag im Ersten Weltkrieg“.
Die Ausstellung geht der Frage
nach, wie Frauen im ländlichen
Tirol die Zeit des Ersten Welt-
krieges erlebten. Anhand von
Fotografien, Briefen, Aufzeich-
nungen, persönlichen Erinne-
rungsstücken, Interviews und
anderem mehr.
Öffnungszeiten:
Dienstag
bis Samstag von 10 bis 17 Uhr
(Juli und August bis 18 Uhr);
Sonn- und Feiertage von 14
bis 18 Uhr; im August auch
montags geöffnet.
Christiane Rieder
(sitzend) mit Sohn
Alois, daneben
stehend
Schwester mit
Tochter (l).
Foto: Privatarchiv
Rudolf Fischer,
Pfalzen
Über ihre Verur-
teilung wurde im
„Pustertaler
Bote“ geschrieben
(oben r.).
63456
S. Schösswender Werke
Erlbrücke 24 | A-9912 Anras
Tel. +43 (0)4846/6290
kamen 1915 aus den großen La-
gern der Monarchie und sollten
bei Straßen-, Eisenbahn- und
Wasserbauarbeiten eingesetzt
werden. Auch in der Landwirt-
schaft wurden sie unentbehrlich.
So arbeiteten sie dann teilweise
Seite an Seite mit der Zivilbe-
völkerung, die in diesem Krieg
erstmals in großem Stil mit
Menschen anderer Staatsange-
hörigkeit konfrontiert wurden.
Man las etwa in den Lienzer
Nachrichten, dass „die erste ver-
zeihliche Neugier, Russen an-
zuschauen, verschwunden sei,
seit dieselben bei uns und unter
uns tagtäglich zu sehen seien.“
Skepsis verschwand
Auch wenn die Tiroler
Bevölkerung Anfang 1915 noch
vom Einsatz Kriegsgefangener
überzeugt werden musste, ver-
schwand diese Skepsis ange-
sichts der Notlage relativ rasch.
1916 liest man etwa in den
„Lienzer Nachrichten“, dass die
Felder des Lienzer Bodens rest-
los bebaut seien, und dass sich
die gefangenen Russen hervor-
ragend auf die Feldarbeit ver-
stünden, wenngleich die Haupt-
arbeit noch immer von Frauen,
Kindern und Alten getragen
würde: „Was die Kinder leisten
und leisten müssen, das kann
man fast nur mehr mit Sorge für
ihr körperliches Wohl besehen.
Es geht vielfach schon über die
Alterskräfte. Ähnliches muss
man vom bäuerlichen Frauen-
volk sagen,“ stand geschrieben.
Russen waren meist
„zu fesch“
Obwohl man die Russen als
Arbeitskräfte schätzte, waren
sie weniger gerne als Männer an
sich gesehen. So las man in den
„Innsbrucker Nachrichten“, dass
sich die bei den Bauern ange-
stellten Russen zwar als brave,
arbeitsame Leute erwiesen:
„Wenn da nur die dummen
‚Evastöchter‘ nicht wären, die
den Gemeinden und vereinzelt in
den Tageszeitungen publiziert.
Christiane Rieder
So las man etwa auch von
den Taten der Christiane Rieder
aus St. Peter in Ahrn bzw. von
ihrem Verhältnis zu einem rus-
sischen Kriegsgefangenen in
der Zeitung. „Sie war meine
Großmutter, die später meinen
Großvater geheiratet hatte“, er-
zählt ihr Enkel Rudolf Fischer
aus Pfalzen. „Sie kam als junge
Dienstmagd zu einem Bauern in
St. Peter, dem während des Ers-
Nach St. Peter
Alois kam später zu Bauer Eller
in St. Peter. Er wurde Knecht,
optierte 1939 für das Auswandern
in das Deutsche Reich, wurde
zur Wehrmacht eingezogen und
fiel an der Eismeerfront, „gegen
die Armee seines Vaters“, so der
Enkel. „Meine Großmutter hat
oft davon erzählt, dass dieser
Kriegsgefangene ihre große Liebe
gewesen sei, auch wenn sie später
meinen Großvater geheiratet
hatte. Wie der Kriegsgefangene
geheißen hat, wissen wir nicht.“
Martina Holzer
ihretwegen ganz aus dem
‚Häusl‘ kämen.“ In der katho-
lisch geprägten Gesellschaft, in
der vor- und außerehelicher
Geschlechtsverkehr vor allem
für Frauen ohnehin moralisch
geächtet wurde, wurde ein solch
„unpatriotisches“ Verhalten erst
recht nicht toleriert. Abgesehen
von der drohenden Strafverfol-
gung wurden die betroffenen
Frauen öffentlich an den Pranger
gestellt, ihr Name, ihr Geburts-
datum, teils sogar ihr Wohnort in
ten Weltkrieges ein russischer
Kriegsgefangener zugeteilt war.
Die beiden verliebten sich, und
aus der Beziehung ging ein
Kind hervor. Meine Großmutter
taufte den Bub auf Alois. Im
Taufbuch gab sie den Namen
des Vaters nicht an. Sie brachte
Alois in ihrem Heimathaus zur
Welt. Höchstwahrscheinlich
zog ihn ihre Mutter auf.“
gen – die Russen kamen
„Ulten … Es war eine Schande wie manche Mädchen
sich mit unseren Feinden betragen haben. Man hätte
nie geglaubt, dass es bei uns solche Mädchen geben
könnte.“
K
a
I contat
e dal pu
w
K
a
I co tatti con i prigionieri di guerr
e dal pubblico per bollare queste
„Dumme Gänse. … Wegen verbotenen Verkehrs mit
Kriegsgefangenen [wurde] … je eine Arreststrafe von
8 Tagen verhängt.“
“ l h
d ll l
d l d
K
a
I contatti con i prigionieri di guerra venivano utilizzati dalla stampa
e dal pubblico per bollare queste donne come “indegne”.
„Ein schlechtes Weib. … wegen unsittlichen
Verkehrs mit Kriegsgefangenen zu 100
Kronen Strafe verurteilt.“
Haufenweise solcher Meldungen las man in den verschiedensten
Zeitungen über Frauen, die sich in die teils sehr feschen Kriegs-
gefangenen verschaut hatten.
1...,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28 30,31,32,33,34,35,36,37,38,39,...48
Powered by FlippingBook