VP 2015 05 - page 28

REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MAI/JUNI 2015
28
„Höfe ohne Männer:
Frauenalltag im Ersten
Weltkrieg“ – so heißt
eine Ausstellung im
Südtiroler Volkskunde-
museum in Dietenheim
(Bruneck). Sie läuft von
23. Mai bis 31. Oktober
und zeigt auf, was es für
Frauen auf den Höfen
bedeutete, mit Hilfe der
Kinder, Halbwüchsigen,
älteren Menschen und
den russischen Kriegs-
gefangenen den Alltag
zu meistern.
Auf dem Land war die Ernte
gerade in vollem Gange, als am
31. Juli 1914 das Sturmläuten
der Kirchenglocken die Men-
schen jäh aus dem arbeitsrei-
chen Alltag riss: Kaiser Franz
Josef hatte die allgemeine
Mobilisierung befohlen. Binnen
Zu den häufigsten Fotomotiven aus der Zeit des Ersten Weltkrieges gehören die Erinnerungsfotos, die
Angehörige und Soldaten vor dem Einrücken bzw. auf Urlaub abbilden.
Foto: Südtiroler Volkskundemuseum
Der Alltag der Frauen während des Krieges und der eklatante
Mangel an Arbeitskräften sind fotografisch sehr schlecht doku-
mentiert. Es gibt nur wenige Fotografien, die Frauen bei der Ar-
beit zeigen. Bilder für die Propaganda wurden gestellt. Bei Auf-
nahmen für den privaten Bereich zog man das Sonntagsgewand
an, so wie hier vier Frauen in Steinhaus um das Jahr 1917.
Foto: Hans Rieder
Pfennige oder Heiligenbildchen, die der Soldat bei sich trug, soll-
ten den Beistand Gottes sichern. Den Eingerückten unter himm-
lischem Schutz zu wissen, konnte auch die Angehörigen in ihrer
Sorge um dessen Wohlergehen trösten. Kapsel mit Marienmedaillen
mit dem Gnadenbild von Maria Trens, von einem Standschützen aus
Trens zwischen 1915 und 1918 an der Front getragen. Privatbesitz.
Fotograf: H. M. Gasser © Südtiroler Volkskundemusuem
Bildbeschreibung: Die
Sammelaktion „Gold gab ich
für Eisen“ diente der Kriegsfi-
nanzierung. Die Trägerin die-
ses Ringes mit der Inschrift
„Gold gab ich für Eisen“
stammt aus Sterzing. Sie
tauschte ihn gegen ihren Ehe-
ring aus Gold. Privatbesitz.
Foto: Südtiroler Volkskunde-
museum
kurzer Zeit mussten alle wehr-
fähigen Männer zwischen dem
19. und 42. Lebensjahr ein-
rücken. Bis Jahresende stellte
Tirol bereits 85.000 Soldaten.
Zurück blieben die Frauen mit
der zusätzlichen Arbeit, mit den
Sorgen über den Erhalt von Hof
und Familie und der Angst um
die Angehörigen im Feld.
Viertes Aufgebot
Als Italien am 23. Mai 1915
Österreich-Ungarn den Krieg
erklärte, standen kaum noch
reguläre Truppen in Tirol. Als
letzte Reserve mobilisierte Kai-
ser Franz Josef im Mai 1915
das vierte Aufgebot, die Stand-
schützen, und entzog der Land-
wirtschaft weitere Arbeitskräfte.
„Alle Männer, kann man sagen,
mussten fort, die Weiberleut
und Kinder mit ‚die Hände‘ voll
Arbeit zurücklassend.“ So be-
schreibt eine Bäuerin aus Schli-
nig im Vinschgau am 14. Juli
1915 in der Zeitung, „Tiroler
Volksbote“ die Situation auf
dem Land. Die Propaganda
zeichnete hingegen ein ganz an-
deres Bild: Zeitungen schrieben
über die „Heldinnen im Hinter-
land“, die an der „Heimatfront“
ihren Beitrag leisteten.
Die Russen kamen
Auf der anderen Seite trafen
viele russische Kriegsgefangene
zu Tausenden in Tirol ein. Sie
Die eigenen Männer gin
1...,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27 29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,...48
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