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Seite 28

‘s Blatt‘l

Dezember 2015

Als der Nationalrat am 21. Oktober

2009 das Aufhebungs- und Rehabi-

litierungsgesetz beschloss und damit

erstmals in der Zweiten Republik den

Wehrmachtsdeserteuren explizit An-

erkennung für ihr Handeln aussprach,

war dieses Umdenken ganz

wesent-

lich David Holzer zu verdanken.

Er

hatte während der politischen Aus-

einandersetzung um die Rehabilitie-

rung der Wehrmachtsdeserteure in

den Jahren zwischen 2002 und 2009

wiederholt und auf beeindruckende

Weise öffentlich über seine Entschei-

dung zur

Desertion

, über das

Leben

im Untergrund

, seine

Verfolgung

durch die Wehrmachtsjustiz

, die

Haft im Strafgefangenenlager

Börgermoor

, den

Tod seines Bru-

ders Alois im Bewährungsbatail-

lon 500

und die

Hinrichtung seines

Freundes Franz Stolzlechner

am

Wiener Militärschießplatz Kagran

Zeugnis abgelegt

. Beide hatten mit

ihm im Frühsommer 1943 der Wehr-

macht und deren verbrecherischen

Kriegsführung den Rücken gekehrt.

David Holzer wurde im Alter von 19

Jahren in die Wehrmacht eingezo-

gen. Geprägt von den christlichen

Werten seines Elternhauses und mo-

tiviert von einer gründlichen Ableh-

nung der NS-Ideologie ließ er bei der

Vereidigung auf Adolf Hitler in Kla-

genfurt seine Hand hängen, als alle

anderen sie erhoben.

Als Soldat des Gebirgsjägerregi-

mentes 139 erlebte er in Finnland

eine Massenerschießung von 60

sowjetischen Kriegsgefangenen mit.

Das Morden schockierte David Hol-

zer zutiefst. Er sagte dazu in einem

Interview im Jahr 2002:

„Man hat

einen gewissen Widerstand ent-

wickelt. Man hat beim Militär al-

lerhand gesehen, was einem nicht

gepasst hat. Die rabiate Weise

mit den Gefangenen und die Un-

menschlichkeit im Gesamten.

Dann ist man auf den Gedanken

gekommen, da machen wir nicht

mehr mit.“

Auf einem Heimaturlaub in Schlaiten

entschlossen sich David und Alois

Holzer mit Franz Stolzlechner nicht

mehr einzurücken. Stattdessen bau-

ten sie sich in einem unzugänglichen

Graben in ihrer Heimatgemeinde ein

Versteck. Mit Hilfe einiger Einheimi-

scher und ihrer Familien blieben sie

bis Jänner 1944 unentdeckt.

Bei einer Besichtigung der Reste

des Erdbunkers sagte David Hol-

zer sechs Jahrzehnte später:

„Hier

habe ich Freiheit verspürt.“

Im Jänner 1944 wurde Franz Stolzle-

chner von einem Gendarmen gestellt

und angeschossen. Unter dem Druck

der Gestapo auf ihre Familie stellten

sich David und Alois Holzer. David

nahm die „Schuld“ an der Desertion

auf sich und wurde zum Tode verur-

teilt, später zu 14 Jahren Haft begna-

digt und mit seinem Bruder Alois in

das Strafgefangenenlager Börger-

moor deportiert.

Auf dem Transport wurde David in

Wien Zeuge der Deportation von Ju-

den:

„Da haben sie die Juden so

miserabel behandelt, das war so

scheußlich, das hat man nicht aus-

gehalten.“

In Gesprächen versagte

David an solchen Stellen die Stimme.

Was er gesehen hatte, erschien ihm

unfassbar. Ohne je Literatur über die

Shoah und die Konzentrationslager

gelesen zu haben, fand er in der Be-

schreibung der völligen Entmensch-

lichung ähnliche Worte wie der itali-

enische Auschwitz-Überlebende Pri-

mo Levi:

„Im Verhältnis zum Lager

ist man im Bewährungsbataillon

noch ein Mensch gewesen. Man

war zwar in einem Himmelfahrts-

kommando, aber Mensch warst

du noch. Im Lager warst Du kein

Mensch.“

David und Alois Holzer überlebten

Börgermoor. Im November 1944 wur-

den sie in das Wehrmachtsgefängnis

Torgau-Fort Zinna überstellt und dem

Bewährungsbataillon 500 zugeteilt

– als „Kanonenfutter“ für die Rück-

zugsgefechte gegen die Rote Armee.

Eindrücklich schilderte David Holzer

die Exekutionen von Wehrmachtsde-

serteuren, denen er vor dem Abrü-

cken an die Front zur Abschreckung

beiwohnen musste.

Sein Bruder Alois fiel; er überlebte

verwundet und wurde von der Roten

Armee aufgelesen. Mit Soldaten der

Roten Armee erlebte David die Freu-

de über das Kriegsende. Seine Au-

gen funkelten, als er den Jubel der

Chronik

David Holzer - ein Zeitzeuge lebt nicht mehr

Anlässlich des Todes von David Holzer formulierten Dr. Peter Pirker und Hannes Metzler, Proponenten des

Personenkommitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“, einen ergeifenden Nachruf für den

Wehrmachtsdeserteur, der gemeinsam mit seinem Bruder Alois und seinem Freund Franz Stolzlechner sein

„Leben eingesetzt hat, um ein Stück weit dem Anspruch einer demokratischen Republik und einer humanen

Gesellschaft gerecht zu werden“. Sein Tod sollte Anlass sein, den Begriff „Fahnenflucht“ unter dem ent-

menschlichten NS-Vernichtungsregime ins rechte Licht zu rücken. Daher sehen wir es als moralische Ver-

pflichtung, diesen Nachruf hier wiederzugeben.

David Holzer

bei einem seiner vielen Kirchgänge

in Schlaiten mit dem Pfarrgemeinde-

ratsobmann Leopold Gantschnig auf

einer Aufnahme vom Juni 2012