Seite 24
‘s Blatt‘l
Dezember 2015
Sonstiges
Sagen über Schlaiten
Wie Schlaiten zu seinem
Kirchenpatron kam
Knappenvolk war zu allen Zeiten
ausgelassen und übermütig, führte
ein ausschweifendes Leben und ließ
sich nicht leicht zur Umkehr bewegen.
Es hat wohl so sein müssen, denn
Tag und Nacht wühlten die Bergleute
wie Maulwürfe in den unterirdischen
Schächten, um Gold oder anderes
Edelmetall zutage zu fördern, außer-
dem hatten sie ständig den Tod vor
Augen. Was Wunder, wenn sie nach
dem Schichtwechsel das Leben unter
freiem Himmel in vollen Zügen genos-
sen. So ging es auch in der „Silberze-
che“ am Rötlstein
1)
bei Schlaiten zu,
wo eine ergiebige Mine Hunderte von
Bergleuten beschäftigte.
Den dort ansässigen Bauern aber
mißfiel das gotteslästerliche Treiben
der Knappen und sie beriefen einen
frommen Pater aus Lienz, der diese
zurechtweisen und durch das Wort
der Heiligen Schrift auf den richtigen
Weg zur ewigen Seligkeit führen
sollte. Was aber taten die Knappen?
Sie verhöhnten den armen Priester,
wollten ihn verjagen und als die-
ser nicht abließ, die Höllenqualen
zu schildern, die ihrer warteten, er-
schlugen sie ihn. Senkrecht fuhr der
Pater hinauf in den Himmel und lan-
dete vor Gottes Thron, wo er seinen
unfreiwilligen Märtyrertod meldete
und schwere Klage gegen das un-
züchtige Knappenvolk von Schlaiten
führte. Gerechter Zorn flammte aus
den sonst so gütig blickenden Au-
gen Gottes. Er schickte einen seiner
Engel, den heiligen Paulus zu holen,
der sich meditierend im Paradiesgar-
ten erging. „Paulus“, sagte Gottvater
zum Eintretenden, „mache dich be-
reit für eine Reise nach Schlaiten, be-
kehre die liederlichen Bergleute und
verheiße ihnen meine verzeihende
Liebe und Güte. Aber zieh dich warm
an, denn wenn der Tauernwind pfeift,
ist es bitter kalt, da kann man nicht in
Hemdsärmeln herumspazieren wie
bei uns im Himmel. Nimm dir auch
etwas zum Essen mit, die dortigen
Menschen sind von roher Gemütsart
und werden dir nichts geben als eine
Tracht Prügel. Schau nur, vor einer
halben Stunde erschlugen sie den
frommen Mann, der nun hier vor uns
steht. Auch besorge dir ein Pferd,
denn ein Berittener wird ihnen mehr
imponieren als ein Barfüßiger. Geh
und mache deine Sache gut!“ „Die
Geschichte sieht ja schlimm genug
aus“, antwortete Paulus, „gerne gehe
ich nicht zur Silberzeche, aber was
soll mir schon geschehen? Sterben
kann man nur einmal und das habe
ich bereits hinter mir. Du entsinnst
dich doch, Vater, wie mir die bösen
Römer mit einem Schwertschlag
mein kluges Haupt vom Rumpfe
trennten? Gib mir deinen Segen und
ich will nach Schlaiten ziehen, ob-
wohl ich schon lange nicht mehr mis-
sioniert habe“.
Paulus befolgte die Ratschläge
Gottes, stieg auf der Himmelslei-
ter zur Erde nieder, erbat in Schloß
Bruck ein gesatteltes Pferd und ritt
ins Iseltal. Immer steiniger und stei-
ler wurde der Weg, Paulus erbarmte
sich des edlen Tieres, stieg ab und
führte es am Halfter, bis er in die
Nähe des berüchtigten Knappenla-
gers kam. Dort bestieg er den Falben
wieder und ritt stolz unter die ver-
wundert gaffende Menge. Von allen
Seiten eilten Männer, Frauen und
Kinder herbei, um den edlen Reiter
anzustaunen und seinen Worten zu
lauschen. Wie Milch und Honig flos-
sen sie Paulus von den Lippen (trotz
vermeintlicher Kopflosigkeit). Nicht
von der Hölle sprach er zum Volke,
sondern vom Paradies, von der un-
endlichen Güte des Allmächtigen,
vom Liebestod Christi, der allen
Menschen, die guten Willens sind,
zum Gnadenquell wurde. Der Heili-
ge weilte einige Zeit unter den Berg-
leuten der Silberzeche und ritt erst
wieder, von dannen, nachdem er sie
dazu überredet hatte, das Land urbar
zu machen, sich hier anzusiedeln,
Familien zu gründen und Gott in Ehr-
furcht zu dienen.
Als Dank für die guten Ratschlä-
ge ließen ihm die Knappen eine
Kirche erbauen, wählten den Rede-
gewandten zu ihrem Schutzpatron,
der er bis heute geblieben war.
2)
Um nicht schnell wieder vergessen
zu werden, verewigte sich Paulus in
zwei „Trittsteinen“,
3)
auf denen der
Abdruck je eines Pferdehufes und
eines Männerfußes heute noch zu
sehen sein soll.
aus: Maria Kollreider-
Hofbauer, Die schönsten Sagen Osttirols
1. Max v. Jesser schreibt in seiner Abhandlung „Silberzeche bei Schlaiten“: „Das Bergwerk am Rötlstein bei Schlaiten wurde um das Jahr 1550
eröffnet und stand lange Zeit wegen reichen Ertrages in hoher Blüte. Dieser Bergbau, welcher die Silberzeche hieß, erhielt sich bis gegen 1620
in Betrieb. Die Erze wurden in der Lienzer Schmelze auf Kupfer und Silber verarbeitet“. Weiter berichtet Jesser an dieser Stelle auch die Ent-
stehungssage des Bergwerkes, die ich hier kurz wiedergeben will: Ein Wanderer belauschte einst eine Schar von Bergmännlein und Gnomen,
die, mit schweren Säcken beladen, vom Rötlstein niederstiegen und stadtwärts zogen. Aus dem Selbstgespräch eines Zwergleins entnahm
der Mann nicht nur, dass hier erzhaltiges Gestein abtransportiert wurde, sondern erfuhr auch die Fundstätte. Er berichtete dies in Lienz und es
fanden sich Leute, die den Bergbau in Schwung brachten. Sein Ende soll er dem schamlosen Treiben der Knappen zu verdanken haben, das
Gott damit bestrafte, indem er Kupfer und Silber in gewöhnlichen Arsenkies verwandelte-. (OHB1. 1. Jhg., Heft 8.)
2. Die Pfarrkirche von Schlaiten ist dem hl. Paulus geweiht.
3. Die Spurenrichtung auf dem Stein zwischen dem „Törlmarterle“ und dem oberen „Schüttenbrüggele“ soll in Richtung Rötlstein gezeigt haben,
während die beim ,,Lindmarterle“ talauswärts wies.
Auf dem Weg zum Teufelstein befindet
sich das Törlmarterle
Der „Teufelstein“ in der Aue mit selt-
samen Fußspuren