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Dezember 2015

‘s Blatt‘l

Seite 23

Sonstiges

Sagen über Schlaiten

Das Goldbrünndl

Alle Jahre wieder kam zur Hohen

Pfingstzeit ein alter, schäbig geklei-

deter Mann mit zerzaustem Bart zum

Gridling in Schlaiten

1)

, wo er für ein bis

zwei Tage Quartier bezog. Man freute

sich auf ihn, behandelte ihn stets

freundlich und bewirtete ihn gut. Der

Alte zahlte mit barer Münze, worüber

sich die Gridlingleute sehr wunderten.

Doch war es so unterhaltsam, ihm zu-

zuhören und mit ihm zu plaudern, da

er überall Bescheid wusste, auch viel

von den Schönheiten fremder Städte

und Länder zu erzählen wusste. Groß

war auch der Spaß, wenn er seinen

Quartiergebern allerhand Kunst- und

Zauberstücklein vorführte. Nur in

einem Punkte herrschte über den Al-

ten Ungewissheit bei den Bauersleu-

ten: Er verschwand regelmäßig in der

letzten Nacht ungesehen und spurlos.

Der Gridling beschloss nun, seinem

,,Pfingstlöttale“ aufzulauern, was ihm

jedoch jahrelang missglückte. Als der

Alte wieder einmal Gast im Gridling-

hofe war, ließ es dem Bauern keine

Ruhe mehr.

Abends suchte er wie gewöhnlich

seine Schlafkammer auf, blieb jedoch

wach, sah, wie der Mann um Mitter-

nacht geräuschlos das Haus verließ

und in Richtung Göriacherwald

2)

ver-

schwand. Behutsam folgte Gridling

seiner Spur, glaubte sich ungesehen

und tappte seinem Vorgänger Schritt

für Schritt durch das urwaldähnliche

Gestrüpp nach. Endlich machte die-

ser an einer Stelle halt, räumte Ast-

werk und Moos beiseite, hob eine

schwere Steinplatte auf und schöpfte

etwas aus der Tiefe, mit dem er sei-

nen Rucksack füllte. Nachdem er den

Ort wieder unkenntlich gemacht hatte,

ging er auf einem anderen Pfad tal-

wärts. Dem Gridling klopfte zwar das

Herz zum Zerspringen, er war aber

doch zu neugierig, um unverrichteter

Dinge heimzukehren. Auch er hob die

Platte und siehe da - unter derselben

befand sich ein Tröglein, in das eine

Quelle sprudelte und auf dessen Bo-

den es verräterisch glitzerte. Rasch

nahm der Bauer eine Handvoll von

diesem Sand, steckte ihn in seine

Tasche, brachte wieder alles in Ord-

nung, kennzeichnete aber diesen Ort

und kehrte in sein Haus zurück. An-

derntags eilte er nach Lienz, ließ in

der Schmelzhütte den Sand untersu-

chen, wobei sich herausstellte, dass

dieser nahezu pures Gold barg. Ohne

den Seinen etwas zu verraten, war-

tete Gridling das nächste Frühjahr ab

und eilte eines Nachts zum Tröglein,

das nun bis zur Hälfte mit Goldsand

gefüllt war. Diesmal schöpfte er den

Rucksack voll und machte sich auf die

Reise nach Venedig, wo Gold gerne

gekauft und gut bezahlt wurde.

Nach einer langen, beschwerlichen

Wanderschaft mit dem gefüllten Sack

auf dem Rücken, kam Gridling müde

und matt in Venedig an. Die gan-

ze Nacht hindurch umtanzten ihn im

Traum Goldstücke, hinter denen das

lachende Gesicht des betrogenen Al-

ten hervorlugte. Am nächsten Morgen

wollte er sich in der mit herrlichen Palä-

sten geschmückten Lagunenstadt ein

wenig umsehen, bevor er einen Händ-

ler aufsuchte. Plötzlich hörte er wieder-

holt seinen Namen rufen. Verwundert,

wer denn in Venedig wisse, dass er

der „Gridling“ sei, drehte er sich einige

Male um seine eigene Achse; end-

lich verfing sich sein Blick an einem

Fenster des gegenüberliegenden

Palastes, aus dem ihm ein Herr zu-

winkte, hinauf zu kommen. Schüchtern

begann der Bauer, die Marmortreppe

emporzusteigen, auf deren oberster

Stufe ein vornehmer Venezianer stand,

ihm freudig beide Hände zum Gruß

entgegenstreckte und lachend ausrief:

„Ja Gridling, kennst du denn deinen

alljährlichen Pfingstgast nicht mehr?

Ich weiß nämlich, warum du hier bist.

Du hast mein Tröglein ausgeräumt und

willst hier den Sand in bares Geld ein-

handeln. Ich könnte das geraubte Gut

ja an mich nehmen und dir das Genick

brechen lassen, aber ich werde es

nicht tun, da du mich viele Jahre lang

so gut gehalten hast. Bleibe hier als

mein Gast, ich will dir unsere herrliche

Stadt zeigen. Den Sand kaufe ich dir

auch ab!“

„Jo, du weast decht öppa nit unsa

Pfingstlöttale sein?“ zweifelte, zwi-

schen Furcht und Freude schwan-

kend, der Bauer, schüttelte ungläu-

big den Kopf und kratzte sich hinter

dem Ohr. „Freilich bin ich das“, rief

lachend der Venezianer, „Kleider

machen eben Leute, aber an meiner

Stimme hättest du mich schon erken-

nen sollen und wer, außer mir, weiß

in Venedig, dass du der Gridling aus

Schlaiten bist? Damit du mir richtig

glauben kannst, will ich dir jetzt deine

Heimat zeigen. Schau einmal in die-

sen Spiegel!“ Als der Bauer hinein-

sah, erblickte er den Gridlinghof. Sei-

ne Leute waren auf dem Felde bei der

Marende, und der Jungknecht plat-

terte die sich heftig sträubende Dirn.

Da schrie der Gridling hellauf: „Seppl,

weasche de Thresl inkeit lossn! Lau-

sa, du lüedalicha!“ Der Handelsherr

amüsierte sich köstlich und klärte

seinen Gast bezüglich des Zauber-

spiegels, mit dessen Hilfe er auch das

Goldbrünndl im Göriacherwald gefun-

den hatte, auf. „Soll decht frisch gor it

migle sein!“ staunte der Bauer. „Gibt’s

eppa nou mea söllane Wunda in dea

groeßn Stodt?“ „Oh ja, Gridling, unse-

re schöne Stadt ist voll von Wundern;

ich will sie dir zeigen, wenn du hier

bleibst. Auch auf das Meer wollen wir

mitsammen hinausfahren.“ Lange be-

hagte es dem Gridling nicht in Vene-

dig, auch scheute er sich, die nähere

Bekanntschaft mit dem großen Was-

ser zu machen, und so beschloss er

heimzukehren. Der Handelsherr be-

zahlte seinen Goldsand gut, gab ihm

reiche Geschenke und viele Grüße für

alle auf dem Gridlinghofe mit, sorgte

für eine ordentliche Wegzehrung und

wünschte ihm eine gute Reise!

Groß war die Freude, als der be-

reits „Totgeglaubte“ seinen Hof frisch

und fröhlich wieder betrat. „Oh, i bin

woul a froe, aß i wieda da bin. I wea

enk noch und noch alls dazöhl und

brocht hon i enk an gonzn Haufn.

Hietz bring mal lei gschwind a Kloa-

nigkeit z’össn!“ Bis tief in die Nacht

dauerte das Auspacken, Verteilen

und Bestaunen der mitgebrachten

Geschenke und das Erzählen von

all dem Wunderbaren, das Gridling

in der „Goldenen Stadt Venedig“ er-

lebt hatte. Das Goldbrünnl aber war

versiegt und bis heute konnte es nie-

mand mehr finden!

1.Schlaiten = Schlotten = bergmännisch: ausgelaugter Hohlraum in leich löslichem Gestein. Vielleicht auch von slaw. slata = Gold.

2.Göriach = gorjàhu (slaw.) = Bergbewohner.