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Seite 32

‘s Blatt‘l

Dezember 2015

Chronik

„Da machen wir nicht mehr mit...“ - Erinnerungen eines Deserteurs

Ich habe auf dem Transport schon

zwölf Kilo abgenommen. Wir waren

so geschwächt, dass wir bei unserer

Trennung im Emsland nicht ein Ab-

schiedswort über die Lippen gebracht

haben. Ich werde dem Lager I Bör-

germoor zugeteilt und Alois kommt in

das Lager II Aschendorfermoor. Die

Haftbedingungen waren berüchtigt,

der Lagerkomplex wurde „die Hölle

imMoor“ genannt. Neben der äußerst

harten, täglich bis zu zwölf Stunden

langen Arbeit beim Torfstechen war

die Situation der Häftlinge vor allem

von Hunger, der willkürlichen Bruta-

lität und den grausamen Schikanen

des Wachpersonals geprägt.

Ich erzähle euch den ersten Tag

im Lager, so wie ich es mitgemacht

habe. Wir sind angekommen und

haben gleich einmal eine eiskalte

Dusche bekommen, das war ein

Schock. Dann beim Barackenein-

gang hat der Barackenälteste, das

war ein Sträfling, bereits mit einem

Brett gewartet und da hat man mit

dem Brett eines aufs Kreuz bekom-

men. Mit einer weiteren „Spezialität“

des Lagers machen wir gleich da-

nach Bekanntschaft. Der Bettenbau

ist den Aufsehern beliebter Anlass

für willkürliche Demütigungen der

Gefangenen. Man musste Betten

machen, der Strohsack musste eine

scharfe Kante haben, wie ein Diwan.

Das hat keiner geschafft. Da habe ich

mir gedacht, dir werde ich es zeigen.

Sobald der Aufseher weg war habe

ich aus dem Bett zwei Bretter heraus

getan unter dem Strohsack und die

Bretter auf der Seite aufgestellt und

dann mit Stroh überdeckt und die

Decke drübergezogen. Der Bara-

ckenälteste hat es nicht kapiert. Er

fragte: „Wem gehört das Bett? – Ge-

nau so müssen alle sein!“ Ich habe

dann meine Ruhe gehabt, soweit.

Sobald er verschwunden ist, habe

ich die Bretter wieder heraus getan.

Da habe ich sie schon einmal über-

trickst. Ich erhielt in der Folge die

Aufsicht über den Bettenbau. Dabei

konnte ich vielen anderen Häftlingen

helfen. Ich habe vielen geholfen, das

freut mich. Da waren viele dabei, die

haben keine Decke zusammenlegen

können, geschweige denn ein Bett

machen. Ich habe immer gesagt:

„Geh nur, das mache schon ich.“

Unterernährung und harte Arbeit

zehrten die Körper der Gefangenen

aus, viele starben dann an Krank-

heiten, mangelhafter sanitärer Be-

treuung und Misshandlungen. In der

Nacht haben sie plötzlich einen he-

rausgerissen. Man hat nicht gewusst

warum, keiner hat gewusst warum.

Das waren auch Sträflinge, die sind

so trainiert worden, die haben sich

müssen auf diese Art bewähren, da-

mit sie nachher wieder rauskommen,

das waren die Schlimmsten. Sie ha-

ben den Häftling herausgeholt. Einer

hat ihn am Kopf zwischen die Füße

geklemmt und die anderen haben ihn

mit ledernen Riemen auf den Hin-

tern geschlagen. Der hat sich nicht

rühren können und hat geweint. Ich

habe nur Grausen empfunden, das

war in der ersten Nacht. Man hat nur

daran gedacht, dass man auch ein-

mal drankommen kann. Sie haben

ihm den Hintern total zerschlagen,

alles ist angeschwollen und er konn-

te nicht mehr auf den Abort gehen.

Er hat ein paar Tage gelitten, dann ist

er gestorben. Und das war mehr oder

weniger Tagesordnung. Glaubhaft ist

das nicht, aber es war so.

Das Sterben war in den Emslandla-

gern eine alltägliche Erfahrung. Straf-

lager, das war schon ein bisschen zu

gut ausgedrückt. Praktisch gesagt

war es ein Vernichtungslager.

Ich überlebte die Torturen ebenso

wie mein Bruder Alois. Viel Glück,

eine ursprünglich gute körperliche

Verfassung und eine gewisse Härte

haben uns überleben lassen.

Im November 1944 werden wir

mit ungefähr 30 anderen Häftlingen

aussortiert und in das Wehrmachts-

gefängnis Torgau-Fort Zinna in

Ostdeutschland transportiert. Dort

werden wir einer militärischen Aus-

bildung unterzogen. Wenn ich an

Fort Zinna denke, denke ich sofort

an Hunger. Wir waren so verhungert,

wir haben nichts zu essen bekom-

men. Schließlich werden wir dem Be-

währungsbataillon 500 zugeteilt. Auf

dem Weg an die Front gibt es eine

Zwischenstation in Olmütz. Dort wer-

den wir Zeugen bei Exekutionen von

Deserteuren.

Wir haben zuschauen müssen,

als abschreckendes Beispiel. Der

Deserteur ist an einer Säule ange-

bunden worden und vor ihm ist das

Schusskommando gestanden. Er hat

genau gewusst, jetzt knallt es, aber

vorher hat er den Hitler noch einmal

zur Sau gemacht.

Danach war man schon einmal

psychisch ruiniert. Wenn einer ein

Gefühl hat, ist es einfach so. Ich

habe immer mit dem Mitleid mehr zu

kämpfen gehabt, als mit mir selber.

Das Bewährungsbataillon, dem

wir zugeteilt wurden, kämpfte an der

Ostfront gegen die Rote Armee. Im

Verhältnis zum Lager ist man dort

noch ein Mensch gewesen. Man war

zwar in einem Himmelfahrtskom-

mando, aber Mensch warst du noch.

Im Lager warst du kein Mensch.

Meine Haltung im Lager kann ich mit

dem Wort Gleichgültigkeit beschrei-

ben. Man ist schon ein bisschen

gleichgültig gewesen. Gegen einen

selber auch. Das hat es gebraucht.

Wenn ich so im Lager war und Neu-

linge gekommen sind, dann habe ich

sie angeschaut und eingeschätzt,

das wird einer aus der Stadt sein,

das könnte ein Bauer sein. Ich habe

schon ein Gefühl gehabt, der wird es

nicht lange ertragen. Ich habe mir

immer so ein Urteil gemacht. See-

lisch, moralisch und körperlich, da

hat alles zusammengehangen, dass

es der Mensch einfach nicht ausge-

halten hat.

Im Bewährungsbataillon mussten

Soldaten kämpfen, die von Kriegs-

gerichten verurteilt worden waren.

Soldaten, die nicht im Gleichschritt

marschiert sind. Sie wurden vor

allem für Ausbrüche eingekesselter

Einheiten eingesetzt. Da ist es nur

mehr ums Überleben gegangen.

Da waren gute Männer dabei. Da

hat man sich wieder als Mensch

gefühlt, an den Kameraden ist man

gehangen, auf sie war man ange-

wiesen.

Bewährungsbataillon

„praktisch ein Vernichtungslager“

„Die Hölle im Moor“

Der Tagesablauf im Lager