Dezember 2015
‘s Blatt‘l
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hat, ist mir unbekannt. Jedenfalls
war die Projektierung des Vorhabens
abgeschlossen, aber von einem
Baubeginn wurde gar nicht mehr ge-
sprochen. Bei der Besichtigung im
Kraßgraben für das geplante E-Werk
standen die zwei Herren auf unserer
getarnten Behausung.
Und dann kommt der 11. Jänner
1944. Franz Stolzlechner wird von
einem Gendarmen gestellt, als er
vom Haus seines Vaters mit frischer
Verpflegung in den Bunker zurück-
kehren will. Der Gendarm schießt ihn
an. Zwanzig Jahre nach dem Krieg
habe ich erfahren, dass da Verrat im
Spiel war, dass es nicht zufällig war.
Rundherum hat man schon Kenntnis
von uns gehabt. Als der Gendarm
den Rucksack durchsucht, findet er
den Namen Alois Holzer an der In-
nenseite eingeschrieben. Das Rät-
sel um die verschwundenen Holzer-
Söhne ist für die Gendarmerie damit
gelöst.
Am nächsten Tag steht die Ge-
stapo bereits bei uns zuhause. „Wo
habt ihr eure Buben?“ Mein Vater
hat gesagt, er wisse nichts. Die Ge-
stapo erwiderte: „Wir wissen schon,
wo sie sind, die sind da oben in einer
Höhle!“. Die Beamten zwingen den
Vater, sich an der Suche nach dem
Versteck zu beteiligen, die aber er-
gebnislos abgebrochen wird. Da ha-
ben sie zu meinem Vater gesagt: „Du
bringst uns die Buben, sonst fahren
wir mit euch ab!“
Am folgenden Tag hat uns der Va-
ter im Kraßgraben aufgesucht und
uns gebeten, dass wir uns stellen.
Über die dramatischen Ereignisse
wurden wir bereits von dem Jäger
informiert.
Für den Vater war es hart, er mus-
ste uns praktisch freigeben. Wir ha-
ben das sofort eingesehen. Wir ha-
ben noch alle Gegenstände aus dem
Bunker geräumt, die eine Unterstüt-
zung durch die Eltern beweisen hät-
ten können. Dann gingen wir hinunter
auf den Hof. Dort haben wir uns mit
der Familie für die zu erwartenden
Verhöre abgesprochen. Gegangen
ist es ja darum, dass man den Eltern
nicht beweisen konnte, dass sie uns
zur Fahnenflucht verholfen haben,
oder dass sie uns sonst irgendwie
behilflich waren.
Dann stellten wir uns gemeinsam
mit dem Vater der Gendarmerie in
Ainet.
Ich bin damals von zu Hause
weggegangen und habe genau ge-
wusst, dass ich nicht mehr komme,
das habe ich genau gewusst. Am
nächsten Tag werden Alois und ich
nach Lienz gebracht und den Nazi-
Behörden übergeben. Ich habe kei-
ne Chance gehabt zum Weiterleben.
Ich habe auf der Welt keine Aussicht
mehr gehabt, außer dem Bruder ir-
gendwie noch einmal behilflich zu
sein, dass er davon kommt. Ich habe
gesagt, der Bruder wäre eingerückt,
wenn er nicht mein Vorbild gehabt
hätte. Da haben sie mir zur Fahnen-
flucht noch Zersetzung der Wehrkraft
vorgeworfen. Ich habe mich damit
abgefunden, ich stelle mein Leben
zur Verfügung, wenn der Bruder und
die Eltern davon kommen.
Die nächste Station: Gestapo-Haft
in Klagenfurt. Mehrmals werden wir
einvernommen. Bei der Hauptver-
handlung vor dem Divisionsgericht
werden wir von einem Verteidiger
vertreten. Er überbringt uns auch die
Urteile. Sie lauten: Für Alois sieben
Jahre Zuchthaus mit Frontbewäh-
rung und die Todesstrafe für mich.
In den folgenden zwei Monaten saß
ich als Todeskandidat in der Gefäng-
niszelle. In die Früh haben draußen
am Gang die Schlüssel geklappert.
Du hast nie gewusst, ob sie nicht dei-
ne Türe aufsperren. Das waren harte
Zeiten. Aber ich habe sie gemeistert.
Anfang Mai 1944 holt mich dann
ein Justizbeamter aus der Zelle und
führt mich hinauf in die Schreibstube.
Dort hat er mir die Begnadigung vor-
gelesen: „Wegen Ihrer Führung beim
Militär und auch in Zivil kann von der
Todesstrafe abgesehen werden.“ Die
Strafe wurde in 22 Jahre Zuchthaus
mit Frontbewährung umgewandelt.
Bis Ende Juli sitzen Alois und ich
im Gefängnis in Klagenfurt. Wieder-
holt werde ich Zeuge von Folter und
Misshandlungen. Im zweiten Stock
war die Gestapo, da war auch das
Verhörzimmer. Man hat Schreie ge-
hört von Gefangenen, von denen
sie Geständnisse herauszwingen
wollten. Die haben geschrien und
selbst ist man dann in so eine Verfas-
sung gekommen, da hätte ich alles
niedergeschossen rundherum, wenn
die Gelegenheit gewesen wäre, so
ein Widerstandswillen ist in einem
heraufgewachsen.
Anfang August werden Alois und ich
in Ketten gelegt und mit dem Zug nach
Wien transportiert. In Wien sehen wir
einen Judentransport. Die haben die
Juden so miserabel behandelt, das
war so scheußlich, das hat man nicht
ausgehalten. Nach einem elftägigen
Transport über Prag erreicht der Häft-
lingstransport seinen Zielbahnhof an
der Grenze zwischen Deutschland
und den Niederlanden. Börgermoor im
Emsland – dort haben die Nationalsozi-
alisten schon im Jahre 1933 begonnen,
ein ganzes Lagersystem einzurichten.
Chronik
„Da machen wir nicht mehr mit...“ Erinnerungen eines Deserteurs
Verrat?
Die Fahndung läuft
Abschied
Aufgabe
Haft und Urteil
Überstellung
Alois Holzer
geb. 29. Jänner 1919
gest. im März 1945
Sein Bruder David nahm für die Deser-
tion die Schuld auf sich. Alois erhielt
sechs Jahre Zuchthaus mit Frontbe-
währung. Das Bewährungsbataillon war
ein Himmelfahrtskommando mit äußerst
hohen Verlusten. Alois Holzer starb im
März 1945 bei Brünn.