CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
SEPTEMBER/OKTOBER 2018
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mehr wenig landwirtschaftliche
Nutzfläche für die damals über-
wiegend betriebene Braunvieh-
zucht. Die einstige Heimat
wurde regelrecht „zusammenge-
schlagen“. Ein Augenzeuge be-
schrieb die Momente:
„Graun
Tag für Tag erdröhnen die
Sprengungen, und sobald sich
der Rauch verzogen hat, ist wie-
der ein Haus in sich zusammen-
gesunken. Untergraun ist schon
nicht mehr. Trümmer, dort wo
einst Häuser standen. Auch das
überall die roten Striche zu
sehen, die ankündigten, wie
weit das Wasser steigen wird.
…ein dumpfer Knall
Den Menschen war furchtbar
weh ums Herz. Sie mussten mit
hatten, ein letztes Mal. Es war
leer, keine Blume am Fenster.
Diese Fenster blickten wie aus
müden traurigen Augen ins
Leere. Die Menschen schauten
ein letztes Mal zu ihrem Haus,
als drückten sie ihm noch einmal
die Hand. In Gedanken gingen
sie noch einmal durchs Haus,
lebten all die schönen Erinne-
rungen noch einmal auf, und
dann .... ein dumpfer Knall und
nur mehr ein Trümmerhaufen!
Am Sonntag, 9. Juli 1950,
wurde in der Pfarrkirche die
letzte Hl. Messe gelesen. An
Stelle der Seitenaltäre gähnte
die Leere der verputzlosen
Mauer. Die Orgel war auch
schon entfernt worden. Das
Harmonium der Schule beglei-
tete den letzten Chorgesang.
Herzergreifend waren die Ab-
schiedsworte des Pfarrers von
der Kanzel. Viele, sehr viele
Leute haben geweint. Am Nach-
mittag wurde das Allerheiligste
nach St. Anna auf den Hügel
oberhalb des sterbenden Dor-
fes gebracht. Am Sonntag, 16.
Juli 1950, abends um 8 Uhr
läuteten die Glocken ein letztes
Mal zum Abschied von ihrem
alten Graun. Gemeinsam läute-
ten sie eine halbe Stunde. An-
Vertretern über die Größe des
Stausees und den nun sehr kur-
zen Zeitplan informiert. Es
kamen für beide Kraftwerkspro-
jekte 7.000 überwiegend in Süd-
italien angeworbene Arbeiter
zum Einsatz. Ab 1. August
1949 wurde eine Probestauung
auf 1.485 m durchgeführt. Die
Bevölkerung empfand die Über-
flutung als Provokation. Die Po-
lizei musste zum Schutz der
Montecatini-Mitarbeiter vor Ort
eingreifen. Da nun klar war, dass
ab Spätsommer 1950 der erste
Vollstau stattfinden würde,
mussten sich die rund 100 be-
troffenen Familien aus Graun
und Reschen entscheiden, ob sie
vor Ort bleiben und an höherer
Stelle neue Häuser bauen oder
woanders hin umsiedeln woll-
ten. Am Eingang des Langtaufe-
rer Tales baute die Montecatini
eine Barackensiedlung für die
Bewohner, die noch keine neue
Heimat hatten. In ganz Südtirol
siedelten sich dann Altgrauner
an, manche gingen nach Öster-
reich, andere ins Trentino.
Viele wanderten ab
Nur rund 35 Familien blieben
letztendlich da, denn es gab nur
liegt in den letzten Zügen. Wie
bei einem Todkranken stirbt
Glied für Glied ab. Tag für Tag
dringt das Wasser weiter vor,
Schulgebäude ist bereits ein
Schutthaufen. Ihm gegenüber
steht noch die Kirche. An den
Häusern, die noch stehen, sind
ansehen, wie ihr Heimatdorf
Stück für Stück langsam dahin-
starb. Sie sahen ihr Haus, in
dem sie ihre Kindheit verbracht
Postkarte von Graun, um 1910.
(Verlag Rumpf; Sammlung Monika Weissteiner, Stadtarchiv Bruneck – TAP)
Teil des zerstörten Dorfes Graun.
Fotos: Sammlung Museum / Album Othmar Pider
errissen in tausend Stücke