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‘s Blatt‘l
Dezember 2018
Chronik
Plattner Lois - Krieg/Hungermarsch/Gefangenschaft und Heimkehr - 1943 bis 1948
Er musste von nun an den gesamt-
en Hungermarsch barfuß laufen.
Alois Plattner hat im Lager Fiume
seine Schuhe mit grobem Schotter
derart zugerichtet, dass die Partisa-
nen kein Interesse mehr an seinem
Schuhwerk hatten.
So begann der Hungermarsch vom
Gefangenenlager in Rijeka bis Osjek
an die serbischen Grenze.
Nur mehr wenige Gefangene hat-
ten eine Verpflegung mit, die soge-
nannte eiserne Reserve vom Militär
– trockenes Brot. Die ersten zwei
Etappen von Rijeka nach Karlovac
und weiter nach Sisak über 160 km
wurden die Gefangenen überhaupt
nicht verpflegt. Eigentlich ist es gar
nicht vorstellbar, dass den Marsch
überhaupt jemand überlebt hat. Die
Partisanen kalkulierten mit dem lan-
gen Marsch eine hohe Sterberate ein,
damit sie die Leichen über das ganze
Land verteilen konnten und nicht an
einem Platz verscharren mussten.
Über Tage hinweg waren Kirschen
die einzige Nahrung für die Gefan-
genen. Es war gerade Reifezeit der
Kirschen in Kroatien. Viele aber, die
ohne Erlaubnis der Bewacher auf die
Kirschbäume geklettert sind, wurden
einfach heruntergeschossen.
Manchmal hatte die Bevölkerung
Mitleid mit den Gefangenen und hat
etwas Essbares heraus auf die Stra-
ße geworfen. Dies durfte nur heim-
lich erfolgen, sonst wären auch sie
von den Partisanen hart bestraft wor-
den.
Die Partisanen waren von der
großen Menge an Gefangenen regel-
recht überfordert und verhielten sich
deshalb so brutal. Es wäre aber auch
mit mehr Rücksicht gegangen denn
die Flucht war ohnehin nicht mög-
lich. Viele Gefangene sind verhun-
gert oder auf Grund von Krankheiten
gestorben. Sie wurden unterwegs
einfach liegen gelassen. Die letzten
in der Kolonne, die nicht mehr mitka-
men wurden einfach erschossen.
In Karlovac, nach den ersten 90
Kilometern wurde lediglich ein Tag
Rast eingelegt, es gab aber keine
Verpflegung. Erst nach weiteren 70
Kilometern Marsch in der Hitze wur-
de in der Stadt Sisak wieder ein Tag
Rast eingelegt und die Gefangenen
erhielten die erste warme Mahlzeit
– eine dünne Suppe – aber immer-
hin. Die nächste Rast war erst wieder
nach 80 km in Darubar in der Nähe
eines Schotterwerkes. Auch dort gab
es wieder eine spärliche warme Ver-
pflegung.
Während des ganzen Marsches
war nur schönes Wetter. Daher war
es auch für diejenigen zumindest
tagsüber erträglich, die nicht mehr
viel mehr als die Unterhose am Leib
trugen. Die Nächte verbrachten die
Gefangenen irgendwo in den Feld-
ern im Freien. Es gab keinen Zugang
zu Wasser, also auch in den ganzen
Wochen keine Körperpflege.
Im Lager Osjek, nahe der ser-
bischen Grenze endete nach 440
Kilometer der Hungermarsch. Ein
Drittel der Gefangenen wird wohl
nicht überlebt haben, verhungert,
an Krankheiten gestorben, auf der
Flucht oder einfach vom Kirschbaum
heruntergeschossen.
Der Hungermarsch wurde zum
Sühnemarsch - als Vergeltung an
den Deutschen. Im Lager Osjek gab
es wieder eine warme Mahlzeit, eine
Suppe aus Mais oder Bohnen und
erstmals bauchfüllend!
Kriegsgefangenschaft
In Osjek wurden die Gefangenen auf
die Eisenbahn verladen und der Trans-
port über Sarajewo endete nach über
400 km Bahnfahrt im Lager Mostar. Es
war unbeschreiblich heiß in Mostar –
ca. 40 Grad. Und auch hier ging das
Sterben weiter - kaum Wasser und viel
zu wenig Essen für die vielen Gefan-
genen. In der Nähe war eine Kaserne
und wer die Möglichkeit hatte, holte
sich aus den Abfallkörben neben dem
Militärgelände noch etwas Essbares
heraus. Ein harter Betonboden diente
als Schlafplatz.
Viele Gefangenen erkrankten an
Malaria. Weiters sorgte die Ruhr dafür,
dass auch das wenige Essen wieder
ausgeschieden wurde. Behandlungen
gegen diese Krankheiten gab es keine.
Die Stärkeren unter den Lagerinsas-
sen haben überlebt. Das Sterben ge-
hörte zum Alltag. Man hat es einfach
ausgeblendet, nicht nachgedacht, wie
es weitergeht und selber irgendwie
weitergelebt.
Die richtig wahrgenommenen Plagen
im Lager Mostar waren nicht Hunger
und Krankheit. Es waren die Läuse und
andere Ungeziefer im Lager - einfach un-
beschreiblich und heute kaumvorstellbar.
9 Monate war die erste Nachricht aus der Kriegsgefangenschaft in Jugoslawien
unterwegs bis in die Heimat. Bis Juli 1946 wussten die Eltern nicht, ob ihr Lois noch
am Leben ist.