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Seite 36

‘s Blatt‘l

Dezember 2018

Chronik

Plattner Lois - Krieg/Hungermarsch/Gefangenschaft und Heimkehr - 1943 bis 1948

Er musste von nun an den gesamt-

en Hungermarsch barfuß laufen.

Alois Plattner hat im Lager Fiume

seine Schuhe mit grobem Schotter

derart zugerichtet, dass die Partisa-

nen kein Interesse mehr an seinem

Schuhwerk hatten.

So begann der Hungermarsch vom

Gefangenenlager in Rijeka bis Osjek

an die serbischen Grenze.

Nur mehr wenige Gefangene hat-

ten eine Verpflegung mit, die soge-

nannte eiserne Reserve vom Militär

– trockenes Brot. Die ersten zwei

Etappen von Rijeka nach Karlovac

und weiter nach Sisak über 160 km

wurden die Gefangenen überhaupt

nicht verpflegt. Eigentlich ist es gar

nicht vorstellbar, dass den Marsch

überhaupt jemand überlebt hat. Die

Partisanen kalkulierten mit dem lan-

gen Marsch eine hohe Sterberate ein,

damit sie die Leichen über das ganze

Land verteilen konnten und nicht an

einem Platz verscharren mussten.

Über Tage hinweg waren Kirschen

die einzige Nahrung für die Gefan-

genen. Es war gerade Reifezeit der

Kirschen in Kroatien. Viele aber, die

ohne Erlaubnis der Bewacher auf die

Kirschbäume geklettert sind, wurden

einfach heruntergeschossen.

Manchmal hatte die Bevölkerung

Mitleid mit den Gefangenen und hat

etwas Essbares heraus auf die Stra-

ße geworfen. Dies durfte nur heim-

lich erfolgen, sonst wären auch sie

von den Partisanen hart bestraft wor-

den.

Die Partisanen waren von der

großen Menge an Gefangenen regel-

recht überfordert und verhielten sich

deshalb so brutal. Es wäre aber auch

mit mehr Rücksicht gegangen denn

die Flucht war ohnehin nicht mög-

lich. Viele Gefangene sind verhun-

gert oder auf Grund von Krankheiten

gestorben. Sie wurden unterwegs

einfach liegen gelassen. Die letzten

in der Kolonne, die nicht mehr mitka-

men wurden einfach erschossen.

In Karlovac, nach den ersten 90

Kilometern wurde lediglich ein Tag

Rast eingelegt, es gab aber keine

Verpflegung. Erst nach weiteren 70

Kilometern Marsch in der Hitze wur-

de in der Stadt Sisak wieder ein Tag

Rast eingelegt und die Gefangenen

erhielten die erste warme Mahlzeit

– eine dünne Suppe – aber immer-

hin. Die nächste Rast war erst wieder

nach 80 km in Darubar in der Nähe

eines Schotterwerkes. Auch dort gab

es wieder eine spärliche warme Ver-

pflegung.

Während des ganzen Marsches

war nur schönes Wetter. Daher war

es auch für diejenigen zumindest

tagsüber erträglich, die nicht mehr

viel mehr als die Unterhose am Leib

trugen. Die Nächte verbrachten die

Gefangenen irgendwo in den Feld-

ern im Freien. Es gab keinen Zugang

zu Wasser, also auch in den ganzen

Wochen keine Körperpflege.

Im Lager Osjek, nahe der ser-

bischen Grenze endete nach 440

Kilometer der Hungermarsch. Ein

Drittel der Gefangenen wird wohl

nicht überlebt haben, verhungert,

an Krankheiten gestorben, auf der

Flucht oder einfach vom Kirschbaum

heruntergeschossen.

Der Hungermarsch wurde zum

Sühnemarsch - als Vergeltung an

den Deutschen. Im Lager Osjek gab

es wieder eine warme Mahlzeit, eine

Suppe aus Mais oder Bohnen und

erstmals bauchfüllend!

Kriegsgefangenschaft

In Osjek wurden die Gefangenen auf

die Eisenbahn verladen und der Trans-

port über Sarajewo endete nach über

400 km Bahnfahrt im Lager Mostar. Es

war unbeschreiblich heiß in Mostar –

ca. 40 Grad. Und auch hier ging das

Sterben weiter - kaum Wasser und viel

zu wenig Essen für die vielen Gefan-

genen. In der Nähe war eine Kaserne

und wer die Möglichkeit hatte, holte

sich aus den Abfallkörben neben dem

Militärgelände noch etwas Essbares

heraus. Ein harter Betonboden diente

als Schlafplatz.

Viele Gefangenen erkrankten an

Malaria. Weiters sorgte die Ruhr dafür,

dass auch das wenige Essen wieder

ausgeschieden wurde. Behandlungen

gegen diese Krankheiten gab es keine.

Die Stärkeren unter den Lagerinsas-

sen haben überlebt. Das Sterben ge-

hörte zum Alltag. Man hat es einfach

ausgeblendet, nicht nachgedacht, wie

es weitergeht und selber irgendwie

weitergelebt.

Die richtig wahrgenommenen Plagen

im Lager Mostar waren nicht Hunger

und Krankheit. Es waren die Läuse und

andere Ungeziefer im Lager - einfach un-

beschreiblich und heute kaumvorstellbar.

9 Monate war die erste Nachricht aus der Kriegsgefangenschaft in Jugoslawien

unterwegs bis in die Heimat. Bis Juli 1946 wussten die Eltern nicht, ob ihr Lois noch

am Leben ist.