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‘s Blatt‘l
Dezember 2018
Chronik
100 Jahre Frauenwahlrecht in Schlaiten
Allgemeines Frauenwahlrecht
Am
18. Dezember 1918
wurde das
allgemeine Frauenwahlrecht verab-
schiedet. Es gab Proteste Deutsch-
nationaler und Befürchtungen der
Christlichsozialen, dass sie die
Frauen weniger gut mobilisieren kön-
nen als die Sozialisten. Die sozial-
demokratische Partei ihrerseits trat
bedingungslos für das Frauenwahl-
recht ein, brachte aber in die Wahl-
rechtsdiskussion ein, dass Frauen
und Männer mit
unterschiedlich far-
bigen Kuverts
abstimmen sollten.
Das Wahlverhalten der Frauen sollte
damit beobachtet werden. Diese Un-
terscheidung gab es schließlich nur
bei den Nationalratswahlen von 1920
bis 1930. In Wien wurden von 1954
bis 1996 tatsächlich wieder anders-
farbige Wahlkuverts für Frauen bei
Landtags- und Gemeinderatswahlen
ausgegeben. Wien ist eben anders!
In Tirol wurden bei Landes- und
Gemeindewahlen immer einheitliche
Kuverts verwendet. Zumindest war
diese farbliche Trennung bei der er-
sten Wahl nach dem 1. Weltkrieg
nicht notwendig.
Neues Gemeindewahlrecht
Am
16. November 1919
fand die
erste Gemeinderatswahl nach dem
neuen Gemeindewahlrecht statt. Die
Gemeinde Schlaiten zählte damals
ca. 295 Einwohner und 162 Stimm-
berechtigte. Da nur 72 Stimmen ab-
gegeben wurden ist anzunehmen,
dass die Frauen aus eigenem Willen
der Wahl ferngeblieben sind, oder
zumindest von den Männern nicht
ermuntert wurden, vom neuen Wahl-
recht Gebrauch zu machen.
Gemeinderat nach dem 1. WK
In den Kriegsjahren fanden in
Schlaiten keine Gemeinderatssit-
zungen statt, bzw. wurden keine Sit-
zungen protokolliert. Die erste Ge-
meinderatswahl nach dem 1. Welt-
krieg brachte nach einem Wahlvor-
schlag folgendes
Ergebnis
:
Anton Ingruber vlg. Gruber - er-
ster Bürgermeister der Gemeinde –
frühere Bezeichnung „Gemeindevor-
steher“. Sein Stellvertreter ist Alois
Greinhofer vlg. Kasperer. Matthäus
Brugger vlg. Bacher wird ebenfalls
in den Gemeindevorstand gewählt.
Die weiteren Gemeinderäte sind:
Josef Rainer vlg. Daberer, Johann
Baur - Schulleiter, Johann Pedarnig
vlg. Kraßnig, Andrä Riepler vlg. Ober-
meßner und Josef Plattner vlg. Platt-
ner.
Das Protokoll nach der ersten Sit-
zung des neuen Gemeinderates
schließt mit der Bemerkung:
„Mit ver-
einten Kräften und Gottes Hilfe zum
Wohle der Gemeinde und besonders
der Armen.“
Wahlrecht früher
Ein Blick zurück in früheres Wahl-
recht:
Erst 1907 wurde das
Kurienwahl-
recht
abgeschafft und damit das
allgemeine Männerwahlrecht
ein-
geführt. Alle männlichen Personen
ab 24 Jahren haben das aktive Wahl-
recht. Das passive Wahlrecht liegt
bei 30 Jahren.
Vorher war für die Grafschaft Ti-
rol die Gemeinde-Wahlordnung aus
dem Jahr 1862 in Kraft.
Wahlberechtigt waren nur Gemein-
demitglieder, die von ihrem Besitz,
Gewerbe oder Einkommen Steuer an
die Gemeinde entrichteten. Weiters
waren auch Gemeindeangehörige
wie Ortsseelsorger, Beamte, Offi-
ziere, Doktoren, Techniker mit Hoch-
schulabschluss, Vorsteher und Ober-
lehrer der Volksschulen zur Wahl
zugelassen. Und natürlich auch Eh-
renbürger und Ehrenmitglieder, auch
wenn sie keine Liegenschaften besa-
ßen. Das Wahlrecht war persönlich
auszuüben mit folgenden Ausnah-
men:
“Nicht eigenberechtigte Per-
sonen üben durch ihre Vertreter, die
in ehelicher Gemeinschaft lebende
Gattin durch ihren Ehegatten, andere
eigenberechtigte Frauenspersonen
durch einen Bevollmächtigten das
Wahlrecht aus.”
Besitzer einer Realität oder eines
Unternehmens konnten auch dann
an der Wahl teilnehmen, wenn sie
in einer anderen Gemeinde ansäs-
sig waren. Somit konnte ein Bürger
damals theoretisch in mehreren Ge-
meinden zur Wahl gehen.
Wählbar als Ausschuss- oder Er-
satzmänner waren nur diejenigen
Gemeindemitglieder, die das 24. Le-
bensjahr zurückgelegt haben und im
Vollgenuss der bürgerlichen Rechte
waren.
Ausgenommen von der Wählbar-
keit waren Bedienstete der Gemein-
de und Personen, welche eine Ar-
menversorgung genießen, in einem
Gesindeverbande
(Mägde
und
Knechte) stehen oder wie Taglöhner
oder gewerbliche Gehilfen keinen
selbständigen Erwerb haben.
Zur Vorbereitung der Wahl:
Der Gemeindevorsteher (Bürger-
meister) hatte ein Verzeichnis aller
wahlberechtigten
Gemeindemit-
glieder anzufertigen, beginnend mit
den Ehrenbürgern oder Ehrenmitglie-
dern.
Dann sind die Gemeindeangehö-
rigen (Pfarrer, Lehrer, Offiziere, Dok-
toren etc.) aufzulisten und zuletzt alle
übrigen wahlberechtigten Gemeinde-
mitglieder in absteigender Reihenfol-
ge geordnet nach der vorgeschrie-
benen jährlichen Steuerschuld. Am
Schlusse des Verzeichnisses ist die
Summe aller Steuer-Jahresschuldig-
keiten zu ziehen.
Auf Grund dieses Verzeichnisses
sind
3 Wahlkörper
zu bilden. Die
Wahlberechtigten, welche nach
den fortlaufenden Zahlen des be-
dachten Verzeichnisses das erste
Drittel der Gesamtsteuersumme
entrichten, gehören in den ersten,
jene welche das zweite Drittel die-
ser Summe entrichten, in den zwei-
ten, alle übrigen Wahlberechtigten
in den dritten Wahlkörper. In den
ersten Wahlkörper kamen auch die
Ehrenbürger und Gemeindeange-
hörigen. Lediglich Lehrpersonen
und Militärpersonen niedrigen
Ranges waren im zweiten Wahlkör-
per einzutragen.
Dieses System erinnert ein wenig
an das heute noch verwendete Wahl-
recht im Tourismus.
Allerdings dürfte es nicht immer
leicht gewesen sein, die Positionen
zu besetzen. Die Gemeindeordnung
sieht nämlich vor, dass jedes wähl-
bare und ordnungsmäßig gewähl-
te Gemeindemitglied die Wahl zum
Ausschuss- und Ersatzmanne oder
zum Mitgliede der Gemeindevorste-
hung annehmen muss.