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Seite 17

10/2017

Wie unscheinbare

Flechten uns durch

den Winter helfen

Flechten sind wohl die seltsam-

sten, aber auch widerstandsfähig-

sten niederen Pflanzen, die es gibt.

Die Bartflechte und das Isländisch

Moos stehen aufgrund Ihrer anti-

biotischen und schleimlösenden

Eigenschaften ganz oben auf der

Liste naturheilkundlicher Medikamente. Gerade in der kalten

Jahreszeit bringen sie Linderung bei Husten und Halsweh.

Ob in den Weiten Norwegens, an den Hängen der Azoren, in den

Alpen und im Himalaya-Gebirge, in Mooren und Heideland-

schaften, ja sogar in Wüstengebieten – nahezu überall auf der

Welt ist ein eher unauffälliger Gast zu finden: die Flechte. Sie

liebt geradezu nährstoffarme, lebensfeindliche Gebiete und kann

extreme Temperaturen von +80 °C bis -50 °C überstehen. Nur in

luftverschmutzten Industriegebieten sind Flechten nicht mehr oft

zu finden, denn viele Arten reagieren sehr sensibel auf Schwefel-

dioxid in der Luft. Bekannt sind weltweit etwa 25.000 Arten die-

ser großen Familie.

Wer näher hinschaut, erkennt bizarre Formen und bunte Vielfalt

an Farben von gelbgrün, über orangegelb bis hin zu dunkelgrün

oder grauweiß. Die Flechten sehen das ganze Jahr über gleich

aus, wachsen je nach Art bartartig an Bäumen in Bergwäldern,

aber auch buntscheckig, krustenartig auf trockenem Untergrund.

Symbiose aus Pilz und Alge

Flechten sind ganz besondere Lebewesen. Was wie eine einzige

Pflanze aussieht, besteht aus zwei unabhängigen Organismen –

einem Pilz, der das äußere Gerüst bildet, die Form vorgibt und

Wasser sowie Mineralstoffe aus der Umgebung aufnimmt, und

einer Alge, die den Pilz über Photosynthese mit Zucker und Stär-

ke ernährt. Beide gedeihen als Doppelnatur in untrennbarer Sym-

biose miteinander. Obwohl die meisten Flechten so klein und

unscheinbar sind, können sie Jahrzehnte bis Jahrhunderte alt

werden, Gesteinsflechten sogar über 1000 Jahre. Da sie so gut

wie überall zu finden sind, liegt es nahe, dass Flechten schon

immer vielfältig genutzt wurden. So wurden Baum- und Berg-

flechten früher ins Viehfutter gemischt, um das Wachstum und

die Widerstandsfähigkeit der Jungtiere zu fördern. Bis ins 20.

Jahrhundert hinein diente Isländisch Moos zur Schweinemast.

Für die Rentiere ist „Rentierflechte“ und Isländisch Moos in der

kalten Jahreszeit ein Grundnahrungsmittel. Der bittere

Geschmack scheint den Tieren nichts auszumachen. Doch auch

die Anwendung beim Menschen reicht lange zurück: Prof. Dr.

Rudolf Weiß, Mediziner und Professor für Phytotherapie an der

Universität Tübingen berichtet, dass zerriebene Gesteins- und

Baumflechten als Würzmittel für die Diätkost traditionell wäh-

rend der Rekonvaleszenz und bei Appetitmangel verwendet wur-

den. Auch heute findet man Flechten in einigen Rezepten rund

um den Globus: In Japan ist eine Flechtenart Bestandteil von

süßen Suppen und saurem Salat und wird zudem in Fett ausge-

backen genossen. Auch in der Isländischen Küche kommt Islän-

disch Moos zum Einsatz: Bei der „Fjallagrasasupa“, einer Suppe

aus Mehlschwitze und Isländisch Moos, das nach Seetang duftet

und eine leicht bitteren Geschmack hat.

Flechten als Heilmittel

Die Verwendung der Flechte als Heilmittel ist bereits aus dem

Altertum bekannt. Seit demMittelalter stiegen die Anwendungs-

möglichkeiten erheblich. Gemäß der Signaturenlehre war man

der Ansicht, dass Pflanzen, die bestimmten Körperteilen ähnel-

ten, auch für diese hilfreich seien. So nutzte man die Bartflechte

als Haarwuchsmittel, die echte Lungenflechte gegen Lungenka-

tarrh und gelbe Flechten gegen Gelbsucht.

Noch heute werden vor allem zwei Flechten naturheilkundlich

genutzt: die Bartflechte und das Isländisch Moos.

Bartflechte

– auch Bartmoos oder Baumbart genannt, hängt in

Bergwäldern strauchartig an Zweigen und Baumstämmen von

Laub- und Nadelbäumen. In der sauberen Luft höherer Lagen

wird das Gewächs ungewöhnlich lang – bis zu einem Meter. Je

nach Schwefeldioxidbelastung wächst die Bartflechte aber nur

bis zehn Zentimeter oder zieht sich sogar völlig zurück. Sie ist

also ein hervorragender

Indikator für die Schadstoffbelastung

der Luft

.

Früher fand die Bartflechte Verwendung bei Durchfall und

Magenschwäche. Inzwischen weiß man, dass sie bittere Usnin-

säure enthält – ein sehr wirksames natürliches Antibiotikum, das

grampositive Bakterien wie z.B. Staphylokokken am Wachstum

hindert. Außerdem enthält die Flechte Gerbstoffe und Vitamin

C. Für die Herstellung von Naturheilmitteln wird das ganze

Kraut verwendet, sei es nun als Tee, Tinktur, Extrakt oder

Lutschpastillen. Die Mittel sind entzündungshemmend und

schleimhautschützend. Sie helfen bei Reizungen der oberen und

unteren Atemwege und erleichtern das Abhusten. Auch eine irri-

tierte Magenschleimhaut sowie Darmerkrankungen sprechen

positiv auf die Inhaltsstoffe an. Die Bartflechte wird innerlich

wie äußerlich angewendet. Der Extrakt wirkt wegen seiner anti-

mikrobiellen Wirkung desinfizierend und wird deshalb auch

unterstützend bei Fußpilz, Furunkeln und Abszessen eingesetzt.

Die Verwendung einer Tinktur ist bei Akne und unreiner Haut

angezeigt. Bartflechte wirkt auch als geruchshemmender Stoff,

die Kosmetik hat sie zudem als konservierende Komponente für

ihre Präparate entdeckt.

Isländisch Moos

– auch als Islandmoos bezeichnet, ist botanisch

gesehen kein Moos, sondern eine Flechte, die im 17. Jahrhundert

in Island als Naturheilmittel gegen Atemwegserkrankungen ent-

deckt worden ist. Das wird auch an der Bezeichnung Lungen-

moos oder Fiebermoos deutlich. Später wurde sie in ganz Europa

bei Atemwegserkrankungen und – aufgrund ihrer Bitterstoffe –

auch gegen Beschwerden des Magen-Darm-Traktes eingesetzt.

Isländisch Moos kommt natürlich auch bei uns in den höheren

Alpen vor. Neben den Vitaminen A, B1, und B12 enthält es anti-

biotisch wirkende, bitter schmeckende Flechtensäuren. Dank

dieser Bitterstoffe wirkt Isländisch Moos als Tonikum appetitan-

regend und somit kräftigend. In der pflanzlichen Arznei kommt

der Flechtenkörper zum Einsatz. Er enthält Zuckermoleküle, die

Schleim bilden. Dieser wirkt schützend auf die Schleimhäute in

Mund, Rachen und im Magen-Darm-Trakt. Isländisch Moos

kommt in Form von Tabletten und Lutschpastillen, als Saft oder

als Teeaufguss zum Einsatz.

Die Kraft von Bartflechte und Isländisch Moos

Die Seite für die Gesundheit

mit Doktor Adelbert Bachlechner