GESCHICHTE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
FEBER/MÄRZ 2018
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einen Rausch anzutrinken. Und
richtig, er ging um Weinfla-
schen. Philipowitz brachte Ka-
viar und später Hummer und
dann ging der Stabsarzt noch
um Schnäpse, das Grammo-
phon spielte. Gegen halb 11
Uhr schraubte ich mich heim-
lich fort und ging ins Bett.
29. Feber.
In der Nacht sind bei 350
Kranke, viele Geschlechts-
kranke darunter, gekommen. Es
reichten die Hemden nicht
mehr für alle. Die ganze Nacht
und den ganzen Tag wurde ent-
laust.
3. Juni.
Die Hitze ist geradezu un-
ausstehlich. Heute scheint gro-
ßer Abschub zu sein, da schon
lange Züge auf Verwundete
harren. Auch sind an unserer
Front wieder Kämpfe, weshalb
wir Platz machen müssen.
4. Juni.
In der Nacht sind schon eine
Menge Verwundeter gekom-
men. Sie erzählen haarsträu-
bende Sachen. Die Russen hät-
ten 6- bis 7-mal erfolglos ge-
stürmt und dabei große Verluste
gehabt. Dann hätten sie am
Samstag mit einem Trommel-
feuer eingesetzt und dasselbe
habe bis Montag gedauert, bei
36 Stunden. Die erste Stellung
wurde samt Mann und Maus
vollständig zerstört. Es sind ei-
nige gekommen, die einen Ner-
venschock erlitten, andere
waren fast ganz haarlos.
11. Juni.
Von der Brester Straße bis
nahezu in die Stadt war ein ein-
ziger langer Zug von Flüchtlin-
gen. Es sind meistens deutsche
Kolonisten, die vor den Russen
fliehen, da die Russen sie sonst
weit zurück ins Russische brin-
gen. Diesen Zug anzusehen war
zum Weinen. Alte Leute und
Kinder saßen auf den Wagen.
Auch einige Juden waren unter
den Flüchtlingen. So zog alles
in endloser Reihe daher in die
ungewisse Zukunft hinein.
15. Juni.
In der Nacht und in der Früh
hörte man deutlich die Kano-
nen donnern. Es verbreitet sich
das Gerücht, dass wir etwa 15
km hätten zurückgehen müs-
sen. Doch schreckt mich das
nicht, da die Deutschen immer
noch Truppen und Kanonen
ausladen. Vormittags gab es
heute ein Gabelfrühstück. Der
Stabsarzt hat nämlich eine Sau
schlachten lassen und der zu
Ehren wurde auf 1.11 Uhr
ein Gabelfrühstück angesetzt,
wobei es auch Bier gab.
28. Juni.
Im Laufe des Tages wurden
wieder eine Menge Russen zu-
geschoben, sodass die Reserve-
betten aufgeschlagen werden
mussten. Unter den Russen sind
schreckliche Verwundungen und
ebenso vernachlässigte Verbände.
Manche tragen ihren Verband be-
reits 9 Tage. Heute haben unsere
Ärzte ganz unheimlich gearbei-
tet. Über ein Dutzend Amputa-
tionen wurden gemacht, davon
hat der Stabsarzt allein 8 Ampu-
tationen vorgenommen.
27. Dezember.
Es schneite so ziemlich den
ganzen Nachmittag. Immer hört
man vom Frieden sprechen. Es
muss doch etwas dahinter sein.
1917
25. Feber.
Wie es den Anschein hat,
werden von unserer Seite große
Vorbereitungen zu Gasangrif-
fen gemacht. In Cholm ist eine
deutsche Gasschule eingerich-
tet, welche gegenwärtig über
die Gasangriffe lehrt.
4. März.
Heute war es in der Früh sehr
kalt, - 21° Celius. Man hörte
auch den ganzen Tag schießen.
15. März.
Heute abends erschien eine
Extraausgabe der Feldzeitung
mit der Nachricht von der Re-
volution in Russland.
11. April.
Heute ist ein sehr windiges
Wetter. Einige Tage lang hatten
die Pferde gar nichts zu fressen
bekommen. Es sind in den letz-
ten 14 Tagen 10 Pferde hinge-
worden, einfach verhungert.
29. November.
Heute abends verbreitete sich
die Nachricht, dass mit den
Russen ein Waffenstillstand ge-
schlossen worden sei und dass
Parlamentare zu den Russen
übergehen werden, um die Vor-
besprechungen zu führen.
1918
15. Jänner.
Heute in der Früh hat es -
18°C, der Schnee knirscht und
die Bäume sind voll Raureif.
Heute sind über 60 Kranke ge-
kommen, worunter viele bis
zum Skelett abgemagert sind.
Verunglücktes Flugzeug auf dem Flugfeld neben den Kasernen, in
denen Gögeles Spital untergebracht war.
Feldpostkarte vom Judenmarkt, von Kaplan Gögele mit
„Marktstraße in Kowel“
Operationssaal im Deutschorden-Verwundetenspital Nr. 4 in Por-
denone.
Raues Leben,
großes Sterben
Monika Mader (Hrsg.)
Karl Gögele
560 Seiten, 35 €
erschienen im Raetia-Verlag