Previous Page  4 / 8 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4 / 8 Next Page
Page Background

OSTTIROLER

NUMMER 9/2017

4

HEIMATBLÄTTER

– die Sprache war somit kein Hindernis.

Kaltes Wasser und Toiletten waren am

Ende jeder Baracke. In der Badebaracke

war Vollbetrieb, es wurde nach Stunden-

plan geduscht, Klasse für Klasse und die

Erwachsenen, Männer und Frauen ge-

trennt. Die Wäsche wurde an der Drau ge-

waschen und geschwemmt.

Unsere tägliche Lagerzeitung, aber

auch Lehrstoff und Liedertexte, wurden auf

Matrizen geschrieben und vervielfältigt.

In den Werkstätten auf dem späteren

Neuner-Gelände wurde genäht, gestickt,

gestrickt, geklöppelt, geflochten, gesägt,

gehämmert, geschmiedet, zuerst nur für

den eigenen Bedarf im Lager. Was auf den

Fotos wie Einheitskleidung aussieht,

waren die großen Stoff- und Uniformvor-

räte aus den NS-Lagern, die zu Kleidern,

Hosen und Jacken umgearbeitet wurden.

Aus den Resten entstanden Stofftiere und

Patschen. Die Bewohner aus der Umge-

bung von Ribnica waren berühmt für ihre

geflochtenen Körbe, Siebe und Reiter, und

andere Holzprodukte, vom Kochlöffel bis

zumWaschtrog. Die Verkaufsausstellung in

der Alpenraute und zwei weitere im Kol-

pingheim öffneten nicht nur den Zugang zu

den Herzen der Lienzer, sondern förderten

in der Umgebung einen regen Handel der

fachkundig hergestellten Waren.

Auf Schloss Bruck gab es im Dezember

1945 eine Krippenausstellung mit Model-

len auch aus dem Lager Peggetz.

Der Sonntags-Gottesdienst war auf dem

ehemaligen Appell-Platz vor der 33er-Ba-

racke. Werktags waren die Gottesdienste

im Keller unter der Baracke 30, täglich

eine ganze Reihe von Gottesdiensten und

Andachten. Sonntag Nachmittag ging

man gern zum Rosenkranzgebet in die um-

liegenden Kirchen. Dort sangen unsere

Chöre, schon im Juli in Tristach, im August

in der Alpenraute, in der Pfarrkirche St.

Andrä, und am 15. August 1945 sangen sie

die Lauretanische Litanei in Sillian.

In jedem Wohnraum war ein Herrgotts-

winkel. Alle Feste des Jahreskreises wur-

den gefeiert, wir hatten Krippen aus Pa-

pier, die Palmbesen und Speisenweihkörbe

wie in der Heimat. Die Oster- und Fron-

leichnamsprozession führte durchs ge-

samte Lager, und alle nahmen daran teil.

Die Fatimaprozession führte regelmäßig

nach Thurn oder auf den Ulrichsbichl.

Konzerte waren im Lagersaal, in der

Baracke 25, wo auch regelmäßig Theater

gespielt wurde wie ,Licht der Berge‘, ,Im

Weißen Rössl‘, ,Rotkäppchen‘, ein Krip-

penspiel, überwiegend jedoch slowenische

Volksstücke. Über die Lautsprecher, Re-

likte aus dem Krieg, wurden Radiobe-

richte, aber auch Nachrichten und Musik

aus dem eigenen Studio gesendet.

Am Rande des Sportplatzes wurde im

Frühjahr eine Barackenkapelle errichtet.

Im Holzturm hingen Eisenbahnschienen,

die erst fachkundig geschlagen werden

mussten, damit sie wie Glocken klangen.

Im Mai 1946 wurde die Kapelle mit einer

weiteren Erstkommunion eingeweiht. Hier

wurde auch ich am 9. Juni 1946 gefirmt.

An diesem Tag firmte Dr. Jože Jagodic 192

Kinder und Jugendliche in der Peggetz. Dr.

Jagodic war zum päpstlichen Delegaten

für alle jugoslawischen Flüchtlinge in der

britischen, amerikanischen und französi-

schen Zone bestellt worden, ihm waren in

dieser Zeit 200 Priester unterstellt. Diese

Funktion übte er drei Jahre lang aus.

In der Freizeit waren wir in der näheren

Umgebung unterwegs, die Älteren wander-

ten in die Berge, besuchten die Almhütten

und bestiegen gar manchen Gipfel Osttirols.

Von den Briten wurden besonders die Pfad-

finder gefördert, die auch eigene Uniformen

bekamen. Bei Besuchen aus anderen Lagern

oder von Vertretern diverser Hilfsorganisa-

tionen gab es immer Auftritte der Chöre, der

Pfadfinder und der Sportgruppen.

Im Herbst 1946 kam die Weisung, dass

das Lager Peggetz aufgelöst werden muss.

So standen wir am eiskalten Morgen des

13. November mit unseren Habseligkeiten,

aber auch mit dem hier geschaffenen

Inventar, wieder entlang der Bahnlinie.

Die Züge brachten uns Slowenen ins

Flüchtlingslager Spittal, wo unsere Fami-

lie ein kleines Zimmer, 12 m² groß, mit drei

Stockbetten, bekam.

Das Lager Peggetz war aufgelöst und bis

Ende November völlig geräumt, die Rus-

sen und Kosaken kamen nach St. Martin

bei Villach, Volksdeutsche und Heimatver-

triebene nach Feffernitz oder Treffling ober

Seeboden usw. Einige Priester blieben als

Seelsorger in den Osttiroler Pfarren,

einige Flüchtlinge hatten schon eine stän-

dige Arbeit gefunden. Und manche blieben

der Liebe wegen in Osttirol.

Nur wenige Flüchtlinge wagten den Weg

zurück nach Slowenien, teils waren ihre

Höfe beschlagnahmt, viele wurden verhört

und eingesperrt. Gleichzeitig kamen

Heimatvertriebene und weitere Flüchtlinge

über die grüne Grenze. Der größte Teil

wanderte ab dem Sommer 1948 nach

Übersee aus. In letzter Zeit melden sich

immer wieder Kinder und Enkelkinder, die

mehr über den Weg ihrer Eltern wissen

wollen.“

10

Aus

Janez Brodars

Tagebuch:

Janez Brodar (1885-1969) wuchs auf

einem großen Bauernhof im Norden von

Kranj/Krainburg auf, übernahm die elter-

liche Landwirtschaft, wurde Parlamenta-

rier im SHS-Staat, forderte eine Agrar-

reform und mehr Autonomie für die

Slowenen, landete in der jugoslawischen

„Königsdiktatur“ dafür im Gefängnis und

wurde vom „Volk“ (= Partisanen) sogar

zum Tod verurteilt. Nach der Kapitulation

der deutschen Armee verließen nicht nur

die deutschen Truppen Jugoslawien, son-

dern auch die einheimischen bewaffneten

Truppen, die gegen die Kommunisten,

die sogenannten Tito-Partisanen, gekämpft

hatten. Es flohen auch hunderttausende

Zivilisten, mit ihnen auch Brodars Familie.

Sie spannten zwei Pferde vor den Wagen,

luden alles Notwendige auf und brachen

am 9. Mai 1945 frühmorgens auf. Am 11.

Mai abends erreichten sie im Konvoi mit

Soldaten aller Art den Loibltunnel und

passierten ihn im Schritttempo in langen

sechs Stunden. Auf der Ferlacher Brücke

warteten bewaffnete englische Soldaten,

die den flüchtenden Soldaten die Waffen

abnahmen und die Slowenen auf das Vikt-

ringer Feld bei Klagenfurt verwiesen, wo

sie sechs Wochen blieben. Nach vier Wo-

chen schickten die Engländer die

Domobranci (Heimwehr) mit 12.000

Mann mit Zügen wieder nach Jugoslawien

zurück, direkt in den Tod. Die übrigge-

bliebenen 6.000 Leute wurden Ende Juni

1945 auf verschiedene Lager nach Juden-

burg, Spittal und Lienz aufgeteilt. In sei-

nem Tagebuch hat Janez Brodar dazu Fol-

gendes festgehalten, das v. a. auch die Zu-

stände im Lager in der Peggetz betrifft:

„Wir kamen nach Lienz. Hier sind wir

noch heute (22. Oktober 1946), wo ich dies

schreibe. Das ist ein schöner bäuerlicher

Ort, etwas stark gebirgig, mit einem sehr

gesunden Klima. Auch das Lager ist eines

der schönsten. Die Baracken sind gut und

sauber und auch im Winter warm. …

Als wir ankamen, waren im Lager viele

Russen, doch diese kamen bald in andere

russische Lager. Hier blieben in erster

Linie Jugoslawen, also Slowenen, Kroaten,

Serben und russische Emigranten, die im

vorigen Krieg (1914-1918) aus Russland

nach Jugoslawien flohen und sich zu den

Jugoslawen zählen.

Das Tor ins Lager an der Aguntstraße, Nähe Faßlwirt.