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OSTTIROLER

NUMMER 9/2017

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HEIMATBLÄTTER

mit Frauen und Kindern, in Zivil und Uni-

form, ca. 35.000, mit Roß und Wagen, Fahr-

rad, Motorrad, Lkw und Pkw, Artillerie,

schwer bewaffnet, Gewehre, Pistolen, MP,

Handgranaten usw., alles zusammen zur

ehemaligen Deutschen Wehrmacht gehörig,

und lassen sich im Gebiet des Talbodens

zwischen Oberdrauburg bis Lienz nieder.“

Frau

Anni Gruber

, geb. Girstmair (geb.

1926), erlebte mit 18 Jahren hautnah den

Einzug der Kosaken in Lienz bis zum

blutigen Ende und weiß Folgendes zu be-

richten:

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„Ich wohnte mit meinen Eltern und

Geschwistern in einem Bauernhaus

[Siechenhaus]

, das sich heute noch an der

Kärntner Straße befindet. Am Nachmittag

des 8. Mai 1945 kam plötzlich ein ganzer

Tross Kosaken auf uns zu. Das versperrte

Gartengatter wurde aufgerissen und etliche

Kosaken stürmten mit ihren Planwagen, die

wie Zigeunerwagen ausschauten, ins Hof-

innere. Zuerst drängten alle zum Brunnen-

trog, um ihren Durst zu stillen und dann

kamen viele in unser Haus. Ein Offizier

sprach etwas deutsch und tröstete unseren

Vater. Er sagte, wir hätten nichts zu be-

fürchten, sie möchten sich nur von den gro-

ßen Strapazen etwas ausruhen. Sie waren

alle todmüde und hungrig. Sie leerten un-

sere Speisekammer und forderten unsere

Mutter auf, Polenta zu kochen. Abends hol-

ten sie sich die Milch vom Stall. Die Frauen

und Kinder schliefen in der Stube, die Män-

ner im Flur. Neben sich hatten sie die

Eierhandgranaten und Sturmgewehre. Am

nächsten Tag erschien ein höherer Kosa-

kenoffizier und sagte, dass die Offiziere

beim Fischwirt ihr Hauptquartier bezogen

haben. In den nächsten Tagen plünderten

die Kosaken die Lebensmittel aus dem be-

nachbarten Grafenanger Barackenlager,

das die französischen Gefangenen bereits

verlassen hatten. Die Pferde der Kosaken

grasten in kürzester Zeit unsere Wiesen ab,

so dass wir unsere Kühe zu den Bauern in

die Berge bringen mussten. Nach vier

Tagen kamen die Engländer in unser Haus,

entwaffneten die Kosaken und überstellten

vorwiegend Familien in das Barackenlager

in der Peggetz. Dieses Lager stand zum

Großteil leer, da die deutschen und die

österreichischen Soldaten bereits seit zwei

Tagen auf dem Rückzug in ihre Heimat

waren. Im Barackenlager wurden die

Kosaken von den Engländern gut versorgt.

Es wurden ihnen sogar Waffen ausgehän-

digt für die Aufrechterhaltung von Zucht

und Ordnung im Lager. Die Kosaken hatten

die Hoffnung, dass sie bald nach Australien

oder Kanada auswandern können.

Am 1. Juni, als wir auf unseren Feldern

in der Nähe des heutigen Liebherr-Werkes

arbeiteten, hörten wir plötzlich das

Schreien der Kosaken und mussten mitan-

sehen, wie die Engländer die Kosaken zu-

sammentrieben, wahllos in die Menge

schossen und sie in die 40 bereitgestellten

Viehwaggons trieben. Einige sprangen mit

ihren Kleinkindern in die hochwasserfüh-

rende Drau, viele konnten flüchten und sich

in den Wäldern verstecken. In den ersten

drei Tagen wurden 4.597 Kosaken mit dem

Zug von der Peggetz aus nach Judenburg

überstellt. 1.242 Kosaken wurden von den

Engländern in den Wäldern aufgespürt,

vom Berg wie Tiere heruntergejagt und mit

dem letzten Transport am 15. Juni in Last-

wägen nach Judenburg geschickt und dort

der sowjetischen Besatzungsmacht über-

geben.

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Insgesamt wurden aus Osttirol und

Kärnten ca. 25.000 Kosaken über Juden-

burg nach Russland deportiert, davon

5.600 Kosaken aus Osttirol. 2.500 Kosaken

starben am 2. Juni 1945 auf der Strecke

zwischen Lienz und Spittal. Vier Tage vor-

her, am 28. Mai, wurden alle 1.425 Kosa-

kenoffiziere vom Peggetzer Kasernenhof auf

60 Lastkraftwagen zu einer Scheinver-

handlung nach Spittal/Drau geliefert.

Diese fand aber nie statt, stattdessen wur-

den alle Offiziere an Stalin ausgeliefert,

was den Tod oder einen langjährigen Ker-

ker bedeutete.

Ein Kosake kam mit seinem einäugigen

Pferd auf meinen Vater zu und schenkte ihm

das Pferd, um es vor dem Schlachten zu ret-

ten. Dieses Pferd spannte mein Vater zu un-

serem dazu. Beide verrichteten noch einige

Jahre ihren Dienst auf unseren Feldern, im

Wald und auch bei der Schuttbeseitigung

nach den Bombenabwürfen. In unserer

Doppelharpfe vor Nußdorf haben sich

einige Flüchtende im Strohlager erfolgreich

versteckt, die wir eine Woche lang mit

Lebensmittel versorgten. Diese haben dann

in der Peggetz Quartier bezogen bis sie zu

Verwandten nach Amerika ziehen konnten.

In späteren Jahren haben sie uns besucht

und uns mit Stoffen beschenkt als Dank für

unsere seinerzeitige Hilfe.“

Die von den Kosaken zurückgebliebe-

nen Pferde und circa 100 Kühe wurden im

Auftrag der Briten an die Osttiroler Bau-

ernschaft durch den Reichsnährstand

(heute Landwirtschaftskammer) verkauft;

geschlachtet wurden nur die untauglichen

Pferde. Die besten Pferde – sie waren als

Beutegut im Besitz des englischen Königs

Die Draubrücke (Peggetz – Tristach) kurz vor der Zerstörung

durch das Hochwasser vom 9. August 1945.

Die zerstörte Draubrücke, um 1948.

Der Kosakentross am 8. Mai 1945 auf dem Weg nach Osttirol.