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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

AUGUST/SEPTEMBER 2017

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nis fehlt mir noch der Mut“

Sie sind eher zurückhaltend und

warten ziemlich lange ab, bis sie

sicher sind, dass sie sich diesem

oder jenem Mann nähern kön-

nen. Die Bilder, die Menschen

von Homosexuellen im Kopf

haben, sind oft jene, die man im

Fernsehen von sich inszenieren-

den Schwulen sieht – etwa auf

dem Life Ball in Wien. Leider.

Dieses Verhalten schadet uns

Schwulen in der Gesellschaft

sehr“, ist er überzeugt und weiß

auch von einigen schwulen Män-

nern in Osttirol, die sich zwar auf

verschiedenen Plattformen für

Schwulen und Lesben tummeln,

aber daheim mit Frau und Kin-

dern leben, um in der Gesell-

schaft „bestehen“ zu können.

„Sie halten diese innere Zerris-

senheit oft nur aus, wenn sie trin-

ken oder ständig unterwegs sind,

etwa in Vereinen oder beruflich.“

„Wollte nie Mädchen

imponieren“

Hermann bemerkte schon

früh, dass etwas mit ihm „nicht

stimmt“. „Denn schon als Bub

wollte ich nie den Mädchen im-

ponieren bzw. mit ihnen koket-

tieren, sondern nur mit den an-

deren Burschen. Meine Mutter

sprach mich sogar einmal darauf

an und ermahnte mich“, erinnert

er sich. „Auch meine Träume

handelten oft von Beziehungen

zu Burschen, aber nie zu Mäd-

chen.“ Er weiß auch noch gut,

wie seine Familie immer ver-

geblich darauf wartete, dass er

erstmals ein Mädchen heimbrin-

gen würde. Sein Vater sei oft mit

ihm beisammen gesessen, um

ihm zu erklären, wie man sich

für ein Mädchen interessant

macht und wie das „Anbandeln“

funktioniere. Darüber kann Her-

mann heute herzlich lachen.

„Mir wurde bei solchen Gesprä-

chen immer angst und bange,

weil mich Mädchen zunehmend

sogar anwiderten. Ich fand sie

teils sogar hässlich, während ich

jedem Burschen nachstarrte.

Vieles passierte aber unbewusst.

Ich schob meine Gedanken

immer wieder weg, fragte mich

nie, warum ich so bin, weil ich

mich ja als extrem abartig emp-

fand.“ Auch hatte Hermann nie-

manden, dem er sich anver-

trauen konnte.

„Streitereien eskalierten

immer wieder“

Nach seiner Lehre sollte er als

Ältester daheim den Hof über-

nehmen. „Aber das wollte ich auf

keinen Fall. Denn ein Hof

braucht auch eine Frau, die ich

mir dann hätte suchen sollen. Das

war für mich eine Horrorvorstel-

lung.“ Große Konflikte daheim

im Elternhaus waren vorpro-

grammiert. „Die Streitereien es-

kalierten teilweise extrem. Immer

wieder kam es zwischen mir und

meinem Vater auch zu Raufe-

reien.“ Es folgte der Rausschmiss

aus dem Elternhaus. „Von einem

zum anderen Tag saß ich vor der

Tür. Das war hart. Vor allem

konnte ich auch niemandem da-

heim erklären, was der eigentli-

che Grund dafür war, dass ich die

Landwirtschaft nicht übernehmen

wollte. Die bäuerliche Arbeit an

sich habe ich ja sehr geliebt. Ich

fühlte mich noch nie so verlassen

und einsam in meinem Leben.“

Flucht nach Wien

Hermann setzte dann mit ein

wenig Geld in der Tasche das

um, was er eigentlich ohnehin

vorgehabt hätte: nach Wien zu

gehen. „Instinktiv wusste ich,

dass ich nur dort halbwegs

glücklich werden kann. Aber im

Zug in die Bundeshauptstadt

hatte ich – ehrlich – noch kein

Wort für meine Gefühle. So

wenig wollte ich im Grunde mit

ihnen zu tun haben.“ Er fand

einen Job in seinem erlernten

Beruf und ließ sich aber schon

bald umschulen. „Im Zuge der

Ausbildung lernte ich einen

Mann kennen, in den ich mich

über beiden Ohren verliebte. Er

hat es Gott sei Dank bemerkt und

sprach mich darauf an – als

selbst Homosexueller. Durch ihn

lernte ich dann, mich mit meinen

Neigungen zu beschäftigen, mir

darüber Gedanken zu machen

und letztendlich den Mut zu

haben, mir selbst meine Homo-

sexualität einzugestehen. Das

war eine unglaubliche Erleichte-

rung für mein Seelenleben“, ver-

sichert Hermann, der sehr darauf

hofft, dass er sich eines Tages

dennoch traut, sich öffentlich zu

seinen sexuellen Neigungen zu

bekennen.

Martina Holzer