REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JULI/AUGUST 2017
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Wenn Hans heute zu seinem
Vater fährt, ist er emotional hin-
und hergerissen. Einerseits
sucht er bis heute noch seine
Beachtung, andererseits würde
er ihn am liebsten in den Ab-
grund einer tiefen Schlucht
werfen. „Wenn er einmal stirbt,
gehe ich zu seinem Begräbnis.
Aber ich weiß nicht, ob ich
dann nicht in sein Grab spucke
oder ähnliches“, gesteht der
heute 41-jährige Handwerker.
Hinter ihm liegt eine Kindheit
und eine Jugend voller Gewalt
und Kälte. Und es wurde
immer dann brutal, wenn der
Vater wieder einmal schwer be-
trunken nachhause kam. „Und
das war fast jeden Tag. Wir
Kinder und unsere Mutter hör-
ten spätnachts immer sein Fahr-
zeug kommen und bereiteten
uns dann innerlich bereits dar-
auf vor, was dann folgen wird.
Und es war immer dasselbe:
Wildes Schreien und viele
Schläge, die nicht nur wir Kin-
der abbekamen, sondern vor
allem unsere Mutter. Und seine
Augen starrten uns dabei
immer eiskalt an.“ Gut erinnert
er sich an eine Situation, in der
sein Vater ihm mitten in der
Nacht ein großes Stück Fleisch
aus dem Kühlschrank „entge-
genfetzte“. „Ich war damals
noch ein Bub und im Bett bei
meiner Mutter gelegen. Aber
ich weiß nicht mehr, warum er
das tat. Anschließend war je-
denfalls wieder die Hölle da-
heim los.“
Polizeieinsatz
Nicht nur einmal musste die
Polizei gerufen werden, wenn
der Familienvater wieder völlig
„durchdrehte“. Hans war schon
in sehr jungen Jahren gefordert,
die Beamten zu alarmieren als
die Mutter wieder einmal vor
Angst bebend im Nachthemd
aus dem Haus rannte. „Sie war
so arm, konnte sich einfach
nicht wehren. Ich wartete dann
immer – nachdem die Polizei
bei uns gewesen war – bis sich
meine Mutter wieder heim-
traute. Manchmal ging ich sie
dann auch suchen.“ Der Vater
beschimpfte seine Familie
zudem mit den wildesten Wor-
ten und schüttete seiner Ehe-
frau oft im Zuge dessen das
starb letztendlich an Trunk-
sucht. „Ich weine heute noch
viel, weil ich sie so wahnsinnig
vermisse. Bin der einzige der
Familie, der ihr Grab pflegt.“
Muttertag
Hans zeigt ein Foto, auf dem
er als Elfjähriger zu sehen ist –
gemeinsam mit seinem älteren
Bruder und seiner Mutter. Es
nicht einmal am Muttertag Re-
spekt zollte und daheimblieb.
Stattdessen saß er wieder im
Gasthaus.“
Hans war das jüngste Kind
der Familie. „Ich verstand als
Kind noch nicht, wie schlimm
die Taten des Vaters wirklich
waren. So erinnert er sich etwa
daran, wie der Vater eine Toch-
ter zwei Tage lang nur mit Was-
Hans S. aus einer
kleinen Gemeinde im
Hochpustertal erlebte
mit seiner Familie die
Hölle auf Erden – durch
die Trunksucht des Va-
ters. „Er hat uns alle
durch sein Verhalten im
Suff ,gerichtet‘“, sagt
Hans heute.
Der Vater von Hans war ein schwerer Alkoholiker, der durch seine Sucht sehr gewalttätig wurde.
Hans S. musste schon als junger Bub zuschauen, was der Alkohol
in seiner Familie anrichtete.
war Muttertag. Hans hatte in
der Schule für die Mutter liebe-
voll eine Muttertagskarte geba-
stelt – mit einem großen Herz
darauf. Auch diese sieht man
auf dem Foto. „Meine Mutter
war an diesem Tag besonders
traurig, weil unser Vater ihr
Bier über den Kopf. „Sie
weinte sehr viel und begann
dann selbst Alkohol zu trinken.
Irgendwo stand dann immer ein
Glas Alkohol im Haus, aus dem
sie laufend trank. Sie konnte
den Wahnsinn nicht anders
mehr aushalten.“ Die Mutter
ser und Brot im Keller ein-
sperrte. „Er sagte, dass sie
büßen müsse. Für was, wusste
ich nicht. Ich klopfte immer
spaßhalber ein bisschen an der
Kellertür an, ohne mir bewusst
zu sein, was dieses Einsperren
für meine Schwester bedeu-
tete.“
„Er hat uns
alle ,gerichtet‘“
Einmal kam eine Schwester –
damals 18 Jahre alt – betrunken
heim. „Was mein betrunkener
Vater gar nicht aushielt. Er
schleuderte sie in die Bade-
wanne und brauste sie mit purer
Gewalt solange mit eiskaltem
Wasser ab bis er meinte, dass es
reiche.
Meine Schwestern trugen na-
türlich auch schwere seelische
Schäden durch das Verhalten
meines Vaters davon.“ Sein
Bruder auf dem Muttertagsbild
ist heute ein Mensch, der im
Grunde nicht mehr für sich al-
leine sorgen kann. „Er wäscht
sich nicht mehr, seine Wohnung
„Der Alkohol zerstörte