OSTTIROLER
NUMMER 5-6/2017
6
HEIMATBLÄTTER
In Tirol fasste die Reformation, soweit
sie von Martin Luther beeinflusst war, um
1520 schnell Fuß, aber eine breite Strö-
mung wurde daraus nicht. Bürger in den
Städten, Bergleute und vereinzelte Adelige
neigten am ehesten dem Protestantismus
zu und zeigten sich empfänglich für die lu-
therischen Lehren.
Die Täuferbewegung im Pustertal,
erste Hälfte 16. Jahrhundert
Viel stärker herausgefordert wurden die
traditionelle Kirche in der katholisch ge-
prägten Grafschaft Tirol und ihre habsbur-
gischen Landesfürsten, die am Katholizis-
mus festhielten, durch eine religiöse Be-
wegung, die am radikalen Flügel der
Reformation angesiedelt war: die Täufer,
von den Zeitgenossen auch als Wiedertäu-
fer bezeichnet. Als Sakramente akzeptiert
wurden von den täuferischen Gruppierun-
gen lediglich die Taufe und das Abendmahl,
wobei sie die Kindertaufe verneinten, zu-
lässig war für sie nur die Taufe von Er-
wachsenen. Vor allem lehnten sie jede Bin-
dung ihrer Glaubensgemeinschaft, die auf
von Laien organisierten Gemeinden be-
ruhte, an den Staat ab. Die Skepsis gegen
Staat und Obrigkeit brachte den Täufern
ungerechtfertigt den Vorwurf ein, poten-
zielle Aufwiegler gegen die bestehende
Ordnung zu sein. Dies und die Einschät-
zung als „Ketzer“, worin sich katholische
und evangelische Instanzen lutherischer
Observanz einig waren, führten zu einer
brutalen und blutigen Verfolgung. Ein Täu-
fer, der seinem Glauben nicht abschwören
wollte, war des Todes. Nach dem turbulen-
ten Bauernkriegsjahr 1525 begann in Tirol
das Täufertum zu grassieren, vornehmlich
liefen ihm Kleinbauern und ländliche
Handwerker zu. Wohl am stärksten ver-
breitet waren die Täufer im Pustertal, vor
allem in dessen westlichen Teil. Täufer, die
als Anhänger dieses Glaubens enttarnt wur-
den, hatten in Tirol zwei Möglichkeiten zu
überleben: zu widerrufen und sich bekehren
zu lassen oder nach Mähren zu fliehen, wo
süddeutsche Glaubensbrüder unter dem
Schutz dortiger Adeliger Täufergemeinden
gegründet hatten. Der bedeutendste Täu-
ferapostel der Alpenländer, Jakob Huter,
stammt aus dem Pustertal; der gelernte Hut-
macher ist in St. Lorenzen geboren. Er
reorganisierte in Mähren die Täufer-
gemeinde und führte in Austerlitz die
Gütergemeinschaft ein. Er starb nach seiner
Rückkehr nach Tirol 1536 auf dem Schei-
terhaufen zu Innsbruck den Märtyrertod.
Die Hutterer, eine heute in Nordamerika
aktive täuferische Kirche, gehen auf Jakob
Huters Wirken in Mähren zurück. In den
1530er-Jahren hatte das Täufertum in Tirol
seinen Höhepunkt überschritten, es war an-
gesichts der anhaltenden Verfolgungsmaß-
nahmen immer stärker rückläufig, geisterte
aber erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts
aus. Zumindest rund 180 Personen flüchte-
ten ihres Glaubens wegen aus dem Puster-
tal nach Mähren, 410 Täufer aus diesem Tal
sind in den Akten dieser Zeit namentlich
dokumentiert, 56 von ihnen wurden hinge-
richtet. Bereits im frühen 17. Jahrhundert
schien der Südosten Tirols wieder ein siche-
res Bollwerk des Katholizismus zu sein.
Wäre da nicht das Defereggental gewesen.
Der Protestantismus im Defereggen,
zweite Hälfte 17. Jahrhundert
Die Vertreibung der Deferegger Protes-
tanten, obgleich es sich um einen lokalen
Vorgang handelte, erregte im aufgewühlten
konfessionellen Klima ihrer Zeit internatio-
nales Aufsehen. Um 1666 tauchte der erste
Verdacht auf, der sich bald erhärtete, dass in
Defereggen etwas nicht stimmen könne. Hier
kursierten religiöse Lehren, die das Glau-
bensmonopol der katholischen Kirche un-
terliefen und ihren Dogmen widersprachen.
Kirchlich gehörte das gesamte Tal zur Erz-
diözese Salzburg, die dort mit zwei Vikaria-
ten vertreten war, die eine in St. Veit, die an-
dere in St. Jakob. Im staatlichen Bereich war
das etwas komplizierter, hier agierten zwei
staatliche Einheiten, das Hochstift Salzburg,
dessen amtierender Erzbischof es als Lan-
desfürst regierte, und die habsburgische
Grafschaft Tirol. Außer dem Talschluss mit
St. Jakob und zwei kleinen Außenposten ge-
hörten alle Nachbarschaften und Siedlungen
einschließlich der Großrotte (die erst im 19.
Jahrhundert nach St. Jakob eingemeindet
wurde) zum salzburgischen Gericht Win-
disch-Matrei. St. Jakob und alle Ortschaften
westlich des Trojer Almbachs, der im
Defereggental als „nasse“ Grenze zwischen
Tirol und Salzburg diente, sowie die im salz-
burgischen Gebiet als tirolische Enklaven
einliegenden Weiler Feistritz und Görtschach
zählten hingegen zum tirolischen Gericht
Virgen. Über zwei Drittel der Deferegger
waren salzburgische Untertanen.
Salzburg unternahm wenig, um die ver-
irrten Seelen auf den richtigen Weg zu füh-
ren. Erst die Anzeige eines Lienzer Bilder-
händlers, der im Defereggen seine Heili-
genbilder auffallend mühsam verkaufen
konnte, brachte 1680 den Stein ins Rollen.
Dem Pfleger von Windisch-Matrei wurde
befohlen, Jagd auf ketzerische Bücher zu
machen, die beiden Vikare waren angewie-
sen, abweichendes religiöses Verhalten zu
melden, und Glaubensverhöre wurden an-
gesetzt, um der Sache auf den Grund zu
gehen. Im Mai 1684 schickte Salzburg zwei
Kapuzinermönche ins Tal, die die Gläubigen
religiös unterweisen und vor allem überprü-
fen sollten. Bald stellte sich heraus, dass hier
längst ein Feuer brannte, das nicht ohne wei-
teres zu ersticken war. Gut die Hälfte der
Gläubigen im Sprengel des Vikariats St.
Veit, so ergab eine Visitation im Sommer
1684, hing nicht mehr dem Katholizismus
an, sondern neigte dem Protestantismus zu,
der seit vielen Jahrzehnten im Geheimen
praktiziert worden war und sich verdeckt
hatte ausbreiten können. Im August 1684
machte der Salzburger Erzbischof kurzen
Prozess, als Landesfürst stellte er seine De-
feregger Untertanen vor die Alternative, sich
Titelseite einer Broschüre über die Täu-
ferbewegung, verfasst von Christoph
Erhart, gedruckt in München 1589.
(Original und Reproduktion Tiroler
Landesmuseum Ferdinandeum)
Bericht über die Verfolgung und Austrei-
bung der Deferegger Protestanten, verfasst
von Gottfried Wahrlieben, gedruckt in
Gotha 1688.
(Original und Reproduktion Tiroler
Landesmuseum Ferdinandeum)
Wilfried Beimrohr
Pustertaler Täufer und
Deferegger Protestanten