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OSTTIROLER

NUMMER 5-6/2017

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HEIMATBLÄTTER

nach oben. So möchte er den Blick des

Sterbenden nach oben lenken.

Links und rechts knien Menschen aus

der Familie des Stifters, so wie man sie

bei anderen Bildern unter dem Kreuz

Christi knien sieht.

Der bereits erwähnte am Fuße der

Stange Liegende erinnert an den bei

Gesetz- und Gnade-Bildern in der Mitte

am Baum sitzenden Menschen, der in die

Entscheidung gerufen ist, ob er den Weg

des Gesetzes oder der Gnade wählt.

Der Mann am Boden wie auch der

Betrachter sind aufgerufen: Schau hinauf

zu Christus, damit du nicht verdirbst, son-

dern das ewige Leben hast. Solus Chris-

tus, sola gratia, sola fide, wie es die

heilige Schrift bezeugt: Sola scriptura.

Die Inschrift am Wanddienst rechts

neben dem Relief mit der ehernen

Schlange:

„O HER IC[h] / ICH GE / NIT EIN / IN

DAS GE / RICHT MIT DEINEN KNECHT“.

Die biblische Vorlage dazu könnte

Psalm 143, 2 sein: „Herr, geh nicht ins

Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir

ist kein Lebendiger gerecht.“

Der Psalm-Text der Bibel ist das Gebet

eines Menschen, der Angst hat vor Gottes

Gericht und um Bewahrung vor dem Ge-

richt bittet.

Bei der hier vorliegenden Inschrift wird

aus der Bitte die Aussage eines Menschen,

der keine Angst hat, weil er gar nicht ein-

geht in das Gericht. Dieser Weg am Ge-

richt vorbei wird gezeigt in Joh 5, 24:

„[Christus spricht:]

Wer mein Wort hört

und glaubt dem, der mich gesandt hat,

der hat das ewige Leben und kommt nicht

in das Gericht, sondern er ist vom Tode

zum Leben hindurchgedrungen.“

Bei dieser Deutung des Textes hätten

die letzten drei Wörter „mit deinem

Knecht“ keinen Sinn. Oder sind diese

Worte aufzufassen als ein Gebet Jesu

(ICH) an den himmlischen Vater (O

HER)? Der „Knecht“ wäre dann der gläu-

bige Christ, der nun gewiss sein darf, dass

er nicht ins Gericht kommt, weil Christus,

der Weltenrichter, mit seinem Knecht

nicht ins Gericht geht, sondern direkt in

die Wohnung beim Vater (Joh 14, 2).

2. Die Gedenktafel für Paul und Ursula

Leubelfing, geborene von Rain. Das Tafel-

bild, ausgeführt vom Lienzer Maler Andrä

Peurweg, wurde im Jahr 1578 gestiftet.

Den zentralen Platz nimmt der gekreu-

zigte Christus ein. Es fallen Parallelen auf

zum Bild von Lukas Cranach d. Jüngeren

in der Stadtkirche St. Peter und Paul in

Weimar von 1555: Vor allem das Kreuz,

das aus einem Baumstamm gebildet ist,

der noch die Baumrinde trägt, die aber so

abgearbeitet ist, dass das hellere Holz

sichtbar wird.

Im Hintergrund sind links die eherne

Schlange und rechts die Opferung des

Isaak (1. Mose = Genesis 22) zu erkennen.

Die Ähnlichkeit des Bildes mit einem

Relief am Epitaph des Wolff Christoph

von Elreching (gest. 1574) in Oberöster-

reich

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ist verblüffend.

Auch Isaaks Opferung wird typologisch

auf Christus hin gedeutet. – Das Thema

des Bildes ist das Opfer. Das machen die

beiden Spruchbänder oben deutlich.

Links oben:

„Talis erat nostro moriens pro crimine

Christus / Aeterno factus victima grata

patri.“

(So starb Christus für unsere Schuld und

wurde ein dem ewigen Vater wohlgefälli-

ges Opfer.)

Rechts oben:

„Non vitulis caesis non fuso sanguine

thauri / Placari potuit o gravis ira dei.“

(Nicht mit geschlachteten Kälbern,

nicht mit dem vergossenen Blut eines Stie-

res konnte der strenge Zorn Gottes be-

schwichtigt werden.)

In der Mitte tritt an die Stelle des Bau-

mes ein Baumstumpf. Offensichtlich ist

aus dem hier gefällten Baum das Kreuz

gezimmert worden. Der Stumpf könnte

ausdrücken: Das Alte ist abgetan. Mit

Christus ist etwas Neues gekommen. Es

könnte auch an Jesaja 6,13 gedacht sein:

„[…]

doch wie bei einer Eiche und Linde,

von denen beim Fällen noch ein Stumpf

bleibt. Ein heiliger Same wird solcher

Stumpf sein.“

Der Baumstumpf als Hoff-

nungszeichen!

Das Alte sind die Opfer, die die Men-

schen Gott darbringen. Das Neue ist, dass

Gott das Opfer seines Sohnes bringt, um

den Menschen, der an Christus glaubt, zu

retten.

Oben neben dem Titulus („INRI“ =

Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum = Jesus

von Nazareth, König der Juden) stehen

Sonne und Mond, Hinweis auf die kosmi-

sche Bedeutung des Königs am Kreuz.

Dabei empfängt der Mond sein Licht nicht

von der Sonne, sondern vom Glanz Gottes,

aus dem der Engel der Abrahams-Szene

hervortritt. Es ist der zunehmende Mond.

Wie er, so soll auch das Evangelium von

Christus immer heller strahlen.

Grabplatte des Andreas von Graben,

rechts hinten unter der Stiege zur Empore

trägt die Inschrift:

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„ANNDREA DE GRABEN AIN

ARMS / WERCH DES HERRN

SCHLAFT / RVET HIE IN XPO [= Chri-

sto] . SEINEM ERLEDI / GER

.

IN

.

M

.

D

.

L IAR / GEFALLENAIN STAVB

.

V(nd)

.

ASCH / DER HERR WELLE / SEIN

ANGESICHT VBER DIER / ER-

LEVCHTN, SEI DIER GENADIG“ – Auf

Dem Sims darunter: „SOLI DEO GLO-

RIA“.

Der Mensch ist vor Gott arm, wie er

auch in der Beichte bekennt: „[…] ich

armer, elender sündiger Mensch […]“.

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Trotzdem leidet er nicht im Fegefeuer,

sondern darf seines Heiles gewiss sein,

Reliefstein mit Darstellung der erhöhten

„ehernen Schlange“ und einer Gruppe

von Menschen zu ihren Füßen, Mitte

16. Jahrhundert; Lienz, St. Michael.

Foto: Meinrad Pizzinini

Grabplatte für Andreas von Graben, 1550; Lienz, St. Michael.

Foto: Meinrad Pizzinini