Die Gedanken der Reformation breiteten
sich im 16. Jahrhundert auch im Pustertal
und damit im Bereich des heutigen Ost-
tirol aus
1
, was heute noch an Epitaphen der
Familie von Graben
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erkennbar ist. Günter
Merz, der sich mit Grabdenkmälern, von
der Geistigkeit der Reformation geprägt,
befasste, schreibt:
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„Während vorreformatorische und
katholische Epitaphe die Betrachter
zur Andacht und Fürbitte für die Ver-
storbenen aufforderten, stellten evange-
lische Epitaphe das Gedächtnis der Ver-
storbenen und das Bekenntnis zum Er-
lösungswerk Gottes durch Christus in den
Vordergrund. An Stelle der Bitte um Gottes
Erbarmen trat die Gewissheit, dass Gott
den Verstorbenen am Jüngsten Tag eine
fröhliche Auferstehung verleihen werde
[= Heilsgewissheit].
Evangelische Grab-
denkmäler wurden daher oft mit biblischen
Szenen, Bibeltexten und manchmal ganzen
theologischen Programmen gestaltet. Als
Vorlage für die Bilder dienten vor allem
Lehrbilder und Bibelillustrationen von
Lukas Cranach und seiner Werkstatt.“
Diese Aussage trifft in überraschender
Weise auch für einige Epitaphe der Fami-
lie Graben und anverwandter Familien in
der katholischen Kirche St. Michael in der
Lienzer Beda Weber-Gasse zu.
Eine gerne verwendete Bibelstelle ist
Hiob 19, 25-26. Nach der Luther-Bibel von
1534 lautet sie:
„Ich weis / das mein Erlö-
ser lebet / und er wird mich hernach aus der
erden auffwecken / und werde darnach mit
dieser meiner haut umgeben werden / und
werde Jnn meinem fleisch Gott sehen“.
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Das „Ich weiß“ ist wunderbarer Aus-
druck der Heilsgewissheit. Der Erlöser
lebt. Weil er mein! Erlöser ist, werde ich
auch leben.
Dieses Bibelwort findet sich in der
St. Michaels-Kirche an zwei Stellen:
1. Grabdenkmal der Margret von Graben
(gest. 1544), rechts hinten am Boden.
Auf der Platte ist eine Rundsäule mon-
tiert mit Hiob 19, 25 f., im Wesentlichen
im Wortlaut der Vulgata, der damals üb-
lichen lateinischen Bibel.
5
Auf Deutsch:
„Ich weiß nämlich, dass mein Erlöser lebt,
und am Jüngsten Tage werde ich von der
Erde auferstehen, und ich werde wieder
mit meiner Haut umgeben werden, und in
meiner Haut werde ich Gott sehen.“
Bemerkenswert ist, – und das ist das Re-
formatorische – dass dem Text der Vulgata
noch „SALVATOREM MEVM“ hinzuge-
fügt wird, um zu beschreiben, wer dieser
Gott am Jüngsten Tag ist: nicht der furcht-
einflößende Richter, sondern mein Erlöser.
Der Text der Bodenplatte schließt mit
„DENEN / GOT GENA
.
D“. Hier fällt auf,
dass die letzten beiden Buchstaben des
Wortes GENA
.
D durch einen Punkt ge-
trennt sind und damit zurückverweisen an
den Textanfang, der das Todesjahr der
jagende „Jüngste Tag“ fällt weg. – Die Vul-
gata formuliert aktiv:
„Ich werde auferste-
hen“ („surrecturus sum“),
während hier
Gott der Handelnde ist, der
„auferhebt“.
In der letzten Zeile wird der Text eigen-
ständig: Gott wird zum „Heiland“. Mehr
noch: Er wird mein! Heiland.
Der Schluss: Öffentlich den Heiland
bekennen. Es könnte gemeint sein,
dass es schon in diesem zeitlichen
Leben gilt, sich zu dem von Luther neu
entdeckten Glauben zu bekennen.
Haimeran taucht weiters in einem
Secco-Gemälde auf der Empore auf. Das
Bild erinnert an den hl. Georg, den Dra-
chentöter. Das „Solus Christus“ schränkt
die Heiligenverehrung ein. So ersetzt Hai-
meran St. Georg.
„Ein jeder ist von sich
aus ein Teufel, aber von Christus aus hei-
lig“
schreibt Luther.
8
Die „eherne (= aus Metall) Schlange“ ist
ein sehr bezeichnendes und häufiges
Motiv in Gesetz- und Gnade-Bildern:
4. Mose (Numeri) 21, 4-9: Gottes Volk
befindet sich auf der Wüstenwanderung.
Gott ist zornig über die Sünde des Volkes
und schickt „feurige Schlangen“. Viele, die
gebissen wurden, starben.
„Da sprach der
H
ERR
zu Mose: Mache dir eine eherne
Schlange und richte sie an einer Stange
hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an,
der soll leben.“
Das Neue Testament deutet das typolo-
gisch auf Christus hin (Joh 3, 14-16). Der
Mensch als Sünder ist verloren, so wie die
von Schlagen gebissenen Israeliten den
Tod gewärtigten. So wie damals der Blick
nach oben, nämlich zur ehernen Schlange,
vom Tod rettete, so rettet der gläubige
Blick auf Christus vom Tod zum ewigen
Leben. Solus Christus! Sola fide!
Das Motiv der ehernen Schlange
kommt in St. Michael an zwei Stellen vor:
1. Reliefstein aus der Mitte des 16.
Jahrhunderts an der nördlichen Kirchen-
wand mit dem Text:
„WIE
.
MOSE
.
IN
.
D[er]
.
/ WVEST
[= Wüste]
.
ERHOCHT DI[e] SCHLANG
.
/ ALSO / MVEST
.
DES MENSCHN /
SON
.
ERHOCHT
.
WERDN / AVF DAS
AL[le]
..
D[ie]
.
A[n]
.
I[hn]
.
GLAUBEN
.
NIT / VERDERBEN
.
S[ondern]
.
H[aben]
.
D[as]
.
EBIG / LEBEN IN [Christo].“
Die deutsche Übersetzung des Bibel-
textes ist auf das Wesentliche gekürzt. Es
scheint, der Verfasser setzt die Kenntnis des
Bibelwortes voraus, sonst könnte man die
vielen Abkürzungen nicht ergänzen. Aber
da, wo gegen Ende der Inschrift der Bild-
hauer merkt, dass der Platz knapp wird,
schreibt er doch die wesentlichen theolo-
gischen Begriffe ohne Abkürzung aus:
glauben – nicht verderben – ewiges Leben.
Links neben der Stange mit der
Schlange ist Mose dargestellt. Mit der
einen Hand zeigt er auf den Mann, der
gebissen am Boden liegt, mit der anderen
OSTTIROLER
NUMMER 5-6/2017
3
HEIMATBLÄTTER
Denkmal für Haimeran(d) (= Emmeram)
Freiherrn von Rain und Sommeregg in der
Kirche St. Michael in Lienz.
Foto: Meinrad Pizzinini
Margret angibt: A
.
D
.
15
.
44 (= Anno Do-
mini = im Jahr des Herrn). Das ganze
Leben, wird gelebt im Herrn.
2. Epitaph des Haimeran(d) (= Emme-
ram) von Rain und Sommeregg (gest.
1543).
6
AmAufsatz des Epitaphs steht Hiob 19,
25 f. in gereimter Form:
7
„Ich waiß daß mein erlöser lebt
der mich vom erdrich wider aufferhebt
den ich in meinem fleisch werd sechen
vnd offentlich fur mein Hailland verye-
hen“
Der Text ist näher an der Luther-Bibel als
an der lateinischen Vulgata. Der Angst ein-
Hans Hecht
Zeugnisse der Reformation
in der Kirche St. Michael in Lienz