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CHRONIK

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JUNI/JULI 2016

32

Maria S. aus dem Pus-

tertal arbeitet seit zwei

Jahren mit einem Psy-

choanalytiker die trau-

matischen Kriegserleb-

nisse ihrer Eltern auf.

„Ich leiste die Trauerar-

beit, die meine Eltern

nicht leisten konnten“,

erzählt die Angestellte.

Die heute 55-Jährige blättert

immer wieder in Büchern des

Zweiten Weltkrieges, versucht

sich dadurch mit den Erfahrun-

gen ihrer Eltern auseinanderzu-

setzen, „die ganz furchtbar

waren“, weiß sie seit einigen

Jahren aus eigenen Recherchen.

„Ich erfuhr vieles über andere

Verwandte und Bekannte oder

aus Niederschriften. Meine

Eltern erzählten mir von ihren

Kriegserlebnissen nie etwas.

Sie schwiegen, und jede Äuße-

rung von Aggressivität war

ihnen zudem unerträglich.“ Und

was Maria mithilfe eines The-

rapeuten mittlerweile erkannte:

„Meine Eltern haben ihre un-

verarbeiteten Traumatisierun-

gen an mich weitergegeben. Sie

gehören zu den wenigen Juden,

die die Shoa (nationalsozialisti-

scher Völkermord an den Juden

Europas) überlebten“, so Maria.

bare Wut in mir, wusste aber

nicht, auf was ich so wütend

war. Zudem hatte ich eine sol-

che Abscheu vor mir selbst und

zweifelte an meiner Existenzbe-

rechtigung.“ Für die Umgebung

waren die Zustände Marias

immer ein Rätsel. Denn Maria

wuchs scheinbar wohlbehütet

auf. Die Eltern wollten für ihr

einziges Kind ganz offensicht-

lich immer nur das Beste. Es

gab keine Geldsorgen.

Transgenerationale

Übertragung

Doch oftmals „landete“ sie in

Psychiatrien bis man erstmals

erkannte, dass die Kriegserfah-

rungen ihrer Eltern für das Lei-

den von Maria verantwortlich

waren. „Denn traumatische Er-

fahrungen, die von Betroffenen

nicht verarbeitet und integriert

werden können, bleiben nicht

nur für diese selbst eine lebens-

lange Belastung. Sie zeigen sich

auch in den Träumen, Phanta-

sien, im Selbstbild und unbe-

wussten Agieren ihrer Nach-

kommen. Wie im Fall Marias.

Maria hat die Traumatisier

Die Einfahrt des Nazilagers Auschwitz, Polen 1945. Das Bild entstand nach der Befreiung, im Vor-

dergrund von den Wachmannschaften zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände. Hier erlebte auch

der Vater von Maria eine furchtbare Behandlung.

Die 55-

Jährige

leidet

noch

sehr

unter

den

Kriegs-

erleb-

nissen

ihrer

Eltern,

die ihre

unver-

arbeite-

ten

Trau-

matisie-

rungen

an ihr

Kind

weiter-

gaben.

„War immer wütend“

Sie wuchs als Einzelkind in

München auf und litt schon früh

an psychischen Störungen wie

Ängsten (vor allem an erhebli-

chen Verlustängsten), Depres-

sionen, Gefühlen von (Selbst)-

Fremdheit und innerer Leere,

Herzrasen, chronischen Schmer-

zen oder Krämpfen. „Und ich

trug immer schon eine furcht-