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SCHCKSAL

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MAI/JUNI 2016

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An die genaue Summe kann ich

mich aber nicht mehr erinnern“,

so Sonja, die die Vergewalti-

gung dann tief in ihr Unterbe-

wusstsein verdrängte. „Das

konnte ich erstaunlicherweise

sehr gut und machte mir statt-

dessen Gedanken darüber, was

ich mir mit den Lire kaufen

könnte.“ Einige Wochen später

saß sie wieder imAuto ihres Va-

ters für eine Fahrt über die

Grenze. „Mit in meiner Jacken-

tasche die Lire, die ich dann in

Südtirol heimlich ausgab. Und

plötzlich war der völlig naive

Entschluss gefasst: So ‚leicht‘

möchte ich nochmals Geld ‚ver-

dienen‘. Ich hatte – aus welchen

Gründen auch immer – leider

überhaupt keinen Genierer,

empfand dies vielmehr abenteu-

erlich und wusste, wo Lkw-Fah-

rer in Südtirol zu finden waren.

Niemand von meiner Familie

ahnte auch nur das Geringste.“

Als Sonja 15 Jahre alt war,

kam sie dann nach Wien zu

ihrer Tante, um in deren Betrieb

eine Lehre zu beginnen. „Ich

„Damit ich mir ein Bild vom an-

gebotenen Job machen könne.“

„Spannung pur“

„Ich fand das als 16-Jährige

unheimlich spannend. Meiner

Tante erzählte ich, dass ich mit

einem Mädchen von der Berufs-

schule in die Disco gehe. Top ge-

stylt kam ich in der Go Go-Bar

an. Es waren noch andere junge

Frauen dort, die sich das Lokal

‚anschauten’. Man wurde sofort

von männlichen Gästen umwor-

ben. Das gefiel mir natürlich.“

Dann ging alles ganz schnell.

Sonja startete den Job in der Go

Go-Bar. „Dort war ich allerdings

nur zwei Abende. Dann bot man

mir einen Job an, der mir angeb-

lich viel mehr Geld einbringen

würde. Schnell war klar: Es han-

delt sich um Prostitution. Ei-

gentlich wollte ich ja mit dieser

Art von ‚Geschäft’ nichts mehr

zu tun haben. Aber es lockte

letztendlich das Geld.“

Lehre abgebrochen

Es war dann nur mehr eine

brutal, abartig. Damit kam ich

anfangs nur schwer zurecht.

Aber ich machte dennoch wei-

ter. Des Geldes wegen.“

ImAlter von 18 Jahren brach

sie – wann immer sie alleine

war – ohne „erkennbaren

Grund“ immer wieder in Tränen

aus. „Ich weinte dann stunden-

lang. Um mich wieder zu beru-

higen, begann ich härtere alko-

holische Getränke zu trinken.“

entlassen. Das Spiel begann von

vorne. „Zu meinen Eltern und

Geschwistern hatte ich nur mehr

sporadisch Kontakt. Wenn ich

nicht gerade meinen Job ausübte,

verschanzte ich mich in meiner

Wohnung und wollte niemanden

hören und sehen. Nur wenn ich

mein Geld in teuren Geschäften

ausgab, verspürte ich noch ein

kurzes Glücksgefühl.“

Endstation

Ihre innere Leere und unendli-

che Traurigkeit wuchsen stetig.

„Aber ich kam nicht einmal an-

nähernd auf die Idee, über die

Gründe nachzudenken. Ich

wollte mich um keinen Preis

damit beschäftigen, weil sonst

wäre vielleicht das viele Geld

das ich verdiente, auch in Ge-

fahr. Und ich war nach dem Geld

extrem süchtig“, so Sonja, die

eines Tages allerdings nicht

mehr in der Lage war, ihre Woh-

nung zu verlassen. „Ich hatte sol-

che Ängste. Sobald ich den

Haustürgriff in der Hand hatte,

konnte ich sie nicht mehr nie-

wollte unbedingt hinaus in die

Welt“, begründet Sonja den

Wunsch, in Wien eine Ausbil-

dung absolvieren zu dürfen und

die Lkw-Fahrer wieder hinter

sich zu lassen. „Moralisches

Denken machte sich plötzlich

in mir breit. Außerdem grauste

ich mich mittlerweile vor den

Fahrern.“

In Wien

Sonja wohnte auch bei ihrer

Tante. Unentgeltlich. „Doch

mein Lehrgeld hatte ich den-

noch immer wieder schnell ver-

braucht. Denn das Einkaufen in

der Großstadt wurde für mich

regelrecht zur Sucht.“ Dass die

Geldbörse zunehmend schnell

wieder leer wurde, passte Sonja

gar nicht. „Ich wollte unbedingt

noch zusätzliches Geld verdie-

nen und stieß auf eine Anzeige

in der Zeitung: Junges Servier-

personal für jedes zweite Wo-

chenende in einem Innenstadt-

lokal gesucht. Da zögerte ich

nicht lange und vereinbarte

einen Vorstellungstermin. In

einem Nobelhotel in der Innen-

stadt wurden die Gespräche ge-

führt.“ Dass das Servierpersonal

für eine Go Go-Bar gesucht

wurde, erfuhr Sonja erst beim

Vorstellungsgespräch. Ihr jun-

ges Alter verschwieg sie. Die

von ihr angegebenen 20 Jahre

nahm man ihr ab und lud sie zu-

nächst als „Gast“ in die Bar ein.

Frage der Zeit bis Sonja ihre

Lehre abbrach, sich eine eigene

Wohnung suchte und ihren

neuen Job in „Vollzeit“ ausübte.

„Meine Familie bzw. meine

Tante belog ich. Ich sagte

ihnen, dass ich einen tollen Job

in einem Marketinginstitut ge-

funden hätte und dort recht viel

Geld verdienen würde. Keiner

fragte genau nach. Man glaubte

mir einfach. Die Männer, die

ich als Kunden bekam, waren

aber leider oft sehr alt, ziemlich

„Ich war ein Wrack“

Als 20-Jährige fühlte sich

Sonja dann bereits als Wrack.

„Ich war mittlerweile nicht nur

von Alkohol und Zigaretten ab-

hängig, sondern brauchte auch

zunehmend andere Drogen,

damit ich für meinen Job noch

funktionieren konnte.“ Mit

schweren Angst- und Panikat-

tacken, die sie mit 21 Jahren zu

quälen begannen, landete sie

dann erstmals im Spital. Nach ei-

nigen Tagen wurde sie wieder

derdrücken. Ich war am Ende

und schnitt mir nach vier Tagen

die Pulsadern auf.“ Sonja wurde

aber im letzten Moment gerettet.

„Eine Nachbarin hatte Alarm ge-

schlagen. Sie rief die Polizei an,

weil ich schon tagelang nicht

mehr die Wohnung verlassen

hatte.“ Sie erkannte dies an der

Werbung, die sich vor der Tür

stapelte. „Und dass ich daheim

war, hörte sie.“

Ein Jahr im Krankenhaus

Sonja verbrachte ein Jahr lang

im Krankenhaus. „Erst im Zuge

der vielen Therapien erkannte

ich, was die Prostitution mit

meiner Seele angestellt hatte.

Ich hätte dies nie für möglich

gehalten. Ich erzählte meinen

Eltern und Geschwistern schwe-

ren Herzens, was ich in all den

Jahre tatsächlich gemacht hatte.

Sie waren geschockt, machten

mir aber keine Vorwürfe, son-

dern unterstützten mich sehr in

dieser schweren Zeit. Ich musste

ja auch vom Alkohol und den

Drogen loskommen, was ich

auch geschafft habe.“

Sonja schlug nach ihrer Ent-

lassung beruflich den Weg in

den Sozialbereich ein. „Ich bin

sehr glücklich darüber. Dass ich

aber meinen Selbstmordversuch

überlebt habe und nochmals eine

Chance bekam, ist das aller-

größte Geschenk, das ich jemals

erhalten habe.“ Martina Holzer

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S. Schösswender Werke

Erlbrücke 24 | A-9912 Anras

Tel. +43 (0)4846/6290

www.anras.schoesswender.at

te sie in die Prostitution