So unser Weihnachtsaltar. Nun die Feier.
Halb 12 Uhr ist‘s, da hört man draußen
vor der Hütte zusammenläuten. Was wirst
du dir denken, bei euch droben läuten,
knapp an der Front? Und woher denn die
Glocken? Ja, natürlich läuten wir sogar
jeden Tag. Freilich sind‘s nicht Glocken
von Chiappani – Pfui! – aber doch
Glocken von echtem welschem Stahl und
Eisen, noch dazu von den Welschen spen-
diert! Draußen hängen sie zwischen zwei
Bäumen. Drei Schrapnellhülsen vom Fünf-
zehner abwärts, mit gutem Klang. Das
werden sich die Welschen auch nicht haben
träumen lassen, daß ihre mordenden Ge-
schosse, denen sie natürlich die kräftigsten
Flüche und Verwünschungen mit auf den
Weg gegeben haben, den verhaßten Stand-
schützen zur stillen friedlichen Weih-
nachtsfeier läuten werden!
Alles still. Da klingt‘s feierlich durch die
Hütte: Deus in adjutorium meum intende.
Es beginnt die Christmette. Vom Winkel-
chor ertönt die Antwort, begleitet von den
weichen, schmeichelnden Klängen eines
Harmoniums. Pfarrer M. von Oberlenz hat
mir daselbe gütigst zur Verfügung gestellt.
Um den Standschützen eine Freude zu ma-
chen. In welchem Maße das aber der Fall
war, könnten die Tränen erzählen, die
manchem bei den ersten Tönen schon in
die Augen traten.
Am ,Orgele‘ sitzt Herr Pfarrorganist
Prenn von Lienz. Wie zärtlich gleiten seine
Finger, die seit Monaten schon nur mehr
Gewehr, Axt und Spaten geführt, über die
schwarzen und weißen Tasten, gleich als
fürchtete er sich, ihnen wehe zu tun. Nun
ging‘s flott weiter, die ganze Mette mit
Musik und Gesang wie daheim.
Darauf feierliches Hochamt. Wie ich an
den Stufen des Altars stehe, fängt ein starker,
vierstimmiger Chor mit dem alten Meßliede
an: ,Hie liegt vor deiner Majestät …‘ Wie
flehend und ergreifend klangen diese trauten
Weisen gerade in der Heiligen Nacht in die-
sem Stalle! Und dann das freudige Gloria in
excelsis Deo!, das unsere Schützen seit den
Tagen in der Heimat hier in der Heiligen
Nacht das erste Mal wieder singen hörten!
Wie klang dieser ehrwürdige Engelsgruß so
feierlich hinaus in die stille Nacht, hinüber
zu unseren falschen Freunden, dies Wort,
das unser ganzes Kriegsprogramm enthält:
dem Allerhöchsten die geraubte Ehre, uns
den geraubten Frieden! Deswegen sind wir
da, deswegen kämpfen wir, deswegen halten
wir durch, bis diese frohe Botschaft von
Bethlehems Fluren erfüllt ist! –
Selbstverständlich durfte auch das an-
mutige ,Stille Nacht‘ nicht fehlen. Und als
im Augenblicke der heiligen Wandlung, wo
wirklich alles im Staube lag, unser Stall
seinen eigentlichen, langersehnten Inhalt
erhielt, das göttliche Kindlein in ureigens-
ter Person, da flossen selbst manch hartem
Manne heiße Tränen in den bereiften Bart.
Umso freudiger und eindringlicher aber
kam aus den sangesfrohen, jugendlichen
Kehlen die dringliche Aufmunterung:
In dulci jubilo
Nun singet und seid froh,
Denn unseres Herzens Wonne
Liegt in praesepio!
Mit den freudigen Klängen des ,Großer
Gott wir loben dich!‘ fand unsere herzer-
hebende Christnachtfeier ihr Ende.
Der Frühgottesdienst am Weihnachtstage
galt den lieben Kranken im Lazarett. Christ-
kindlein bei seinen Lieblingen auf hartem
Schmerzenslager! Wie leuchteten die Augen
dieser Armen voll seeliger Weihnachtsfreude,
Christkindlein in ihrer Mitte zu haben und
sogar – seit langem wieder – in das trostbe-
dürftige Herz aufnehmen zu können.
Der dritte Gottesdienst am späten Vor-
mittag war wieder in unserem Stalle mit
derselben Feierlichkeit, mit Kommunion,
Kriegsgebet für seine Majestät, Segen mit
dem Allerheiligsten und Kaiserlied.
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2015
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HEIMATBLÄTTER
Der
Fotograf
Franz
Schneeber-
ger hielt
mehrfach
die ver-
schiedenen
Typen, alt
und jung,
des Lien-
zer Stand-
schützen-
Bataillons-
fest; rechts
vorne:
Karl
Achammer.
(Samm-
lung
Michael
Forcher,
Innsbruck)
Foto:
Franz
Schnee-
berger
Nachmittags feierliche Vesper!
So haben wir Weihnachten gefeiert,
Kriegsweihnachten 1915 auf hoher Alpe,
angesichts des Feindes. Nun wirst du die
Worte begreiflich finden, die ein alter
Graubart nach der mitternächtlichen
Mette gesprochen: ,A‘ wirklich schian
ischs gwösn. So etwas hätt i do auf der
Alm nit für mögla ghaltn. Und greart habn
a viele. Dös wear i mei Lebtag nie mehr
vergössn. So schian und ongreiferisch
ischs dahoam gwiß nöt gwösn!‘
Das ist Christkindleins Weihnachtsge-
schenk an die Soldaten. Je größer ihre
Opfer, desto inniger ihre Herzensfreude.
Nun bist du hoffentlich mit mir wieder
auf lange Zeit zufrieden. Grüß mir alle Be-
kannten. Dir und ihnen allen ein frohes,
friedenbringendes 1916!
Dein Freund
Feldkurat Sorà“
Das weitere Schicksal des Lienzer
Standschützen-Bataillons und des
Feldkuraten Hermann Sorà
Am 22. Jänner 1916 wurde das Lienzer
Bataillon für vier Wochen nach Olang in
Erholung („Retablierung“) geschickt; kurz
vorher konnte die im Bericht des Feldku-
raten angesprochene Kapelle fertig gestellt
und dem Heiligsten Herzen Jesu geweiht
werden.
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Zeitweise waren die Stellungen, die die
Lienzer zu verteidigen hatten, heiß um-
kämpft. Am 23. Mai 1916 kam der Ab-
marschbefehl. Feldmarschallleutnant Goi-
ginger sprach den angetretenen Soldaten
Anerkennung aus und dankte, dass es ge-
lungen sei,
„den verhassten Erbfeind vor
dem Eindringen auf die geliebte Tiroler
Sterbebildchen für den geistlichen Herrn
Hermann Sorà, der u. a. als Feldkurat des
Lienzer Standschützen-Bataillons wirkte,
1945; Druckerei Mahl, Lienz.
(Sammlung Walter Irsara, Bruneck)