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abkommen lassen‘; ,Herr Kaplan, kommen

Sie zu uns hinauf, auch zu räuchern!‘, so

hatten mich die Leute unterwegs gebeten.

Selbstverständlich erfüllte ich gern diese

Bitte. Das eigenartige Bild kannst du dir

nun vorstellen, wie der Feldkurat im tief-

verschneiten Hochgebirge in Chorrock und

Stola zu den einzelnen Hütten wandert, hin-

ter ihm betende Soldaten. Ergreifend

genug beim Gedanken an die nahen feind-

lichen Geschütze, vor deren verheerenden

Geschossen wir durch die Kraft des Gebe-

tes und den Segen der Kirche verschont zu

bleiben hoffen. Bedenklich nahe sind sie

uns schon öfters gekommen.

Abends herrschte in den einzelnen Unter-

ständen fröhliche Weihnachtsstimmung.

Christkindlein war schon eingekehrt und

hatte reichliche Weihnachtsgaben unter

den Christbaum gelegt. Christbaumfeier an

der Front! Ein schmuckes Bäumchen steht

auf dem Tisch im engen Unterstand. Aerm-

lich zwar ist sein Schmuck, aber umso heller

strahlen seine Kerzen. Und aus dem Geäste

blickt die liebe Gestalt des göttlichen Kind-

leins. Das segnende Händchen spendet rei-

chen Weihnachtsfrieden in die Herzen der

wackeren Kämpfer. Darum leuchten so froh

auch die Augen der Alten voll seligen

Glückes, wie einst in den Tagen der Kind-

heit. – Unter und neben dem Christbaum lie-

gen hoch aufgeschichtet die Christgeschenke.

Grüße sind es aus der teuren Heimat, Lie-

besgaben aus dem weiten Oesterreich. Wie

viel fleißige Hände haben da gearbeitet, wie-

viel Kinder ihre Christgaben geopfert, wie-

viel Arme sich vom Munde was abgespart,

um uns an der Front eine Freude zu machen!

O wie wohl tut dieses treue Gedenken, dieses

starke, opferfreudige Lieben derer im

Hinterlande hier in der Abgeschiedenheit, in

eisiger Winterkälte. Wie freut sich heute auch

der Verlassenste, heute hat auch an ihn

jemand gedacht. Habt Dank, ihr Lieben in

der Heimat, habt Dank, ihr Kinder! Wir dan-

ken’s euch, indem wir euer Vaterland schüt-

zen, schützend auch mit neuer Opferfreude

euer künftiges Weihnachtsglück, das treulose

Frevlerhand zerstören wollte.

Und nun geht‘s ans Verteilen. Jeder wird

reich bedacht. Zuerst kommt für jeden ein

hübscher Weihnachtszelten. Das ist der

Gruß der Lienzer. Unser lieber Freund,

Herr Bäckermeister Ortner, ist gerade noch

rechtzeitig beurlaubt worden, um seinen

langgehegten Plan, für alle Lienzer Stand-

schützen Zelten backen zu können, auszu-

führen. Das mag keine kleine Arbeit gewe-

sen sein! Dafür kann er sich aber auch

königlich freuen beim Gedanken an die

Freude, die er uns gemacht. Dann kommt

eine große Schachtel, ,Weihnachtsliebes-

gaben‘ steht darauf geschrieben. Mein

Freund N. kann natürlich seine Neugierde

nicht mehr zügeln. Er muss gleich wissen,

was drinnen ist. Schnell hat er geöffnet und

fängt nun an auszupacken. Was da alles

zum Vorschein kommt! Hemden, Strümpfe,

Zuckerln, Tabak, Zigaretten, Seife usw. Und

zu unterst noch ein Brieflein von einem

Bozner Schulmädchen, das da schreibt:

,Lieber Vaterlandsverteidiger! Weil ihr auf

den Bergen so mutig kämpft fürs liebe Va-

terland, will ich Dir eine Freude machen

und schicke Dir dieses Geschenk. Wir tun

auch für euch beten. Bitte um Antwort. Du

mußt mir aber gewiß schreiben. Wenn Du

mir nicht schreibst, nehme ich es Dir sehr

übel.‘ Allgemeine Heiterkeit.

Noch ein drittes Geschenk wurde jedem

eingehändigt, und war das schönste und

überraschendste: das Weihnachtsgeschenk

des Armeekommandanten Erzherzog Eugen.

Jeder Mann erhielt ein Bild des Erzherzogs

mit dessen Weihnachtswünschen, die Offi-

ziere aber einen Ring aus italienischem

Eisen mit den Initialen Erzherzog Eugens

und der Jahreszahl 1915 in wunderbarer

Ausführung. Kannst dir die Freude denken

und die Gefühle hoher Verehrung für den

allbeliebten Armeekommandanten, welche

sich allenthalben kundgaben.

Das war unsere Feier am Heiligen

Abend, welche sodann in zwangloser Un-

terhaltung und Heiterkeit in den einzelnen

Unterständen ihre Fortsetzung fand, bis

gegen Mitternacht. Da hieß es dann: Auf

nach Bethlehem auf der Alm!

Ja, wirklich ein Bethlehem! Alles war

da: die Hirten, das Christuskind und auch

– der Stall. Denn anders kann man füglich

den Unterkunftsraum nicht nennen, wo

gegenwärtig eine Halbkompagnie unter-

gebracht ist und wo vorläufig, bis der

Kapellenbau beendet ist, der Gottesdienst

abgehalten wird. Es ist dies eine armselige

und roh gezimmerte Hütte – stammt noch

von unseren Vorgängern hier oben – von

etwa 14 Meter Länge, 5 Meter Breite, in

der Mitte etwas über 2 Meter, an der Seite

1 Meter hoch. So groß wird zwar der Stall

von Bethlehem nicht gewesen sein, dafür

fehlt aber etwas, was selbst dort gewesen

zu sein scheint: das Stroh. An Stelle dessen

bildet Holzwolle das Lager der Soldaten.

Schon vor halb 12 Uhr war die Hütte ge-

drängt voll, daß man sich durch die Leute

durchzwängen mußte, um zum Altar zu

kommen, der vorne an der Wand aufgestellt

war. Dölsacher Zimmerleute hatten den

ganzen Tag gearbeitet, um einen festlichen

Weihnachtsaltar herzurichten. Und gut

haben sie‘s gemacht. Die Rückenwand und

ein Stück über die Mitte herein war mit

rotem Tuch ausgeschlagen; in der Mitte

das Kreuz, zu beiden Seiten zwei hübsche

Bilder (Spenden einer einstigen Dölsacher

Schülerin), 12 Wachskerzen auf prächtigen

Leuchtern, welche eine bekannte Frau aus

Lienz zum Altarschmuck gesandt hatte.

Auf dem Brettertisch steht eine funkel-

nagelneue Feldkapelle mit allen erforderli-

chen Meßgeräten und prächtigen Meßklei-

dern. Diese Feldkapelle wurde aus Spenden

verschiedener Wohltäter durch Gräfin Ga-

briele Schönburg-Chotek angeschafft und

durch das apostolische Feldvikariat der

Seelsorge des Standschützen-Bataillons

Lienz übersandt. Zu beiden Seiten des

Altars zwei gezierte Christbäumchen, vor

dem Altare ein Hängelämpchen für das

,ewige Licht‘ (Spende aus Bruneck). Wie

alle Lichter entzündet waren, bot das Ganze

einen herrlichen Anblick. Das Allerliebste

aber war ein herziges Christkindlein in

einem Krippchen auf Stroh gebettet. Das in

der Höhe, allen sichtbar, thronte. In frühe-

ren Weihnachtstagen stand es in einem

Schulzimmer und hunderte von glücklichen

Kinderaugen hatten freudig zu ihm empor-

geblickt. Nun haben es die Kleinen mit ihrer

guten Lehrerin den Soldaten geopfert. Da

sie selbst nicht konnten, sollte ihr liebes

Christkindlein an die Front und dort all die

tapferen segnen, beschützen, erfrommen und

reichen Weihnachtsfrieden ihnen bringen.

OSTTIROLER

NUMMER 11-12/2015

6

HEIMATBLÄTTER

Feldkurat Hermann Sorà in seiner Hütte im Lager der Lienzer

Standschützen, März 1916; kolorierte Fotografie.

(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)

Foto: Franz Schneeberger

Schuster nebst Zieltafel vor einer Baracke der Lienzer Stand-

schützen auf der Alpe La Stuva, April 1916.

(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)

Foto: Franz Schneeberger