Als am 28. Juli
1914 Österreich-Un-
garn dem Königreich
Serbien den Krieg
erklärte, war man all-
gemein der Meinung,
dass die militärischen
Auseinandersetzun-
gen in einigen Wo-
chen zu Ende und die
Soldaten spätestens
zu Weihnachten wie-
der zu Hause seien.
Niemand ahnte, dass
ein Weltkrieg entste-
hen könnte, der den
europäischen Konti-
nent durch etwas
mehr als vier Jahre in
Schrecken, Not und
Tod versetzen würde.
Um seine Gebiets-
ansprüche durchzu-
setzen, erklärte das
Königreich Italien
der Donaumonarchie
am 23. Mai 1915 den Krieg. Nun wurde
das Kronland Tirol mit seiner rund 350 Ki-
lometer langen Grenze zu Italien in das un-
mittelbare Kriegsgeschehen einbezogen.
Mit der Kriegserklärung erfolgte der
Aufmarsch des italienischen Militärs,
wobei eine Armee Tirol von Süden her
bedrohte. Seit dem Kriegsausbruch 1914
aber war das Land von Truppen entblößt,
was nun zu großer Sorge Anlass gab.
Wer waren die Standschützen?
In Bezug auf die Standschützen besteht
ein Zusammenhang mit dem legendären
Tiroler Landlibell vom 23. Juni 1511.
1
Wenn in der Literatur manchmal die Mei-
nung vertreten wird, es habe sich bis in das
19. Jahrhundert hinein oder sogar bis zum
Ende der Monarchie im Jahr 1918 ausge-
wirkt, so stimmt das nur bedingt, auch
wenn es nie dezidiert aufgehoben worden
ist. Die Entwicklung ist darüber hinweg
geschritten.
Im Landlibell war zunächst die zahlen-
mäßige Höhe der Aufgebote geregelt wor-
den. Sie richtete sich nach dem Ausmaß
der drohenden Gefahr: 5.000, 10.000,
15.000 oder 20.000 Mann. Es wurde auch
fixiert, dass bei einem überraschenden
feindlichen Einfall, bei dem es nicht mehr
möglich sei, mit dem regulären Aufgebot
rechtzeitig anzurücken, auf den Glocken-
streich oder die Anweisung durch die Ob-
rigkeit hin die gesamte wehrfähige männ-
liche Bevölkerung in einem „allgemeinen
Zuzug“ bis zum Eintreffen des Aufgebots
die Landesverteidigung übernehmen
müsse. Bei diesem allgemeinen Zuzug,
später „Sturm“, „Landsturm“ und „Sturm-
masse“ genannt, wurde die Dienstzeit
speziell geregelt, während sie beim nor-
malen Aufgebot einen Monat betrug. Es
wurde den Tirolern
zugestanden, nur die
Grenzen des eigenen
Landes verteidigen
zu müssen und nicht
auswärts eingesetzt
zu werden.
Es muss erwähnt
werden, dass mit
dem Landlibell noch
weitere Angelegen-
heiten geregelt wur-
den. Es gilt auch als
Grundlage und Aus-
gangspunkt der Tiro-
ler Landsteuer.
Die immer wieder
von den Landesfürs-
ten erlassenen Ord-
nungen, die nur Mobi-
lisierungs- und Auf-
marschpläne waren,
standen in keinem
Widerspruch zum sehr
geschätzten Landli-
bell. Noch in das 16.
Jahrhundert fällt die Ausrüstung eines Teils
des Aufgebotes mit Schusswaffen; von nun
an ist auch immer öfters von den „Schützen“
die Rede. Im 17. Jahrhundert wurden zahl-
reiche Schießstände mit Schützenmeistern an
der Spitze eingerichtet und damit das
Scharf- oder Scheibenschützenwesen geför-
dert. Gerade die Scharfschützen stellten eine
wirksame, vom Gegner gefürchtete Spezia-
lität der Tiroler Landesverteidigung dar. Die
Mehrheit des Aufgebots freilich, nun „Land-
miliz“ genannt, war nicht besonders gut aus-
gebildet, noch weniger war es der Land-
sturm.
Nach Ende der Napoleonischen Ära und
der Wiederangliederung Tirols an das Kai-
sertum Österreich wurden auch hier 1815
die Konskription eingeführt, d. h. die Aus-
hebung von Truppen, und das Tiroler
Jägerregiment aufgestellt. Daneben aber
gab es noch den Zuzug, das Aufgebot, nun
NUMMER 11-12/2015
83. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
„Weihnachten bei den Standschützen“, Weihnachtskarte des Kriegsfürsorgeamtes
Bozen-Gries nach einem Entwurf von Albin Egger-Lienz, 1915; Druck: Tyrolia, Bozen.
(Sammlung Ute Pizzinini, Völs)
Rep.: M. Pizzinini
Meinrad Pizzinini
„Wie die Lienzer Standschützen
Weihnachten feierten“, 1915
Weihnachten im Hochgebirge vor 100 Jahren. Ein Bericht von Feldkurat Hermann Sorà