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Wohl lang ist’s her, daß du meine letzte

Nachricht vom Felde erhalten hast. Und

weil du so neugierig bist und dich riesig

interessierst, wie es deinen Bekannten vom

Lienzer Bezirk geht, muß ich dir schon ein-

mal etwas ausführlicher Bericht erstatten.

Am meisten wird es dich wundern, zu er-

fahren, wie wir hier an der welschen Grenze

Weihnachten gefeiert haben. Nun, damit du

gleich vomWunder kommst, kann ich dir im

Vorhinein schon sagen: Schön, freudig, ja

sogar feierlich haben wir Weihnachten ge-

feiert. So schön war‘s, daß es heute jeden

freut, das mitgemacht zu haben. Gar anhei-

melnd war schon der Heilige Abend.

Du musst wissen, daß wir im Lager eine

förmliche Siedelei haben, ein kleines Dörf-

chen mit über zweihundert Einwohnern.

Mitten durchs Lager führt eine breite

Straße, auf welcher tagsüber ein Verkehr

herrscht wie in einer Stadt. Auf beiden Sei-

ten der Straße liegen im Walde versteckt

Hütten und Blockhäuser. Daß man‘s sich da

drinnen so bequem macht, wie es eben auf

einer Alpe geht, ist wohl selbstverständlich.

Es schaut bei uns aus wie in einem abgele-

genen Bergdörflein zuhinterst im Alpental.

Natürlich werden auch Sitten und Gebräu-

che auch hier beobachtet wie daheim. So

kannst du zum Beispiel, wenn du abends bei

den einzelnen Hütten einen Besuch machst,

überall laut Rosenkranzbeten hören mit ver-

schiedenen Gebeten und Anweisungen am

Schluß, die dir vielleicht neu wären. Wenn

man das hört, dann kann man sich auch den

wunderbaren Schutz erklären, den gerade

die Standschützen im Kampfe haben.

Am Heiligen Abend nun mußte die

Abendandacht doch etwas feierlicher ge-

halten werden. Darum war gemeinsamer

Rosenkranz in unserer improvisierten Ka-

pelle. Wie die ausschaut, werde ich dir spä-

ter beschreiben. Nach dem Rosenkranz war

dann ,Hausräucherung‘ angesagt. Wie da-

heim wollten‘s die Schützen auch im Kriege

haben, denn ,alte Bräuche darf man nicht

bezog man die Stellungen Il Falé, Gottres-

Sattel und Croda di Ancona

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und gleich

am nächsten Tag erfolgte die „Begrüßung“

durch italienisches Artilleriefeuer. Immer

wieder kam es zu Kampfhandlungen,

wobei auch Tote und Verletzte zu beklagen

waren. Am 10. November wurden die

Lienzer Standschützen mit Auszeichnun-

gen dekoriert: 5 erhielten die silberne, 14

die bronzene Tapferkeitsmedaille.

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Am meisten Aufsehen im ganzen Baon

erregte Karl Achammer; er war nicht nur

der kleinste, sondern auch der jüngste

Standschütze, der sich – noch nicht einmal

15 Jahre alt – zu den Standschützen mel-

dete. Immer wieder wurde er für seinen

Einsatz belobigt. Erzherzog Eugen, Kom-

mandant der Südwestfront, spendierte ihm

eine silberne Uhr mit seinen Initialen und

Widmungsschreiben.

Das Jahr neigte sich dem Ende zu. Wohl

kaum einer der Standschützen hatte damit

gerechnet, Weihnachten nicht bei der Fa-

milie, sondern im Hochgebirge in Kälte,

bei Schnee und Eis zu verbringen. Über

den Ablauf des Festes verfasste der Feld-

kurat des Lienzer Bataillons, Hermann

Sorà, einen ausführlichen Bericht, der

nach genau hundert Jahren besonders le-

senswert ist. Der Bericht, in den „Lienzer

Nachrichten“ vom 31. Dezember 1915

veröffentlicht, sollte wohl auch die Ver-

wandten in der Heimat beruhigen und

ihnen das Gefühl vermitteln, dass es den

Männern in der Ferne relativ gut gehe. Er

spricht von der weihnachtlichen Stim-

mung, der Einhaltung der immer gepfleg-

ten alten Bräuche mit Christbaum und

Räuchern, den eingelangten „Liebesga-

ben“ als Geschenken und dem Abhalten

feierlicher Gottesdienste.

Der Feldkurat richtete seine Schilderung

an einen wohl fiktiven Freund:

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„Wie die Lienzer Standschützen Weih-

nachten feierten.

Lieber Freund!

OSTTIROLER

NUMMER 11-12/2015

5

HEIMATBLÄTTER

Anfang August 1915 unternahm Albin

Egger eine achttägige Besichtigungsfahrt

an die Dolomitenfront und stellte die ge-

wünschte sechsteilige Ansichtskartenserie

fertig. Die Karten, im Verlag Johann F.

Amonn in Bozen erschienen, tragen auf

der Rückseite die Aufschrift: „Offizielle

Karte für Rotes Kreuz, Kriegsfürsorgeamt,

Kriegshilfsbüro und die Tiroler Stand-

schützen“. – Egger-Lienz schuf auch die

Ansichtskarte mit dem Titel „Weihnachten

bei den Standschützen“, Weihnachtskarte

des Kriegsfürsorgeamtes Bozen-Gries. –

Im Dezember 1915 erschien auch Eggers

große Vierfarbenlithographie „1915“.

Albin Egger-Lienz arbeitete nochmals, als

„Kriegsmaler in Civil“, von Mitte Jänner bis

Mitte Feber 1916 in Folgaria (Vielgereuth)

nordöstlich von Rovereto und im Mai 1916

in Trient, wobei er dort nachhaltige Ein-

drücke anlässlich der österreichischen

Offensive bei Aldeno gewann. Damit war

sein offizieller „Kriegseinsatz“ zu Ende.

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Mit dem Krieg freilich beschäftigte er sich

noch sehr viel. Der gedankliche Weg führte

Egger-Lienz von der ersten Begeisterung zu

den tiefsinnigen Werken der Nachkriegszeit

wie die „Namenlosen“, „Kriegsfrauen“

oder „Finale“, die als Anti-Kriegsbilder zu

charakterisieren sind.

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Weihnachten 1915 beim Lienzer

Standschützen-Bataillon

Für die vier Kompanien des Lienzer

Standschützen-Baons langte am 11. Sep-

tember 1915 der Befehl ein, nach Lienz zu

marschieren. Nach einem feierlichen Ab-

schiedsgottesdienst wurde am 15. Septem-

ber frühmorgens das ganze Bataillon mit

dem Zug durch das Pustertal bis St. Lo-

renzen westlich der Stadt Bruneck trans-

portiert. Von dort ging es mit Fußmarsch

hinein ins Gadertal und in der Dunkelheit

hinauf auf die Alpe La Stuva, wo die

Standschützen aus dem Nordtiroler Ober-

land abgelöst wurden. Am 19. September

Die mit „Pfarrhof“ beschriftete Baracke im Lager der Lienzer

Standschützen im hinteren Gadertal, am Balkon stehend Feld-

kurat Hermann Sorà, April 1916; kolorierte Fotografie.

(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)

Foto: Franz Schneeberger

Vorbereitung der Feldmesse mit dem Lienzer Standschützen-

Bataillon auf der Alpe La Stuva im Frontabschnitt Gadertal,

8. März 1916; kolorierte Fotografie.

(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)

Foto: Franz Schneeberger