Ausgehend von seinen Erfahrungen bei
den Standschützen an der Front, machte
sich Egger-Lienz die Mühe, einerseits
einen Vergleich zwischen 1809 und 1915
zu ziehen und andererseits „Tipps“ zu
geben, wie der ohnehin strapaziöse Dienst
bei den Standschützen vor allem für die
älteren Männer besser zu ertragen sei. Sein
Artikel wurde am 16. Juli 1915 in den
„Lienzer Nachrichten“ veröffentlicht:
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„1809-1915 – Bei der erhebenden Tat-
sache daß im Kriege gegen Italien in Tirol
ein großer Teil der 60jährigen Männer
sich freiwillig an die Front begibt und daß
neben den 60jährigen sehr häufig auch
16jährige kämpfen oder des Kampfes har-
ren, wird die Erinnerung an die helden-
mütigen Kämpfe der Tiroler von Anno
Neun im vergleichenden Lichte lebendig.
Von den moralischen Motiven natürlich
abgesehen, denn sie sind im Grunde die
gleichen, wenn auch noch zur alten Kai-
sertreue das Moment des allgemeinen
deutschen Gedankens heute wie nie vorher
im Tiroler Volke zum lebendigen Bewußt-
sein sich erhebt, erscheint die Kriegs-
dienstleistung der Väter von Anno Neun
doch eine wesentlich andere. Dr. Hirn
schreibt in seinem Buche: ‚Tirols Erhe-
bung im Jahre 1809‘: ‚… In Kaiser Maxi-
milians Landlibell von 1511 war Tirol als
eine Festung gedacht, deren Bewohner
sich im Augenblick der Gefahr freiwillig zu
verteidigen hätten, dies, nicht weniger,
aber auch nicht mehr lebte als Volkstradi-
tion fort trotz aller späterer Versuche,
durch Organisierung eines Landmiliz-
dienstes den allzu vagen Maximilianischen
Anordnungen den modernen Bedürfnissen
anzupassen. Dienst außer Lande, Dienst
nach einem genau bemessenen Reglement,
das wolle dem Tiroler nicht in den Kopf …‘
War es doch noch Anno Neun die
schwierigste Aufgabe der Führer, die
männliche Bevölkerung mehr als drei Tage
auf dem Kriegsschauplatze festzuhalten.
Vater, Sohn und Knecht eilten schleunigst
nach jedem Treffen nach Hause, besorgten
die Wirtschaft, bestellten das Feld und
pflegten sich wieder an nahrhafter Kost,
und dem unentbehrlichen Wein. Sie kämpf-
ten und waren ‚im Felde bei häuslicher
Pflege‘, aber die durch die Natur des da-
maligen Volkskrieges gewährleistete Frei-
zügigkeit förderte den Geist der individu-
ellen Betätigung des Einzelnen, die Mög-
lichkeit, ganz auf eigene Faust dem
Feinde durch eine gewagte Tat zu schaden,
gab diesen kriegerischen Unternehmungen
in ihrer Freiheit nicht zuletzt den Charak-
ter der ‚Jagd‘, dieser in der Natur des Tie-
res wie der Menschen begründete und bei
einem Gebirgsvolke, wie dem der Tiroler,
besonders stark verwurzelten Passion.
Diesen alten eingeborenen Bedürfnissen
und Gewohnheiten steht der heute unver-
meidliche militärische Zwang gegenüber,
dem sie sich in der Erkenntnis der Not-
wendigkeit, jung oder alt, alle gern fügen
und es ist bezeichnend für die traditionelle
Festigkeit des Pflichtgefühls, daß keiner
dieser vielen ‚Alten‘ sich während seines
vierwöchentlichen Felddienstes an der ita-
lienischen Front trotz der großen Strapazen
‚marod‘ gemeldet hat, was bei dem Alter
dieser Leute was heißen will. ‚An Leps
wenn m’r halt hätten‘ war der einzige be-
scheidene Wunsch, besonders der Südtiro-
ler, die an diesen landüblich dünnen Wein
seit Lebzeiten gewöhnt sind und ihn schwe-
rer entbehren, als vielleicht alle anderen
dem Alter zukömmlichen Bedürfnisse.
Wenn man nun billig in Betracht zieht,
dass diese alten Leute freiwillig alle mili-
tärischen Strapazen und Zwang, vorzüg-
lich an der Front, nicht scheuen, ja den Au-
genblick, wo sie ihr Leben in die Schanze
schlagen können, ebenso wie die Jungen,
gemessen entgegensehen, verstattet es sich
wohl, die Aufmerksamkeit der Landesver-
teidigungsfaktoren im Sinne einer mög-
lichsten Berücksichtigung der Landesver-
teidiger über 50 Jahre auf jene Milderung
der Entbehrungen zu lenken, welche die
Vorfahren, wie oben erwähnt, z. B. vor 100
Jahren, wo sie sich schon durch den Cha-
rakter des damaligen Verteidigungswesens
von selbst ergaben, teilhaftig waren.
Vor allem versorge man diese Leute
reichlich mit einem leichten, dem Leps
ähnlichen Landwein, ein ½ oder ¾ Liter
täglich ist hinreichend; da das Wasser dort
nicht einwandfrei ist, wäre auch der Ge-
fahr der Krankheit damit vorgebeugt. Bes-
sere Schlafgelegenheit (Strohsäcke mit
guten Decken), möglichste Trockenheit der
Luft im Schlafraume, fettere Menage, was
mit ‚weniger‘ ausgeglichen werden könnte.
So wertvolle Kräfte, wie sie ein drittes
freiwilliges Aufgebot unseres Volkes dar-
stellen, verdienen sicherlich diese Einsicht
der Heeresleitung, denn sie bilden in un-
serem ruhmreichen Heere ein der stolzen
Tradition würdiges, gesundes, kräftiges
Glied auch in diesem Kriege.
Egger-Lienz“
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2015
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HEIMATBLÄTTER
Das Lienzer Standschützen-Bataillon am Mortbichl, Nähe Thal-Assling, Sommer 1915;
kolorierte Fotografie.
(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)
Foto: Franz Schneeberger
Lager auf der Alpe La Stuva im hinteren Gadertal, wo ein Teil des Lienzer Standschüt-
zen-Bataillons untergebracht war, April 1916.
(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)
Foto: Franz Schneeberger