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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JUNI/JULI 2018

8

Auf einem einsamen

Karl L. ist heute 86 Jahre alt. „Bis heute bin ich klar im Kopf und nicht an Schizophrenie erkrankt.

Dafür bin ich dem Herrgott sehr dankbar.“

Lebensraum

Seminarzentrum:

Braco‘s Gabe –

sein gebender

Blick

Freitag, 6. Juli,

Kultursaal,

Sillian, Beginn: 3. Sessions

– 17 Uhr / 18 Uhr / 19 Uhr

„Das Leben ist immer wert,

gelebt zu werden“, sagt

Braco, und bietet seinen

Blick all‘ Denjenigen an,

die ihn erleben möchten.

Der Blick, von dem manche

Menschen sagen, dass er

ihnen geholfen hat, sich

wieder für das Leben zu

öffnen. Braco‘s Blicke

können das Potenzial

steigern, neue Hoffnung

und Kraft zu erlangen.

Braco betont, dass er kein

Heiler ist, und er gibt kei-

nerlei Heilungsversprechen.

Im Gegenteil, er bietet an,

etwas mit uns zu teilen, was

er um uns und in uns emp-

findet, und was die Harmo-

nie und das Gleichgewicht

wiederherstellen kann.

Während einer Begegnung

spricht Braco nicht, er be-

rührt die Menschen nicht,

und er bewegt sich dabei

nicht. Und so sieht eine Be-

gegnung mit Braco‘s Blick

bei einem Live-Event aus:

Nach der Begrüßung werden

einführende Informationen

über ihn weitergegeben und

manchmal auch ein kurzer

Film gezeigt. Danach betritt

Braco die Bühne. Er steht

vor einer Menschengruppe,

die bis zu einigen hundert

Menschen und mehr um-

fassen kann. Während der

5 bis 7 Minuten, die die

Begegnung mit seinem

Blick dauert, wandert sein

Blick mehrfach über die

Gruppe. Er stellt keine

Diagnosen und führt keine

Behandlungen durch. Infos:

www.lebensraum.center

Anmeldungen unter:

office@lebensraum.center

132950

Als Karl noch ein kleiner

Bub war, verstarb seine Mutter

an Krebs. Er war das einzige

Kind seiner Eltern. Allein mit

demVater auf dem kleinen Hof,

ein großes Stück entfernt von

der Zivilisation, wurde es für

Karl aber besonders schwierig.

Was damals niemand erkannte

und niemand davon sprach: Der

Vater war schizophren. „Seine

psychische Störung, bei der

seine Gedanken und Wahrneh-

mungen ja verändert sind, ge-

hörte zu meinem Aufwachsen

dazu. Ich dachte immer, dass

sein Verhalten normal sei, ob-

wohl ich sehr darunter litt. Aber

damals erzählte ich von meinen

Empfindungen freilich nieman-

dem. Ich schämte mich für mei-

nen Vater, weil ich sehr wohl

mitbekommen hatte, dass die

meisten ihn als Spinner ab-

stempelten.“

Starker Wechsel

Wenn Karl von der Schule

nachhause kam, schrie ihn sein

Vater oft plötzlich an. „Ich sei

ein Schweinehund, der nichts im

Haus verloren habe. Er jagte

mich vor die Tür, um mich fünf

Minuten später wieder zurück-

zuholen. Als völlig veränderter

Mensch, der mich mit netter

Stimme fragte, ob ich denn nicht

Hunger habe. Dann bereitete er

mir eine Mahlzeit zu.“ Nicht sel-

ten passierte es, dass er ihm

dann plötzlich den Löffel aus

der Hand riss und ihn anschrie,

warum Karl alles wegesse. Die

Stimmungen des Vaters waren

unberechenbar. „Das machte

mir sehr zu schaffen. Ich konnte

tun was ich wollte, die Liebes-

würdigkeit des Vaters ging in

Bruchteilen von Sekunden in ex-

treme Aggression über – ohne

offensichtlichen Grund. Wenn

ich meinen Vater, sobald er

‚guter Laune‘ war, darauf an-

sprach, tat er so, als wäre nichts

gewesen. Er lachte nur und

meinte, dass ich nicht immer

alles so tragisch nehmen solle,

wenn man mit ihm schimpfe.“

„Kampf“ gegen die

Soldaten

Immer wieder, als Karl schon

zu Bett gegangen war, hörte er

vor der Türe lautes Schreien.

„Irgendwann stand ich dann gar

nicht mehr auf, denn ich wusste,

dass es der Vater war. Er

kämpfte meistens gegen eine

‚Übermacht an Soldaten‘ in sei-

nem Kopf. Er schlug wild um

sich, schmiss verschiedene Ge-

genstände um sich. Irgendwann

war es wieder ruhig. In der Früh

fand ich ihn wieder in ruhiger

Stimmung vor.“ Karl hörte von

seinem Vater auch immer sehr

haarsträubende Geschichten, die

sich meist als unwahr heraus-

stellten. „Einmal sagte er mir,

dass ich heute nicht in die

Schule müsse, denn der Herr

Lehrer sei verstorben. Ein ande-

res Mal sagte er mir, dass erneut

der Krieg ausgebrochen und die

Feinde schon in unserem Tal

seien.“ Die meiste Zeit betreute

Karl sich selbst. Die einzig

schöne Zeit des Tages war für

ihn in der Schule und wenn er

alleine im Wald sein konnte.

„Heile“ Welt

Gut kann sich Karl noch er-

innern, als so mancher Mitbür-

ger (wie der Pfarrer oder der

Lehrer) zum einsamen Hof

emporstieg, um nach dem

Rechten zu sehen. „Doch

immer wieder schaffte es der

Vater, eine halbwegs heile Welt

vorzuspielen. Er servierte den

Personen mit größter Aufmerk-

samkeit Schnaps und eine

Jause, und schon bald waren sie

wieder verschwunden. Oft war

Karl L. (86) musste als Kind sein Dasein bei seinem an Schizophrenie

erkrankten Vater fristen – auf einem entlegenen kleinen Bauernhof im

Pustertal.