OSTTIROLER
NUMMER 10-11/2017
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HEIMATBLÄTTER
uns im Gedächtnis der Alten erhalten
blieb, vielfach entweder zu niedlich oder
gröbisch und hat den tieferen Sinn dieser
hochzeitlichen Vorführungen verloren.
Möchten sich doch Reimeschmiede finden,
das Alte wieder gut und sinnvoll aufzu-
frischen.
Trachten
Über die Tracht im Hochpustertal sagt
Weber, die Kleidung hätte „bei beiden Ge-
schlechtern wenig Anziehendes.“
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Die
Volkstracht im Niederpustertal
[bei Weber:
Lienz]
aber gehöre zu den schönsten und
anmutigsten in ganz Tirol. „Der junge
Mann trägt einen mäßig weitscheibigen,
grünen Hut mit einer Trutzfeder, oft auch
mit einem Blumenstrauß geschmückt, eine
lange Jacke aus braunen Loden, die ihm
fast auf die Kniee reicht, ein buntseidenes
Halstuch lose um den weißen Hemdkragen
gewunden und verschlungen auf der Brust
herniederhängend, eine lederne Hose, die
mit stattlichen Hosenträgern an den
Schultern befestigt, und um die Mitte des
Leibes einen ledernen Gurt, der mit schö-
nen Stickereien aus Pfaufederkielen ge-
schmückt ist. Die Kniee trägt er nackt.
Weißwollene, gemodelte Strümpfe mit
schönen Zwickeln verziert und weitausge-
schnittene Schuhe, oft rot eingefaßt und ge-
bändert, vervollständigen den Anzug;
diese Tracht aber wird immer seltener, der
kurze, städtische Rock macht bedauerliche
Fortschritte. Das weibliche Geschlecht
kleidet sich ebenfalls sehr zierlich und die
Gestalt tritt mit Vorteil zu Tage. Der grüne
Hut ist auf dem Lande schmäler, in der
Stadt breiter und mit Riesenbändern ge-
schmückt, nimmt er sich überaus kleid-
sam
[bei Weber: sehr gut]
aus.“
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Dem
fortschreitenden Verfall der Land- und
Taltrachten gibt Ignaz Zingerle mit den
Entwicklungen des modernen Verkehrs
wehmütigen Abschied. Eisenbahn, Frem-
denverkehr und Landflucht ist schuldtra-
gend, dass der Bauer mit seinem Stande
immer unzufriedener wird, der Stadt
immer mehr nachartet und vor allem die
Tracht der Väter zu verschmähen beginnt.
Er schreibt unter anderem dazu: „Es
haben bereits in jedem Thale mehr und
weniger die langen Hosen schon ihren
Einzug gehalten und mit ihnen die Ge-
ringschätzung des Altherkömmlichen. Wo
die alte, schöne Tracht dem gefrässigen
Götzen der Zwittermode geopfert wird, lä-
cheln auch die zigarettenschmauchenden
Enkel über die Meinungen und Sitten ihrer
biederen Ahnen.“
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Zur Zeit, als Zingerle dies niederschrieb,
war es wirklich so, als ob das Ende der
Altvätertracht auch in Osttirol nahen
würde, wenngleich es noch selbst in nächs-
ter Umgebung von Lienz, als rühmendes
Beispiel sollte vor allem der Gaimberg ge-
nannt werden, Dörfer gab, in denen man
beim sonntäglichen Gottesdienst noch kein
„hearisches Fatzle“ erblicken konnte.
Umso verheerender begann die Unsitte des
städtischen Nachäffens im Oberland, im
Iseltal, und in der Nikolsdorfergegend ein-
zureißen.
Aber bereits in den Jahren 1936 bis 38
begannen einsichtige Mahner dagegen an-
zukämpfen, in Wort und Schrift dem Bau-
ernvolke Osttirols, das so lange seine
Eigenart bewahrte, vorzuhalten, dass es
seine beste und schönste Festfreude ver-
lustig werde, wenn es die prachtvolle
Prangtracht mit einem schon aus der neu-
esten Mode geratenen Stadtkleid zu ver-
tauschen beginne, oder die herrlichen Alt-
vätertrachten um mehr als billiges Geld
dem Sammler verkaufe und vertausche.
Was in den Notzeiten der Nachkriegsjahre
1918 bis 1938 an altem, wertvollem Bau-
ernhausrat und schöner Festgewandung in
die Hände […d]er Händler geriet, ist nie
mehr gutzumachen, denn die Kostbarkei-
ten sind längst in aller Herren Länder ver-
streut. Die Bestrebungen der letzten Jahre
waren trotz Krieg und äußerster Anspan-
nung dahin gerichtet, der Landflucht zu
steuern und dem Bauernvolk nahe zu brin-
gen, dass es mit dem Verschmähen von
Leinwand und Linnen, von selbstgemach-
ter Bauernpracht auch an Art und Wesen
an seinem Besten verlustig ginge. Osttirol
ist das kleine, weltabgeschiedene Länder-
dreieck, in dem sich Brauch und Sitte von
mehr als 1000 Jahren noch lebendig und
tatfroh erhalten haben, wie nirgends
sonst im deutschen Alpenland, ebenso ver-
hält es sich mit seiner Landes-, Tal- und
Dorftracht, die fast überall noch in Ehren
gehalten wird. Das ist nicht das kleinste
Verdienst der einzigen, kleinen Osttiroler
Dolomitenstadt Lienz, von der aus zur Er-
haltung der Altvätertracht immer wieder
neuer Impuls und freudige Anregung ins
Bergland hinein- und hinausgedrungen ist.
Die Votivbilder alter Wallfahrtskirchen
sprechen ein beredtes Zeugnis, dass die
Bürgertrachten von Altlienz von den
Dorf- und Taltrachten nicht viel abgewi-
chen sind. Wahrscheinlich ist es, dass die
bäuerliche Bevölkerung von ihrer einst an-
sehnlichen Metropole, der Residenzstadt,
aus befruchtet wurde, und was sich die
Stadtler an Kaufzeug leisten konnten, ahm-
ten die Bauern mit viel Geschick und an-
geborenem Schönheitssinn in Loden und
Leinwand nach, aus dem die Hauptklei-
dung bestand. Was es da noch an Mengen
Zubehör gab, für Schürzen, Aufputz, Ver-
brämung, Futter, Vorstoß und Belege, zeigt
uns das Inventar eines ländlichen Kra-
merladens um 1794 beim Bichlgeiger in
Anras, das uns Frau Elsbeth Angerle in
den Ostt. Heimatblättern einmal mitteilt
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[und das Wibmer-Pedit zum Teil mit eige-
nen Worten und etlichen Einfügungen im
Folgenden wiedergibt].
Bei den vielen feinen Tuchen
[Tuch =
Wollgewebe]
handelt es sich wohl auch um
Hochzeits- und Festtagsröcke für Männer
von bürgerlicher Herkunft. Da gibt es Car-
mosintuch
[carmosin = hochrot, gefärbt
durch Cochenille = Farbstoff der Schild-
laus],
Braunauertuch
[aus Braunau],
Frauentracht aus dem Pustertal, Atelier-
aufnahme, 1870/1875.
(TAP – Stadtgemeinde Lienz)
Foto: Georg Egger
Kolorierte Postkarte „Tiroler Trachten:
Lienz“, Verlag Stengel & Co., Dresden und
Berlin, um 1900.
(Oberösterreichisches Landesmuseum,
Linz, Bildarchiv Sammlung Volkskunde
und Alltagskultur [B II – 7 – 35])
Frauentracht im Defereggental, Atelier-
aufnahme, 1870/1875.
(TAP – Stadtgemeinde Lienz)
Foto: Georg Egger