Previous Page  4 / 8 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4 / 8 Next Page
Page Background

OSTTIROLER

NUMMER 10-11/2017

4

HEIMATBLÄTTER

uns im Gedächtnis der Alten erhalten

blieb, vielfach entweder zu niedlich oder

gröbisch und hat den tieferen Sinn dieser

hochzeitlichen Vorführungen verloren.

Möchten sich doch Reimeschmiede finden,

das Alte wieder gut und sinnvoll aufzu-

frischen.

Trachten

Über die Tracht im Hochpustertal sagt

Weber, die Kleidung hätte „bei beiden Ge-

schlechtern wenig Anziehendes.“

12

Die

Volkstracht im Niederpustertal

[bei Weber:

Lienz]

aber gehöre zu den schönsten und

anmutigsten in ganz Tirol. „Der junge

Mann trägt einen mäßig weitscheibigen,

grünen Hut mit einer Trutzfeder, oft auch

mit einem Blumenstrauß geschmückt, eine

lange Jacke aus braunen Loden, die ihm

fast auf die Kniee reicht, ein buntseidenes

Halstuch lose um den weißen Hemdkragen

gewunden und verschlungen auf der Brust

herniederhängend, eine lederne Hose, die

mit stattlichen Hosenträgern an den

Schultern befestigt, und um die Mitte des

Leibes einen ledernen Gurt, der mit schö-

nen Stickereien aus Pfaufederkielen ge-

schmückt ist. Die Kniee trägt er nackt.

Weißwollene, gemodelte Strümpfe mit

schönen Zwickeln verziert und weitausge-

schnittene Schuhe, oft rot eingefaßt und ge-

bändert, vervollständigen den Anzug;

diese Tracht aber wird immer seltener, der

kurze, städtische Rock macht bedauerliche

Fortschritte. Das weibliche Geschlecht

kleidet sich ebenfalls sehr zierlich und die

Gestalt tritt mit Vorteil zu Tage. Der grüne

Hut ist auf dem Lande schmäler, in der

Stadt breiter und mit Riesenbändern ge-

schmückt, nimmt er sich überaus kleid-

sam

[bei Weber: sehr gut]

aus.“

13

Dem

fortschreitenden Verfall der Land- und

Taltrachten gibt Ignaz Zingerle mit den

Entwicklungen des modernen Verkehrs

wehmütigen Abschied. Eisenbahn, Frem-

denverkehr und Landflucht ist schuldtra-

gend, dass der Bauer mit seinem Stande

immer unzufriedener wird, der Stadt

immer mehr nachartet und vor allem die

Tracht der Väter zu verschmähen beginnt.

Er schreibt unter anderem dazu: „Es

haben bereits in jedem Thale mehr und

weniger die langen Hosen schon ihren

Einzug gehalten und mit ihnen die Ge-

ringschätzung des Altherkömmlichen. Wo

die alte, schöne Tracht dem gefrässigen

Götzen der Zwittermode geopfert wird, lä-

cheln auch die zigarettenschmauchenden

Enkel über die Meinungen und Sitten ihrer

biederen Ahnen.“

14

Zur Zeit, als Zingerle dies niederschrieb,

war es wirklich so, als ob das Ende der

Altvätertracht auch in Osttirol nahen

würde, wenngleich es noch selbst in nächs-

ter Umgebung von Lienz, als rühmendes

Beispiel sollte vor allem der Gaimberg ge-

nannt werden, Dörfer gab, in denen man

beim sonntäglichen Gottesdienst noch kein

„hearisches Fatzle“ erblicken konnte.

Umso verheerender begann die Unsitte des

städtischen Nachäffens im Oberland, im

Iseltal, und in der Nikolsdorfergegend ein-

zureißen.

Aber bereits in den Jahren 1936 bis 38

begannen einsichtige Mahner dagegen an-

zukämpfen, in Wort und Schrift dem Bau-

ernvolke Osttirols, das so lange seine

Eigenart bewahrte, vorzuhalten, dass es

seine beste und schönste Festfreude ver-

lustig werde, wenn es die prachtvolle

Prangtracht mit einem schon aus der neu-

esten Mode geratenen Stadtkleid zu ver-

tauschen beginne, oder die herrlichen Alt-

vätertrachten um mehr als billiges Geld

dem Sammler verkaufe und vertausche.

Was in den Notzeiten der Nachkriegsjahre

1918 bis 1938 an altem, wertvollem Bau-

ernhausrat und schöner Festgewandung in

die Hände […d]er Händler geriet, ist nie

mehr gutzumachen, denn die Kostbarkei-

ten sind längst in aller Herren Länder ver-

streut. Die Bestrebungen der letzten Jahre

waren trotz Krieg und äußerster Anspan-

nung dahin gerichtet, der Landflucht zu

steuern und dem Bauernvolk nahe zu brin-

gen, dass es mit dem Verschmähen von

Leinwand und Linnen, von selbstgemach-

ter Bauernpracht auch an Art und Wesen

an seinem Besten verlustig ginge. Osttirol

ist das kleine, weltabgeschiedene Länder-

dreieck, in dem sich Brauch und Sitte von

mehr als 1000 Jahren noch lebendig und

tatfroh erhalten haben, wie nirgends

sonst im deutschen Alpenland, ebenso ver-

hält es sich mit seiner Landes-, Tal- und

Dorftracht, die fast überall noch in Ehren

gehalten wird. Das ist nicht das kleinste

Verdienst der einzigen, kleinen Osttiroler

Dolomitenstadt Lienz, von der aus zur Er-

haltung der Altvätertracht immer wieder

neuer Impuls und freudige Anregung ins

Bergland hinein- und hinausgedrungen ist.

Die Votivbilder alter Wallfahrtskirchen

sprechen ein beredtes Zeugnis, dass die

Bürgertrachten von Altlienz von den

Dorf- und Taltrachten nicht viel abgewi-

chen sind. Wahrscheinlich ist es, dass die

bäuerliche Bevölkerung von ihrer einst an-

sehnlichen Metropole, der Residenzstadt,

aus befruchtet wurde, und was sich die

Stadtler an Kaufzeug leisten konnten, ahm-

ten die Bauern mit viel Geschick und an-

geborenem Schönheitssinn in Loden und

Leinwand nach, aus dem die Hauptklei-

dung bestand. Was es da noch an Mengen

Zubehör gab, für Schürzen, Aufputz, Ver-

brämung, Futter, Vorstoß und Belege, zeigt

uns das Inventar eines ländlichen Kra-

merladens um 1794 beim Bichlgeiger in

Anras, das uns Frau Elsbeth Angerle in

den Ostt. Heimatblättern einmal mitteilt

15

[und das Wibmer-Pedit zum Teil mit eige-

nen Worten und etlichen Einfügungen im

Folgenden wiedergibt].

Bei den vielen feinen Tuchen

[Tuch =

Wollgewebe]

handelt es sich wohl auch um

Hochzeits- und Festtagsröcke für Männer

von bürgerlicher Herkunft. Da gibt es Car-

mosintuch

[carmosin = hochrot, gefärbt

durch Cochenille = Farbstoff der Schild-

laus],

Braunauertuch

[aus Braunau],

Frauentracht aus dem Pustertal, Atelier-

aufnahme, 1870/1875.

(TAP – Stadtgemeinde Lienz)

Foto: Georg Egger

Kolorierte Postkarte „Tiroler Trachten:

Lienz“, Verlag Stengel & Co., Dresden und

Berlin, um 1900.

(Oberösterreichisches Landesmuseum,

Linz, Bildarchiv Sammlung Volkskunde

und Alltagskultur [B II – 7 – 35])

Frauentracht im Defereggental, Atelier-

aufnahme, 1870/1875.

(TAP – Stadtgemeinde Lienz)

Foto: Georg Egger