OSTTIROLER
NUMMER 3-4/2017
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HEIMATBLÄTTER
Hier lebt man unter Italien, gut u. sicher.
Wie sieht es dagegen in Innsbruck od. gar
Wien aus. Ich war gerade in Innsbruck als
die Hungerkrawalle waren – – Aber nun
die Hauptsache: Wie geht es dir und den
deinen? Habe schon lange nichts mehr von
dir gehört, habe Dir vor Monaten eine
Karte geschrieben. Hoffentlich bist du und
deine Familie gesund, und hast von deiner
Freude an Gottes Natur deiner Schaffens-
kraft, nichts eingebüßt. Ich habe verschie-
denes größeres auf den Krieg bezügliches
und auch anderes gemalt, was mir neue
Überzeugung und Sicherheit gegeben hat.
Die Italiener haben ein Sonderheft über
mich mit vielen Bildern, in der angesehnen
Kunstschrift ‚Vita de Arte‘ herausgegeben,
werde dir nächstens die Nummer zusenden
lassen. Wie sich in Deutschland die
Kunstverhältniße gestalten werden? Man
hört das viele Künstler abwandern?
Ob diese herbe Zeit den Experimen-
tier=Esel eines Liebermann
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u. Slevogt
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u.s.w. verschlingen wird? Hoffendlicht hört
diese Spielerei mit der Kunst auf. Ein mit-
telmäßiger alter Meister macht diese
Faxen alle zu Schanden. Ich war von dem
Irrtum in welchem sich die neue Kunst seit
60 Jahren befand, auch nie so überzeugt
als jetzt. Ich weis du hast auch ähnliche
Überzeugungen und hast dieselben fast ein
Menschenalter mit der Tat, verfochten.
Die Begeisterung reicht heute nur mehr
bis zur Scizze (wenn sie überhaupt da ist)
dann versagt das Feuer das stille Glühn
dauernde Glühn, unter welchen nicht klas-
sische Werke reiften. Die Religion, das Ju-
gendliche fehlt; man denkt anstatt zu fühlen,
man begnügt sich mit dem Schein eines ‚als
ob‘ und umgeht die Arbeit, philo[so]phiert
und analysiert, weil man zu wenig Natur
hat, um sich an ihr zu entzünden. Wenn es
noch länger so fortgeht, kommt es daß kein
Maler mehr einen Baum eine Hand od.
Kopf zeichnen od. malen kann. - -
Sei nicht böße lieber Alter, daß ich schon
wieder - -
- - aber wenn man sich lange nicht ge-
sprochen hat, hat man sich auch auf diesem
Gebiet was zu sagen. Sonst habe ich mich
darin ziemlich gebessert, wenngleich ich
nicht sagen kann od. muß, daß meine sei-
nerzeitigen Epistel nicht eingeschlagen hät-
ten. Die Spur und die Wirkung mußte ich
diesen Sommer als ich als Führer eine
kleine Tirolerausstellung in Zürich war, an
mir verspüren. Der dortige Präsident des
Kunsthauses versagte mir seine bieder
Schweizerhand, als ich ihn die meine bei
unserm Bekanntwerden reichen wollte; Ich
hätte ihren Hodler verunglimpft. Sagen hät-
ten sie sollen: Sie haben unser Hodlerge-
schäft verdorben. - - Am Schluß wollte mir
die Bande noch 5000 Franken abnehmen,
für angebliche Verkäufe im Kunsthaus, wel-
che aber schon vor der Ausstellung statt-
fanden. Es wäre bald zu einen Prozess ge-
kommen. Im Allgemeinen kamm die Verär-
gerung mir gegenüber natürlich auch in der
dortigen Presse zum Ausdruck; einige Blät-
ter schrieben jedoch sehr gut u. gerade das
Gegenteil von den feindlichen. –
Von den Schweizern habe ich eine ziem-
lich schlechte Meinung mit über den Arl-
berg getragen. Ein Volk welches ganz dem
Spekulationsgeist verfallen ist. Ich war 3
Wochen dort herum die Seen und des
Hochgebirg (auf dem Gipfel der Jungfrau
führte mich zwar auch der Spekulations-
geist der Schweizer ‚Die Elektrische‘)
ohne welchen ich wohl niemals diesen be-
rühmten Berg bestiegen hätte) sind präch-
tig, werden aber stark von dem schreckli-
chen Hotelwesen beeinträchtigt. Alles
dient nur dem ‚Gelde‘.
Leider höre ich zur Zeit nichts mehr von
unserm lieben Kunz. Wärend des Krieges
war er paar mal bei uns als Soldat; den
traf ihn meine Frau in Wien und nun hören
wir seit mehr als ½ Jahr nichts mehr, trotz-
dem ich mehrmals geschrieben habe –
Ich sollte jetzt nach Wien an die Akademie
– habe natrl. abgesagt.
Also lieber Franz schließe ich heute mit
der lieben Zuversicht, auf meine herzlichen
Grüße von dir bald zu erfahren. Frohe
Weihnacht u. ein glückl. Neujahr.
dein aufrichtig in Treu ergeben Albin“
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Es scheint, als habe Egger-Lienz wirt-
schaftlich stabilere Zeiten in der neuen Hei-
mat Italien, in welcher noch nichts von den
kommenden Jahren der Italianità zu spüren
war, gesehen. Dies war wohl ein maßgeb-
licher Grund, warum er die ihm angebotene
Stelle an der Akademie für bildende Künste
in Wien ablehnte, war doch eine erste,
spontane Reaktion aus Südtirol durchaus
positiv gewesen. Hungersnot in Österreich,
rapide Inflation, Unruhen und das im Ver-
hältnis zu den Lebenshaltungskosten ver-
gleichbar niedrige Einkommen führten aber
letztendlich zu einer Ablehnung dieser
ehrenvollen Berufung
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, welche Egger
selbst noch im kaiserlichen Wien vor dem
Krieg angestrebt hatte.
Der private Egger
Den Mangel an gewissen Gütern hatte
Egger selbst, wenn auch auf völlig ande-
rem Niveau, in den Kriegsjahren miterlebt.
Die Lebensmittelversorgung unterlag der
Kontrolle des Staates, die Kriegswirtschaft
reglementierte den Alltag. Doch während
Tagebucheintragungen aus Innsbruck für
das Jahr 1917 von „brotlosen Tagen“ und
„geschlossener Arbeiterbäckerei“ berich-
teten
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, galt die Sorge Eggers einigen be-
sonderen kulinarischen Genüssen seiner
Heimatstadt Lienz, die er in Bozen ver-
misste.
„Daß du Trojer verständigt hast bezügl.
des Schnapses ist mir recht. Danke.
[…]
Wenn du doch den Trojer auch
sagen könntest er soll ja aufpassen daß der
Speck wenn er einen mir senden will, nicht
hopp genommen wird.
Vielleicht läßt sich das so besorgen wie
du die Äpfel geschickt hast. Das wäre wohl
das richtige - - -
Also liebe Maria sei herzlich gegrüßt
von deinem aufrichtgen Albin“
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Die Korrespondenzen Eggers blieben
aber vor allem eine Möglichkeit, mit sei-
nen Lieben in Kontakt zu bleiben, auch in
den frontnahen Gebieten Süd- und Ost-
tirols. Das Verhältnis Albins zu seiner
Schwester Maria, welche das väterliche
Fotoatelier in der Schweizergasse in
Die Familie
Egger am
Grünwaldhof
in St. Justina,
Bozen, im
Jahr 1914;
von links:
Fred, Lorli,
Albin, Laura,
Ila mit dem
Besuch Franz
Bunke und
Otto Kunz.
(Fotografie
im Archiv
Museum
Schloss
Bruck)