CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
AUGUST/SEPTEMBER 2016
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dann unmöglich. Ich lief dann
oft in eine stille Ecke, um wieder
‚runterzukommen‘.“
Bestimmte Gefühle waren
bei ihm aber immer präsent:
„Ich fühlte mich zutiefst ein-
sam, unverstanden und unge-
liebt. Meine Eltern kamen mir
eiskalt und lieblos vor. Ich hatte
nur mich. So kam es mir zu-
mindest vor.“
Lehre vorerst gescheitert
Nach der Schulzeit sollte
Peter eine Lehre beginnen. Die
Suche nach einer Stelle dauerte
zwei Jahre. Er kam letztendlich
nach Innsbruck, lebte dort al-
leine in einer Mietwohnung, die
seine Eltern finanzierten. „Das
Alleinleben ging heillos schief.
Anstatt mich um meine Lehre
zu kümmern, vertrödelte ich
meine Zeit ständig, war völlig
unfähig, mich zu organisieren,
hatte auch null Motivation, in
der Früh aufzustehen, und blieb
bis in den Nachmittag hinein
im Bett.“ Seine Eltern zogen
einen Schlussstrich. Sie setzten
Peter kurzerhand vor die Tür
und untersagten ihm jede wei-
tere Unterstützung. „Das war
furchtbar hart für mich. Ich
wusste nicht wohin, wusste
nicht, was ich tun sollte, fühlte
mich wie der einsamste
Mensch auf Erden.“ Er hatte
noch eine Telefonnummer sei-
nes Großvaters, der in Ober-
österreich lebte und bettelte ihn
um Unterkunft an. „Er sagte zu
„Wollte etwas schaffen“
Von da an beschloss er aber –
komme, was wolle – aus seinem
Leben etwas zu machen. Und er
schaffte es tatsächlich eine Lehr-
stelle in der Gastronomie in
Oberösterreich zu ergattern.
Aufgrund seines hohen Einsat-
zes bekam er viel Lob von sei-
nen Chefleuten. Doch seine
Kollegen hassten ihn. Er
schnappte ihnen regelrecht die
Arbeit weg, um sich zu profilie-
ren. Teamarbeit war für ihn nur
ein Wort. „Es war mir völlig
egal, was meine Kollegen über
mich dachten. Ich wollte nur
sehr gut sein.“ Als eines Tages
seine Kollegen wegen ihm kün-
digen wollten, entschieden sich
seine Chefleute letztendlich auf
Peter zu verzichten. „Das war
ein herber Schlag. Ich verstand
die Welt nicht mehr. Mein Groß-
vater erfuhr von den Gründen
und versuchte mir mit unglaub-
licher Geduld nahe zu bringen,
dass ich lernen müsse, im Team
zu arbeiten. Zum ersten Mal
hörte ich jemandem wirklich zu
– vergaß das Gespräch aber
schon am nächsten Tag wieder.“
Hürdenlauf
Peter schaffte es in einem an-
deren Betrieb seine Lehre zu be-
enden, doch behalten wollte man
ihn dort nicht. „Man sagte mir,
half.“ Peter schaffte die Volks-
schule und auch die Haupt-
schule. „Aber die Zeit in der
Hauptschule war eine besonders
dunkle Zeit für mich. Ich wurde
nur gemobbt, hatte nur einen
Freund. Ich ging dann oft nicht
in die Schule, versteckte mich
den ganzen Vormittag irgendwo,
bis ein Lehrer meine Mutter ver-
ständigte und ich dann stark
kontrolliert wurde.“
„Mit leeren Händen“
Wann immer es in der Fami-
lie etwas zu feiern gab, kam
Peter immer mit leeren Hän-
den. Er zeichnete oder bastelte
nichts für seine Eltern oder Ge-
schwister. „Sie aber schenkten
mir immer etwas. Aber ich
hatte nicht das geringste Be-
dürfnis ihnen etwas zu schen-
ken. Es wäre mir gar nie in den
Sinn gekommen. Mir waren sie
irgendwie alle egal.“
Peters minderes Selbstwertge-
fühl erkannte man an seiner ge-
bückten Körperhaltung. Er hatte
auch vor vielen Dingen Angst
und war äußerst empfindlich ge-
genüber Lärm, Stress, den an-
dere erzeugten, bestimmten Ge-
rüchen oder Stoffen. „Ich war
auch wegen jeder Kleinigkeit so-
fort abgelenkt, konnte nie ruhig
und nur wenig konzentriert sein
und hatte immer wieder schnell
Chaos im Kopf. Denken war
dass meine Kollegen mich auf-
grund meines Verhaltens nicht
aushalten könnten. Ich blendete
mein Scheitern einfach aus und
suchte nach einem Arbeitsplatz.
Nach ca. zehn Anläufen schaffte
ich es dann, in einem Familien-
betrieb, in dem wirklich nur Fa-
milienmitglieder arbeiteten, län-
ger als drei Monate zu sein.
Nämlich zwei Jahre. Dann wollte
ich selbst wieder in einen ande-
ren Betrieb“, erzählt Peter, der
auch über lange Phasen in
schwere Depressionen schlit-
terte. „Das ist Gott sei Dank Ver-
gangenheit“, ist er erleichtert.
Mittlerweile nennt er drei sehr
gut florierende Restaurants mit
gehobener Küche in Wien und
Umgebung sein Eigen. „Diesen
Erfolg konnte ich erst landen,
nachdem ich meine psychiatri-
sche Erkrankung erkannt und in
Angriff genommen habe.“ In der
Zwischenzeit hat er auch zu sei-
nen Eltern und Geschwistern ein
gutes Verhältnis. „Sie sind sehr
stolz auf mich. Das tut unheim-
lich gut und ich bin unsagbar
froh.“
Martina Holzer
und bezahlte mir auch die Zug-
fahrt. Ich weinte die ganze
Fahrt über bitterlich.“
Marcello Cont
Direktion Sozial-
dienste, Bruneck
Wie sehr sind Menschen im
Pustertal von Armut betroffen?
Cont:
„Im Pustertal ist die An-
zahl der hilfesuchenden Men-
schen für eine finanzielle Unter-
stützung in den vergangenen Jah-
ren stark angestiegen. Die
Hauptgründe dafür sind ein un-
zureichendes Einkommen und
die schwierigen Lebenslagen der
Betroffenen, bedingt durch fami-
liäre Probleme oder Krankheit.
Die Betroffenen sind zu 70 %
Menschen zwischen 18 und 55
Jahren. Aufhorchen lässt, dass
ein Drittel der Antragsteller für
eine finanzielle Unterstützung ar-
beitet und ein monatliches Ein-
kommen bezieht. Dieses aber zur
Deckung der Grundbedürfnisse,
wie Nahrung und Kleidung,
nicht reicht. Für die Betroffenen
macht nicht nur der Mangel an
Geld die menschliche Armut aus.
Genauso schwer wiegen für sie
die fehlenden Perspektiven und
der Mangel am öffentlichen
Leben teilzunehmen. Die Erfah-
rung der Fachkräfte der Sozial-
dienste zeigt, dass ein Leben in
Armut bei den Betroffenen
starke Schamgefühle auslöst.
Rückzug, Isolation und Krank-
heit sind dann beobachtbare
Konsequenzen.“
Wie ist zu reagieren?
Cont:
„Um die armutsbetrof-
fenen Menschen wieder ver-
stärkt in die Gemeinschaft ein-
zubinden, plant der Sozialspren-
gel Bruneck/Umgebung eine
Weiterbildung. Die Initiative
nennt sich ‚time sharing’ und
will sozial sensible Personen für
ein Teilen (sharing) der eigenen
Zeit (time) mit armutsbetroffe-
nen Menschen motivieren. Kon-
kret könnte das heißen, dass
diese als Wanderer, Radfahrer
oder Kino- bzw. Konzertbesu-
cher periodisch ihre Freizeiter-
lebnisse mit einem Armutsbe-
troffenen teilen. Der kostenlose
Kurs sieht zehn Abendeinheiten
vor und findet in Bruneck statt.
Mit dem Besuch der Weiterbil-
dung geht man keine Verpflich-
tung für eine künftige Tätigkeit
ein. Die Anmeldungen zur Wei-
terbildung nimmt der Sozial-
sprengel Bruneck/Umgebung
(Tel. 0039/0474-555548) bis
zum 30. September entgegen.“
Armut kann in Südtirol alle Al-
tersschichten treffen.
ng ließ ihn oft scheitern
Das Krankheitsbild ADHS gibt es schon lange, wie auch das Ge-
mälde „Unterbrochene Mahlzeit“ (1838) von Heinrich von Ru-
stige zeigt. Das Bild diente als Vorlage für die Figur des Zappel-
philipps im Bilderbuch „Struwwelpeter“ (1845).