VOLKSHEILKUNDE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
NOVEMBER/DEZEMBER 2015
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Können Sie Beispiele nen-
nen?
Achmüller:
„Besonders der
Holunder steht im Zentrum vie-
ler sogenannter typischer Ver-
bannungsrituale. Früher hängte
man beispielsweise ein Hemd
des fieberkranken Patienten an
einen Holunderstrauch, um das
Fieber auf diesen zu übertragen.
Im steirischen Kainachtal wurde
früher der Name des Patienten
auf einen Zettel geschrieben,
dieser Zettel anschließend in ein
frisch gebohrtes Loch eines Ho-
lunderbaumes gesteckt und die
Öffnung mit einem grünen, fri-
schen Holzstift wieder ver-
schlossen. Der Grund liegt in der
großen Wertschätzung, die der
Holunder in der Bevölkerung
genoss. Er wurde kultisch ver-
ehrt, medizinisch vielfältig ver-
wendet und ihm wurden mäch-
tige Kräfte zugeschrieben.“
Wie war es um die Diagnos-
tik in der Volksheilkunde be-
stellt?
Achmüller:
„Generell war
die Diagnostik bis ins 20. Jahr-
hundert eher einfach gehalten.
Man kannte schlichtweg nicht
sehr viele unterschiedliche Be-
schwerden. Auch die Hingabe,
mit der man sich der Therapie
der verschiedenen Krankheiten
widmete, war sehr unterschied-
lich. So wurden vor allem
Krankheiten, die die Arbeitskraft
lung von Wunden einen Namen.
Man suchte sie aber auch bei in-
neren Leiden und bei Tierer-
krankungen auf. Sie war in der
traditionellen Kräuterkunde sehr
bewandert. Sie benutzte bei-
spielsweise Ehrenpreis bei Ge-
schwüren und Fichtenkohlen-
pulver zum Blutstillen. Roggen-
mehl wurde in Form von
sogenannten Pechpflastern bei
Verrenkungen aufgetragen. Au-
gentrostwasser wurde für das
Auge und Gauchheiltee bei
Rindergeburten empfohlen.“
Interview: Martina Holzer
der Menschen minderten, von
den Volksheilern behandelt.
Denn in einer vorindustriellen
Zeit war eine ausfallende Ar-
beitskraft mitunter existenzbe-
drohend für die gesamte Familie.
Wunden, Gelenkserkrankungen,
Fieber, ansteckende Krankhei-
ten, Magen- und Hautprobleme
galten als die problematischsten
Erkrankungen. Dagegen wurden
Nervenerkrankungen kaum be-
achtet und wohl oft auch nicht
als behandelbare Krankheit an-
gesehen. Natürlich war die
Diagnosefindung aufgrund feh-
lender Nachweismethoden auch
vom Aberglauben geprägt. Oft
galt es nur abzuklären, ob es sich
um eine Strafe Gottes handelte
oder ob die Krankheit von Dä-
monen ausgelöst wurde.“
Welche Rolle spielte die
Zeit?
Achmüller:
„Die Zeit spielt
in der Volksheilkunde und im
Speziellen in der Kräuterheil-
kunde eine überaus wichtige
Rolle. Das beginnt bereits beim
Sammeln der Heilpflanzen.
Hier wird traditionellerweise
auf die Tageszeit und auf den
richtigen Jahreszeitpunkt ge-
achtet. Zahlreiche Untersu-
chungen bestätigen, dass der
Zeitpunkt die Qualität der ge-
sammelten Heilpflanzen maß-
geblich beeinflusst. Pflanzen
enthalten natürlich je nach Jah-
reszeit und Ort unterschiedliche
Wirkstoffkonzentrationen.“
Welche Rolle kam Bauernärz-
ten, Hebammen und Kräuter-
frauen in der Gesellschaft zu?
Achmüller:
„Immer schon
eine zwiespältige Rolle. Zum
einen waren sie wegen ihres
Wissens und ihrer Hilfe in Not-
situationen hoch angesehen.
Zum anderen sah man in ihren
Fähigkeiten auch immer magi-
sche Handlungen und fürchtete
sie deshalb. Eine Heilung durch
Sprüche und Berührungen als
schwarze Magie und Schaden-
zauber aufzufassen, war durch-
aus üblich. Immer wieder
kamen diese Menschen in den
Ruf der Hexerei, weil ein
Großteil der Bevölkerung sich
Heilerfolge nicht rational er-
klären konnte. Viele Bauern-
ärzte besaßen auch Bücher, die
die einfache Bevölkerung nicht
verstand und deshalb oft als
Zauberbücher ansah. Schnell
ahnte man, dass hier etwas
nicht mit rechten Dingen zu-
gehen konnte. In Zeiten der
Hexenverfolgung kamen des-
halb gerade Heiler schnell in
den Verdacht der Hexerei.“
Wer war denn ein bekann-
ter Heiler aus dem Pustertal?
Achmüller:
„Für viele im
Südtiroler Pustertal ist Ursula
Steinkasserer, die Paßler Ur-
sche aus dem Antholzertal, bis
heute ein Begriff. Sie stammte
ursprünglich aus dem Osttiroler
Defereggental. Die Paßler Ursche
wirkte vor allem in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts im
Oberpustertal und war eine der
zahlreichen Frauen unter den
Bauernärzten, die viel zu selten
beschrieben wurden. Sie machte
sich vor allem bei der Behand-
„Wickel, Salben und
Tinkturen – das Kräuter-
wissen der Bauern-
doktoren in den Alpen“
Autor: Arnold Achmüller
Verlag: Raetia
Seiten: 288
Preis: 24,90 €
Steckbrief:
Name:
Arnold Achmüller
geboren in:
Bruneck, 1982
aufgewachsen in:
St. Lorenzen,
später in Taisten
Ausbildung:
Pharmaziestudium
Beruf:
Apotheker
wohnhaft:
seit 13 Jahren in Wien
Familie:
verheiratet, zwei Kinder
Faszination Pflanzenheilkunde:
Diesbezüglich hatte ich schon
vieles von meinen Großmüttern
gelernt. Ein Johanniskrautöl, di-
verse Salben wie die Ringelblu-
mensalbe und einen Arnika-
schnaps habe ich schon in meiner
Kindheit schätzen gelernt. An der
Universität Wien wurde es mir er-
möglicht, im Zuge meiner Diplom-
arbeit über die Volksmedizin Süd-
tirols zu recherchieren. Dabei
stieß ich auf Jahrhunderte altes
Wissen, das sich im Alpenraum
vor allem in den entlegensten Tä-
lern bewahrt hatte. Wissen, das
bis heute noch teilweise uner-
forscht ist und in welchem mögli-
cherweise zahlreiche zukünftige
Heilmittel verborgen liegen. Die-
ses alte Heilwissen scheint aber
leider zunehmend zu verschwin-
den, sodass es mir ein Anliegen
ist, diese Ratschläge zu erhalten
und wiederzubeleben.
Johanniskraut:
vertreibt schlechte Gedanken
Johanniskraut hat sich in der Volksheilkunde vor
allem bei Nervenerkrankungen bewährt. Meist als
Tee wird Johanniskraut bei Depressionen, Schlaf-
losigkeit, zur Stärkung der Nerven, bei Nerven-
entzündung und bei nervösen Kopfschmerzen ge-
trunken. Bettnässern wird auch ein Bad mit Johan-
niskraut angeraten. Der Ölauszug wird äußerlich bei
Schlaflosigkeit, Migräne und Nervenschmerzen als
Einreibung empfohlen.
Daneben wird das Johanniskrautöl bei diversen
Hauterkrankungen, Fußschweiß, Hautausschlag,
Juckreiz, Abszessen, Narben, Milchschorf und Fie-
berblasen verwendet. Bei Hämorrhoiden wird das
Johanniskrautöl teelöffelweise getrunken und mit
dem Kraut werden Sitzbäder bereitet.
Johanniskrautöl bei Verbrennungen
nach Kräuterpfarrer Künzle.
Zutaten:
2 Handvoll frische Johanniskrautblüten; 500
ml Olivenöl
Zubereitung:
Die Blüten leicht zerdrücken, in eine
Flasche geben und mit dem Olivenöl übergießen. Das
Ganze für sechs Wochen an einen hellen Ort stellen. An-
schließend das Öl in eine saubere Flasche abfiltrieren.
Das gewonnene Johanniskrautöl ist ein Jahr haltbar. Es
eignet sich als Einreibung bei Nervenschmerzen und
leichten Verbrennungen.