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Beide Familien wollten ihre Kinder in geogra-

fischer Nähe behalten, vor allem die Familie

Mair befürchtete, ihren einzigen Sohn an das

Ländle zu verlieren. So fügte sich der junge

Mann den Wünschen seiner Eltern und ver-

warf den Plan, mit Annelies in Vorarlberg zu

bleiben. Am 13. Juli 1963 in aller Herrgotts-

frühe schlängelte sich eine Autokolonne von

Andelsbuch über die Arlbergstraße nach

Nordtirol und eine zweite von Leisach über

Südtirol nach Absam. Die Insassen der bei-

den Reisegruppen waren durchwegs mitein-

ander verwandt und fein herausgeputzt; in

der einen befand sich die Braut Annelies und

in der anderen ihr Bräutigam Gerhard, und

wahrscheinlich übertönte ihr beider Herz-

klopfen sogar die Motorengeräusche der

Fahrzeuge. Die Hochzeitszeremonie erfolgte

in der Wallfahrtskirche Absam bei Hall in

Tirol, zum Mahl wurde in den Rumer Hof

nach Innsbruck geladen und am selben Tag

traten alle Gäste wieder die Heimreise an,

diesmal allerdings saß Annelies neben ihrem

frisch getrauten Ehemann Gerhard und fuhr

Richtung Osttirol.

Leicht war die erste Zeit für das junge, ver-

liebte Paar sicher nicht. Schließlich lebten im

Hause Mair drei Parteien, bis Schwester

Maridl mit ihrer Familie nach ein paar Jahren

auszog und die Eltern mit Tochter Fini allein

den ersten Stock bewohnten. Zu dieser Zeit

waren bereits drei Kinder auf der Welt: Ve-

rena, Cornelia und Lothar. Es folgten Ulrike

und Daniela und 1973 war die Familienpla-

nung abgeschlossen. Mit fünf Kindern musste

man gut haushalten und jede Ausgabe wollte

überlegt sein. Um die materielle Existenz

einer Familie zu gewährleisten, hatte sich der

gelernte Kunstschlosser schon nach seinem

Präsenzdienst im Jahr 1960/61 dafür ent-

schieden, einen sicheren Arbeitsplatz beim

Bundesheer anzunehmen. In der Kanzlei

führte er ein wohl eigenwilliges Regiment. Er

war aufgrund seines ausgeprägten Gerech-

tigkeitssinns und seiner Unbeugsamkeit von

den Vorgesetzten gefürchtet und von den

Mitarbeitern und Soldaten bewundert.

1996 beendete er seine berufliche Laufbahn

krankheitshalber und trat in die Pension ein.

Schon 1982, im Alter von 43 Jahren, war

Gerhard mit einer schweren Erkrankung kon-

frontiert. Aufgrund eines Lungenkrebs musste

er sich viele Monate einer Behandlung im

Sanatorium in Natters unterziehen, und als er

praktisch geheilt zurückkehrte, gab seine

Frau seinem Wunsch nach, sich einen Hund

zuzulegen. Mit dieser Entscheidung und

einem Schäfer-Wolf-Mischling aus dem Tier-

heim begann übrigens Gerhards aktive Ver-

einsmitgliedschaft beim Hundeverein Leisach.

Doch nicht nur dort engagierte er sich, son-

dern vor allem in der Pfarrkirche Leisach, wo

er viele Jahre als Mesner seine Dienste tat.

Um den damaligen Pfarrer Johann Moser zu

unterstützen, weitete er sein Wirkungsfeld aus

und 1977 wurde ihm das Dienstamt des

Lektors und Akolythen übertragen, das er mit

großem Eifer und inniger Hingabe ausübte.

Der Kirchendienst in Leisach, später der enge

Kontakt mit den Patern des Franziskanerklo-

sters und der Messbesuch in der Klosterkirche

St. Marien, das sonntägliche Vorbeten am

Ulrichsbichl, das Begleiten von Sterbenden,

seine Tätigkeit als Vorbeter bei Begräbnissen,

all das entwickelte sich als Energiequelle, von

der er selbst in diesem Sommer noch profi-

tierte, wenn auch lediglich in sehr einge-

schränktem Ausmaß. Aber nicht nur kirchliche

Belange nahm er ernst, auch zahlreiche Men-

schen in Notsituationen konnten auf seine

Hilfe und seinen selbstlosen Einsatz zählen.

Er war ein verlässlicher Helfer in Not und

blieb in katastrophalen Situationen ruhig;

eine Eigenschaft, die er auch beim Hoch-

wassereinsatz des Bundesheeres 1965/66

unter Beweis gestellt hatte.

In den letzten Monaten und Wochen war

Gerhard hart auf die Probe gestellt worden,

denn es galt, die Kehrseite seiner gewohnten

Perspektive kennenzulernen: hilfsbedürftig zu

sein und selbst Unterstützung anzunehmen.

Die Krebserkrankungen der letzten fünf Jahre,

die Aneurysma-OP, die Darmoperationen im

Juni 2017 und 2018, einhergehend mit

Schmerzen, wochenlangem Hungern und der

ständigen Ungewissheit über die Zukunft

haben ihn immer schwächer werden lassen.

Er versuchte nach Möglichkeit seine Schmer-

zen und seine Angst zu ignorieren, weil er

sich auf die Bedürfnisse seiner ebenfalls kran-

ken Frau konzentrieren und für sie da sein

wollte. Einen großen Lichtblick bedeuteten

ihm seine Enkelkinder, die er liebte und

denen er keinen Wunsch abschlagen konnte.

In ihnen und uns allen, die die zahlreichen

gegensätzlichen Seiten seiner Persönlichkeit

kennengelernt haben, lebt Gerhard Mair nun

weiter.

Cornelia Zanon