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Die Typhus-Erkrankung nannte

man früher auch Nervenfieber

oder Fleckfieber. Hohes Fieber,

Bauch- und Darm-Erkrankung

mit Schmerzen, Bewusstseins-

Störungen, vielfach mit Todesfol-

ge. Typhus-Erkrankungen treten

heute vorrangig in Entwicklungs-

ländern auf. Beide Krankheiten

galten als höchst gefährlich, hoch

infiziös mit großem Ansteckungs-

risiko.

Mit einer Gruppe wandernder Zi-

geuner, die von Sterzing ins Pus-

tertal kamen, wurden im März

1873 zu Untergail in Kartitsch die

schwarzen Blattern eingeschleppt

und bereits nach wenigen Wo-

chen zählte man im Tal bei 90

Erkrankte, Kinder wie Erwachse-

ne mit bereits ersten Todesopfern.

Abgeschwächt verbreitete sich

die Infektion auch im Tilliacher-

tal, besonders in Obertilliach.

Von der k.k. Bezirkshauptmann-

schaft als Gesundheitsbehörde

wurden Maßnahmen zur Bekämp-

fung der Epidemie eingeleitet.

Dabei sah man durch den im

Sommer üblichen regen Fußgän-

gerverkehr zwischen den Ge-

meinden und dem Pustertal, durch

Wanderer und Wallfahrer, beson-

ders auch durch die im Frühjahr

üblichen Bittgänge in verschiede-

ne Ortschaften und dabei erfor-

derlichen Einquartierungen große

Gefahren zur Krankheitsübertra-

gung. Doch wider Erwarten ebbte

die Seuche im Sommer relativ

rasch ab und war Ende August

vorerst gebannt. In Kartitsch wa-

ren bei rund 150 Erkrankungen

20 Tote zu beklagen, Kinder und

Erwachsene, in Tilliach waren

rund 100 Personen erkrankt, von

denen elf starben.

Doch in der ersten Oktoberhälfte

des gleichen Jahres trat in Ober-

tilliach Typhus, eine noch weit

gefährlichere Infektionskrankheit

auf und verbreite sich erschre-

ckend schnell im Dorf und abge-

schwächt auch in Untertilliach.

Bald zählte man 130 bis 140

Krankheitsfälle und mit den ers-

ten Toten war auch der Obertillia-

cher Kurat Josef Jäger zu bekla-

gen, der infiziert wurde und am 2.

November als Opfer seines Beru-

fes verstarb.

Völlig zeitgleich erkrankten Ende

Oktober in Kartitsch sechs Mäd-

chen, die um Rossarie (erster Ok-

tobersonntag) eine gemeinsame

Fußwallfahrt nach Luggau ge-

macht hatten, an der gleichen

Krankheit. Auch hier folgten wei-

tere Erkrankungen.

Die Gesundheitsbehörde reagierte

nun prompt. Da der für das Tal

zuständige Sillianer Arzt Dr. v.

Klebelsberg weit überlastet war,

wurde noch Anfang November

der in Niederdorf geborene

Wundarzt Dr. Ludwig Kunater als

Epidemiearzt nach Obertilliach

beordert und mit Hausapotheke

versehen. Zugleich wurden drei

Ordensschwestern vom Konvent

der Barmherzigen Schwestern

für Krankenpflegedienste nach

Obertilliach bestellt. Als finanzi-

elle Hilfe wurden vom Tiroler

Landesausschuss (ähnlich heute

Landesregierung) 600 Gulden

(heute ungefähr 12.000 €) bewil-

ligt. Die verwaiste Seelsorgstelle

der Kuratie Obertilliach wurde

vorerst mit dem Hilfspriester

(Kooperator) Johann Kirchler als

Provisor besetzt.

Neben der Pflege und medizini-

schen Betreuung der vielen Kran-

ken hatte auch hier die weitere

Verhinderung von Ansteckung

und Infektionsübertragung hohen

Stellenwert. Sauberkeit, Kör-

perhygiene, viel Frischluft, genü-

gend und richtige Ernährung, sau-

beres Wasser, Isolierung und

Kontaktvermeidung mit bereits

Kranken sowie rechtzeitiger Arzt-

besuch galten als wertvolle Hil-

fen, die Beengtheit des Dorfes,

vielfach nur eine beheizbare

Kammer (Stube) pro Haus für

Patienten und Familie, unsaube-

res Trinkwasser, Abwässer und

offene Aborte, gut gemeinte

Krankenbesuche, Versehgänge,

Leichenbeten und Begräbnisse

waren großes Gefahrenpotential

für neuerliche Infektionsfälle.

Vor allem gesunde Ernährung

und die Arztkosten konnten sich

ärmere Familien kaum leisten.

Einige damals bekannte Zeitun-

gen (Pustertaler Bote, Innsbru-

cker Tagblatt und weitere) orga-

nisierten daher landesweit eine

Spendenaktion für die epidemie-

geplagte arme Bevölkerung in

Tilliach, die bereits wiederholt

von Hagelschlag und Missernten

heimgesucht worden war.

Insgesamt waren in den drei Tal-

gemeinden etwa 400 Personen

erkrankt, 200 davon allein in

Obertilliach und damit rund ein

Viertel der Bevölkerung. Die An-

gaben über die Todesopfer sind

widersprüchlich, in einem Zei-

tungsbericht sind 90 genannt, in

einem weiteren 30 und im Ge-

meindebuch von Obertilliach 40.

Ein Blick in die Totenbücher der

betroffenen Pfarrämter vermittelt

genauere Angaben:

In Obertilliach waren bei der

Blattern-Epidemie (Pocken, Frei-

sen) elf Todesopfer zu beklagen,

an der Typhus-Epidemie 23 (20

Verstorbene 1873, drei Verstor-

bene 1874) somit insgesamt 34

Epidemieopfer, in Kartitsch sind

an Blattern 20 Personen verstor-

ben und an Typhus 13 Personen

(acht Verstorbene 1873 und fünf

Verstorbene 1874), somit insge-

samt 33 Epidemieopfer. In Unter-

tilliach sind an Blattern ein To-

desopfer und an Typus vier Tote

(zwei Verstorbene 1873 und zwei

Verstorbene 1874) angeführt, so-

mit fünf Epidemieopfer.

Insgesamt waren im Kartitsch-

Tilliachertal 1873/74 demnach 72

Epidemieopfer zu beklagen.

Zufolge einer weiteren Epidemie

im Jahr 1901 entschloss man sich

in Obertilliach zur Abhaltung ei-

ner Bittprozession jährlich am 9.

September, Fest Maria Geburt.

Als epidemie-verdächtig galt

auch die Spanische Grippe, die in

den letzten Wochen des Ersten

Weltkrieges in Tirol einen hohen

Blutzoll forderte. In Kartitsch

blieb sie mit 22 Todesopfern je-

doch doch deutlich unter der Op-

ferzahl von 1873.

Quellen: Bote für Tirol 1. 5.

1873, detto 14. 11. 1873, detto 6.

3. 1874, Meraner Zeitung 3. 5.

1873, Volksblatt 3. 5. 1873, detto

13. 9. 1873, Pustertaler Bote 28.

11. 1873, detto 13. 3. 1908. Ober-

tilliach, eine Tiroler Hochgebirgs-

gemeinde in Vergangenheit und

Zukunft, S 124

Kartitsch in Osttirol S 79.