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GESCHICHTE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MÄRZ/APRIL 2018

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Fluchthelfer. Nachdem ab Ende

1941 die Möglichkeit legaler

Auswanderung aus der Ostmark

(das Gebiet des vormaligen

Staates Österreich nach dem

Anschluss an das Deutsche

Reich) unterbunden worden

war, bestand nur mehr die Mög-

lichkeit der Flucht. Der Weg

durch das Osttiroler Pustertal

mit illegalem Grenzübergang

von Sillian/Arnbach nach Süd-

tirol in das nicht radikal antise-

mitische Italien blieb für jüdi-

sche Bürger eine der letzten

Möglichkeiten, dem Gestapo-

terror im Deutschen Reich mit

Zwangsdeportation und End-

lösung zu entkommen. Bis zur

Machtübernahme Norditaliens

und Südtirols durch die Nazis

im September 1943 konnten

Juden dort mit einigem Glück

noch überleben.“

Wer betätigte sich als Flucht-

helfer?

Wiedemayr:

„Vorerst der in

Sillian ortskundige junge Wie-

ner Josef Valyi. Er war Ver-

wandter der Familie Stallbau-

mer in Sillian und verhalf zwölf

Jüdinnen und Juden erfolgreich

zur Flucht. Valyi wurde im

Frühjahr 1942 von seinem

Onkel Anton Stallbaumer, Me-

chaniker und Taxiunternehmer

in Sillian, als Fluchthelfer abge-

löst. Ende April 1942 wurde den

beiden jüdischen Schwestern

Kornelia und Irene Sputz über

die Familie Stallbaumer Flucht-

hilfe geleistet, und der Pfeifer-

bauer Michael Weitlaner aus

Arnbach brachte die beiden

wohlbehalten über die Grenze.

Der berüchtigte Sillianer Gesta-

pochef Georg König erfuhr über

einen V-Mann aber von der

Sache und konnte Mitte Mai die

Auslieferung der beiden in

Franzensfeste/Südtirol verhafte-

ten Jüdinnen erreichen.“

Was passierte mit ihnen?

Wiedemayr:

„Äußerst hart

und brutal erfolgten die Strafen.

Die beiden Frauen wurden nach

zwei Monaten Haft und hohen

Geldstrafen der Gestapo über-

geben und am 17. August 1942

einem Transport nach Minsk zu-

geteilt, für den keine Über-

lebenden vermerkt sind.“

Wie schauten die Konse-

quenzen für Stallbaumer aus?

Wiedemayr:

„Er wurde

wegen Hilfe zum illegalen

Grenzübergang neben einer

Geldstrafe von 1.600 Reichs-

mark zu sechs Monaten Haft

verurteilt. Nach Verbüßung sei-

ner Haftstrafe (vermutlich wur-

den ihm einige Wochen Haft

nachgesehen) wurde er von der

Gestapo neuerdings verhaftet

und von Oktober 1942 bis

Dezember 1943 im KZ Dachau

inhaftiert.“

Wie erging es Michael Weit-

laner und Josef Valyi?

Wiedemayr:

„Weitlaner

wurde zu zwei Monaten Haft

verurteilt, nach Strafvollzug

wurde er im Oktober 1942 nach

Dachau und einen Monat später

ins KZ Neuengamme deportiert.

Seine Freilassung erfolgte erst

im Oktober 1944, worauf er so-

Ludwig Wiedemayr, ge-

boren 1934 in Kartitsch,

erforscht seit Jahrz-

ehnten die Geschichte

seiner Heimat. So wid-

mete er sich auch der

Verfolgung von jüdi-

schen Flüchtlingen und

Fluchthelfern in der

NS-Zeit im Osttiroler

Oberland. Wiedemayr

im „PVT“-Interview.

Herr Wiedemayr, obwohl in

Osttirol ab Herbst 1938 keine

Juden mehr wohnten, blieb der

Kreis Lienz mit Judenverfol-

gung beinahe dauernd kon-

frontiert.

Wiedemayr:

„Ja. Der Histo-

riker Dr. Martin Kofler hat das

Schicksal jüdischer Flüchtlinge

in Osttirol gewissenhaft er-

forscht. Demnach sind hier be-

sonders die Fluchtwege über

Osttirol zu nennen und die

damit zusammenhängenden

schicksalhaften und bitteren

Ereignisse für Flüchtende und

fort zur Wehrmacht einrücken

musste. Valyi verurteilte man zu

drei Monaten Haft. Während sei-

ner Haftzeit wurde er vom Sil-

lianer ‚Gestapo König‘ wieder-

holt schwer misshandelt. An-

schließend landete er für einen

Tag im KZ Mauthausen und

wurde dann einer Strafkompanie

an der Ostfront zugeteilt, die er

als einer von wenigen überlebte.

Hedwig Valyi aus Wien, Mutter

des Obigen und Schwester des

Anton Stallbaumer, erhielt vier

Monate Haft, und Aloisia Bürg-

ler aus Sillian, bei der die beiden

Jüdinnen vor der Flucht über-

nachtet hatten, bekam zwei Mo-

nate, die vorerst aufgeschoben

und später vermutlich nachgese-

hen wurden. Besonders tragisch

endete die Fluchthilfe für Rosa

Stallbaumer, Ehefrau des Anton

Stallbaumer. Sie wurde zwar

verhaftet, aber nicht angeklagt

und das Verfahren gegen sie ein-

gestellt. Trotzdem wurde sie in

das Vernichtungslager Ausch-

witz deportiert, sehr wahr-

scheinlich war der berüchtigte

Gestapochef König dafür ver-

antwortlich. Dort verstarb sie am

23. November 1942.“

Was geschah mit den Kin-

dern des Ehepaares Stallbau-

mer?

Buchautor Ludwig Wiedemayr

aus Kartitsch.

Verzweifelte Flucht vor de