net man ein bis drei Suizidver-
suche täglich. Somit ist die
Rate doppelt so hoch wie jene
Italiens und deutlich höher als
jene der Nachbarprovinz Tren-
tino. Fast die Hälfte der Opfer
in Südtirol litten an Depressio-
nen, mehr als ein Viertel war al-
koholkrank. „ImVerhältnis zur
Bevölkerung nahmen sich mehr
Ladiner und Deutschsprachige
als Italiener das Leben – es ist,
als könnte man vom italie-
nischsprachigen Teil Südtirols
lernen, wie Krisen ohne Bedro-
hung des eigenen Lebens ge-
meistert werden“, so Pycha, der
auch Leiter der Europäischen
Allianz gegen Depression in
Südtirol ist.
Eine Brunecker Befragung
zur Lage der Hinterbliebenen
aus den Jahren 2005 bis 2007
machte deutlich, dass diese sich
ausgegrenzt und abgestempelt
fühlen, und nicht selten selbst
in lebensgefährliche Krisen ge-
raten.
Prävention
Pycha listet eine Reihe von
Möglichkeiten auf, wie die
Suizidrate senkbar wäre. Allen
voran sei eine sachliche Auf-
klärung und Information, Ver-
meidung von spektakulären
Berichten, Lehren einer „psy-
chischen Ersten Hilfe“ für In-
teressierte und Aufbau von
Nachbarschaftshilfe sehr wich-
tig. Auch das Lernen von Me-
thoden der Krisenbewältigung
in der Schule, Entfernung von
möglicherweise tödlichen Mit-
teln wie Haushaltsgas, Autoab-
gasen, Waffen, Spritzmitteln,
gefährlichen Medikamenten
sowie besserer Schutz an expo-
nierten Stellen wie Brücken,
Hochhäusern, Hochspannungs-
leitungen. „Geländer, die nied-
riger als 1,3 Meter sind, ver-
mitteln nicht Schutz, sondern
Gefahr. Jeder Meter an Höhe
mehr verringert die Suizidge-
fahr um 50 %“, so Pycha.
Netze unter Brücken verringern
laut dem Psychiater Suizide
deutlich. „Auch Telefone oder
Plakate sind teilweise wirksam,
am hilfreichsten, aber auch teu-
ersten, sind Wächter.“ Helfen
kann auch Verteilung von Not-
fallkärtchen mit wichtigen
Adressen.
Wer ist besonders
gefährdet?
Ca. ein Drittel der Bevölke-
rung erleidet im Laufe des Le-
bens eine psychische Erkran-
kung. Besonders von Depres-
sion,
Schizophrenie
und
Suchterkrankung Betroffene
sind suizidgefährdet. Sie benöti-
gen rasche und gezielte Behand-
lung durch Hausärzte, Psychia-
ter und Psychologen, Angebote
der Selbsthilfe („Lichtung/Gira-
sole“ für Betroffenen, „Ari-
adne“ für Angehörige), kompe-
tente anonyme Anlaufstellen
(Telefono Amico, Young and Di-
rect, Telefonseelsorge), ver-
ständnisvolle Angehörige und
hilfsbereite Nachbarn.
„Menschen, die einen Sui-
zidversuch überlebt haben,
brauchen professionelle Kon-
takte. Viele von ihnen sind
scheu, und bauen kaum hilfrei-
che Beziehungen auf. Da sind
Therapeuten und Helfer gefor-
dert, immer wieder in die Be-
ziehung zu investieren. Eine
Studie an alten Menschen nach
Suizidversuch hat ergeben, dass
ein Telefonanruf pro Monat das
Suizidrisiko um 50% senkt.“
„Netzwerk zur Krisen-
verhütung“
Seit dem Jahr 2010 besteht
ein freiwilliges „Netzwerk zur
Krisenverhütung“ ohne jede fi-
nanzielle Unterstützung - als
Teil der Europäischen Allianz
gegen Depression in Südtirol.
Diese Allianz wird für Südtirol
und Italien von der Sozialge-
nossenschaft EOS geleitet. Die
neue Führung unter Barbara
Pizzinini hat weitere Projekte
erbracht, aber auch bewährte
wieder aufleben lassen. So
werden Notfallkärtchen mit
Krisentelefonnummern – in
den vergangenen Jahren waren
23.000 in Südtirol verteilt wor-
den - wieder gedruckt und der
Öffentlichkeit vorgestellt.
Soziale Netzwerke
Im heurigen Frühsommer
ließ eine Serie von acht Suizi-
den männlicher Jugendlicher
im Raum Brixen-Bruneck auf-
horchen, rüttelte v. a. die Schu-
len auf und zwang zum Nach-
denken. „Ganz offensichtlich
werden über soziale Netzwerke
Nachrichten verbreitet, die Ju-
gendliche zur Selbsttötung her-
ausfordern. Auch ist es mög-
lich, dass innerhalb der Ju-
gendkultur ein Verständnis von
Risikobereitschaft, Spiel mit
der Gefahr und Experimentier-
freude mit chemischen Sub-
stanzen besteht, die den Suizid
als Ergebnis wahrscheinlicher
macht. Die ernste Situation er-
fordert geeignete Reaktionen,
im Gesundheitssystem, in
Schule und Gesellschaft.“
Einladung
Die Europäische Allianz
gegen Depression lädt zumAn-
lass des Welttages der Suizid-
prävention am 11. September
um 17 Uhr alle Interessierten in
das Haus EOS in Bozen,
Rentsch, Rentscherstraße 42
ein. Pycha spricht über das
Thema „Was bewegt Menschen
zum Suizid? Die aktuelle Situa-
tion in Europa und Südtirol“
(ca. 30 min). Anschließend gibt
es eine Podiumsdiskussion von
Chefredakteuren Südtiroler Me-
dien, die hilfreiches Verhalten
von Medien und Öffentlichkeit
zum Inhalt hat.
GESUNDHEIT
PUSTERTALER VOLLTREFFER
AUGUST/SEPTEMBER 2017
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Dr. Roger Pycha, Primar der
Psychiatrie in Bruneck.
„Jährlich ist es ein unter-
schiedlich großer Reise-
bus, den die Opfer eines
Suizides in unserem
Land füllen. Oder zeitlich
gestaffelt: Auf jede
Woche fällt bei uns ca.
ein Suizid. Ein bis drei
Suizidversuche finden
täglich in unserem Land
statt“, informiert Dr.
Roger Pycha, Primar der
Psychiatrie in Bruneck.
Südtirols Suizidrate (Suizide
pro Jahr und 100.000 Einwoh-
ner) stieg über die Jahrzehnte
stark an. Im Jahr 2014 starben
63 Südtiroler durch Suizid –
2010 waren es 43. Somit gibt es
jede Woche in Südtirol ca.
einen Suizid. Zudem verzeich-
Selbstmordrate in Südtirol ist alarmierend