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ZEITZEUGIN

PUSTERTALER VOLLTREFFER

APRIL/MAI 2017

10

Heute lebt Christa in einer

kleinen Gemeinde in Nordfries-

land. Hie und da reist sie mit

ihrem jetzigen Ehemann für

zwei Wochen nach Osttirol, um

ein wenig „Heimatluft zu

schnuppern“, wie sie selbst sagt

– begleitet vom Sohn ihres Man-

nes aus erster Ehe. Beide sind

noch ungewöhnlich fit. „Wir

gehen auch noch gerne wan-

dern“, erzählt Christa, die heuer

ihren 95. Geburtstag feierte.

Ihr Fritz, ein gebürtiger Friese,

ist ein paar Jahre jünger als die

Osttirolerin. Sie lernten sich

nach dem Zweiten Weltkrieg

kennen, den sie als extrem bitter

erlebt hatten. Fritz war an der

Front, Christa in Berlin. „Da-

mals war ich noch mit meinem

damaligen Mann zusammen,

dem ich auf einem Fest begeg-

nete. Ich war damals noch blut-

jung, aber ziemlich frühreif“, er-

zählt sie. „Jans hielt dann bei

meinen Eltern um meine Hand

an. Er war Mitte 25. Ich ging mit

ihm kurz vor Kriegsausbruch

gemeinsam nach Deutschland.“

Schock

„Dass mein damaliger junger

Ehemann durch und durch ein

Nazi war, begriff ich erst nach

der Heirat. Ich war schockiert.

Denn meine Eltern waren im

Geheimen immer gegen Hitler.

Was er in Deutschland schon

vor Kriegsausbruch mit den

Juden gemacht hatte, war

extrem. Wir bekamen das gut

mit, denn meine Mutter hatte

jüdische Verwandte in Deutsch-

land.“

Die junge Christa schaffte es

damals freilich nicht, ihrem

Mann Paroli zu bieten. „Er ent-

puppte sich als enorm herrsch-

süchtig und drohte mir, wenn

ich als seine Frau seine Einstel-

lungen zum Nationalsozialis-

mus nicht teile, werde ich

Schlimmes erleben. Ich hielt

meine Klappe.“ Ihr Mann

musste dann schon bald in den

Krieg. „Ich war einerseits er-

leichtert, dass er weg war, ande-

rerseits war ich allein in Berlin

in einer kleinen Wohnung und

musste zuschauen, wie ich mich

über Wasser halten konnte.“

Schwanger

Christa war aber bereits mit

ihrem ersten Kind schwanger.

„Ich litt an furchtbarer Schwan-

gerschaftsübelkeit. Eine Nach-

barin unterstützte mich dabei,

mich immer wieder mit Ach und

Krach in den Luftschutzkeller

zu schleppen. Es war furchtbar.“

Man musste Atemschutzmasken

tragen. „Davon wurde mir noch

übler.“ In Berlin befürchtete

man Angriffe mit Gasbomben.

„Zuerst – im Jahre 1940 – grif-

fen die Franzosen an, ein paar

Monate später die Engländer“,

erinnert sich Christa noch. Die

Angriffe hat sie aber nicht als

sehr schwer in Erinnerung. Sie

war damals sehr auf die Geburt

des Kindes konzentriert. „Ich

rücken, und Christa entdeckte,

dass sie schon wieder schwanger

war. „Für mich war es ein Wahn-

sinn, in dieser Zeit ein Kind zu

bekommen. Aber trotzdem freute

ich mich irgendwie.“ Das Kind

gebar sie kurz nachdem sie mit

vielen anderen den Luftschutz-

keller wieder verlassen hatte

können.

Große Hilfe

„Meine Nachbarin war mir

stets eine große Hilfe. Sie war

ein paar Jahre älter als ich und

pflegte ihre alten Eltern.“ Das

Essen war – wie überall –

furchtbar knapp. „Ich stillte

meine Kinder, was möglich war.

Ich selbst hatte mittlerweile

viele Kilos weniger. Meine Woh-

nung wollte ich kaum mehr ver-

lassen – außer, man musste in

den Luftschutzkeller. Denn was

auf den Straßen mit den Juden

aufgeführt wurde, erschütterte

mich zutiefst. Man nahm ihnen –

egal, ob Kind oder alter Mensch,

jegliche Menschenwürde.“

Im Jahr 1943 wurde es für

Christa besonders höllisch:

„Riesige Teile von Berlin wur-

den durch Angriffe zerstört, be-

sonders gegen Ende des Jahres

hin.“ Auch das ältere Kind von

Christa kam bei einem Angriff

ums Leben. „Wie viele andere

tausende Menschen auch, die

mir teilweise als lebende Fa-

ckeln schreiend entgegen rann-

ten. Überall lagen Leichenteile.

Christa T. aus

Sillian erlebte

den Zweiten

Weltkrieg in

Berlin, der Hauptstadt des Deutschen

Reiches, mit. Als junges Mädchen hatte

sie sich in einen deutschen Urlaubs-

gast verliebt, mit dem sie kurz vor

Kriegsbeginn nach Deutschland ging.

Ruinen und zerstörte Autos.

„Das Leben in Berlin war höllisch“

Brände nach Luftangriff auf Berlin 1944. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-J30142 / CC-BY-SA 3.0

schaffte es nicht einmal mehr in

den Luftschutzkeller. Begleitet

von Detonationen kam das Kind

in der kleinen Wohnung zur

Welt. Die Nachbarin half mir

bei der Geburt. Eine Hebamme

traute sich nach den Angriffen

zu mir.“

Schwer verwundet

Es dauerte nicht lange, da er-

reichte Christa ein Schreiben. Ihr

Ehemann sei schwer verwundet

worden und kämpfe nun um sein

Leben. „Ich muss ehrlich geste-

hen, ich wusste nicht, ob ich ihn

lebend zurückhaben wollte.“

Eines Tages stand er doch wieder

vor der Wohnungstür. Er hatte

Heimaturlaub bekommen. Völlig

verändert, abgekämpft und

furchtbar dürr stand er vor

Christa. „Irgendetwas muss ihn

extrem traumatisiert haben, aber

er wollte nicht darüber sprechen.

„Er redete sonst auch kaum,

freute sich aber über das Kind.“

Schon bald musste er wieder ein-