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ABENTEUER

PUSTERTALER VOLLTREFFER

NOVEMBER/DEZEMBER 2015

21

pel), der westlichsten Großstadt

der Türkei. „Als wir zu einem

kleinen Supermarkt geradelt

waren und Ben die Kappe ab-

nahmen, kamen die blonden

Haare zum Vorschein. Sofort

berührten und küssten die Leute

rundherum unseren Ben. Es gibt

nicht viele Kinder in der Türkei,

die so blond sind wie er. Plötz-

lich stoppte ein Auto vor uns,

der Lenker stieg aus, kniete vor

Ben nieder, küsste ihn, betete.

Wir verstanden die meiste Zeit

nur ,Allah …‘. Dann stieg er

wieder ins Auto und fuhr davon.

Ben passte das natürlich zuerst

gar nicht, dass die Leute so auf

ihn zugingen.“

Abbruch einer

langen Reise

Als Petra dann mit Esmé (1)

schon eine Weile schwanger war

tourte die Familie gerade durch

Osteuropa und die Türkei. „Die

Schwangerschaft kam sehr über-

raschend. Wir hatten eigentlich

eine dreijährige Radreise geplant.

Wir brachen die Reise aber ab

und wollten nahe der höchsten

Bergen in Österreich unser Kind

zur Welt bringen und eine Weile

wohnen. Da kamen wir auf

Außervillgraten, weil in dem Ort

eine Gemeindewohnung frei war.“

Mit Esmé unternahm die Familie

bislang sechs Touren zwischen

drei Tagen und drei Wochen.

„Seit sie gehen kann, macht ihr

das Leben im Freien so richtig

viel Spaß“, freut sich Petra, die

hochschule in Utrecht und blieb

dort einfach „hängen“. „Nach

Utrecht brachte mich die Liebe,

die aber bald vorbei war. Schon

bevor ich Peter kennenlernte,

war ich gerne und viel auf dem

Rad unterwegs“, erzählt sie.

Peter fuhr zuvor vier Jahre lang

um die Welt. Er hatte einst As-

tronomie und Physik studiert,

Karriere gemacht, fiel dann

aber in eine schwere Depres-

sion. „Die Gründe waren viel-

fältig. Ein Grund war, dass sein

Opa, der immer Musiker wer-

den wollte, verstorben ist. Aber

Musiker wurde er nie. Das gab

Peter, an den die Umgebung

beruflich große Hoffnungen

geknüpft hattee, sehr zu den-

ken. Er stellte sein Leben völlig

um.“ In nicht radelnden Phasen

arbeitet er als Rad-Reiseführer

oder in der Altenpflege. Petra

ist Skilehrerin. „Heuer werde

ich auf dem Thurntaler tätig

sein. Aber ich arbeite auch

immer wieder als Fotografin

oder Graphikerin bei kleineren

Projekten mit“, erzählt sie.

Oder die beiden halten Vorträge

über ihre spannenden Reisen.

Unverständnis

Wenig Verständnis für das

Leben der Familie haben aller-

dings die Eltern der beiden.

„Unser Tun ist für sie nur

schwer zu akzeptieren. Da wir

ja beide studiert haben und viel

Geld verdienen könnten. Un-

sere Eltern arbeiteten immer

sehr viel, um entsprechend zu

verdienen. Das wollen wir aber

nicht. Der Kontakt zu unseren

Familien ist aber dennoch gut.

Nur eben das Thema Radfahren

wird nie angesprochen.“

Auch wenn Ben schulreif

wird, möchte die Familie nicht

sesshaft werden. Stattdessen

überlegen die Eltern ihn selbst

zu unterrichten. „Sofern unse-

ren Kinder das Radeln durch

die Länder dann noch Spaß

macht.“

Martina Holzer

Dennoch wurde geradelt. Fünf

Monate lang in Marokko und

Spanien. Nachdem Ben das

Licht der Welt erblickt hatte,

wurde der kleine Mann mit sechs

Monaten kurzerhand in einen

Fahrradanhänger gebettet. „Es ist

ein spezieller Anhänger aus

Amerika, in dem er bequem sit-

zen und auch schlafen kann. Er

hat aber auch Pedale. Also wenn

er Lust hat, kann er mitradeln.“

2012 war die kleine Familie

dann mit Ben bereits fünf Mo-

nate lang von Granada (Südspa-

nien) bis nach Karlsruhe (D) un-

terwegs. „Er ist mittlerweile ein

richtig kleiner Abenteurer. Er

liebt es Lagerfeuer zu machen,

singt viel in seinem Anhänger

und interessiert sich speziell für

die vielen Tiere, denen wir auf

unseren Reisen begegnen.“

„Mann kniete vor

Ben nieder“

Mit Ben waren die Eltern

auch in Edirne (früher Adriano-

gerade wieder für einige Tage mit

Rad und Zelt alleine mit Esmé in

Osttirol und Kärnten unterwegs

ist. „Gecampt wird immer wild.

Egal, wo wir sind. Klar, in

Europa ist wild campen fast

überall verboten. Doch es gibt

immer wieder Plätzchen, wo wir

unser Zelt aufschlagen dürfen.“

Die Wäsche wäscht Petra

immer mit der Hand und hängt

sie auf die Anhänger. „Der

Wind und die Sonne trocknen

die Wäsche ja schnell.“ Dass es

im Zelt für Petra einmal zu eng

wird, ist noch nie passiert.

„Wenn wir radeln, ist es ohne-

hin oft so, dass Peter und ich ei-

nige 100 Meter weit Abstand

haben, weil jeder in seinem ei-

genen Rhythmus radelt.“ Krank

wurde die Familie bis dato

noch nie. „Eine Reiseversiche-

rung haben wir natürlich.“

Beide haben studiert

Petra studierte einst Doku-

mentarfotografie an der Kunst-

ebensqualität

Lager-

feuer in

der

Nähe

von

Istanbul.

Auch die

Straße

wird

teilweise

zur

Spiel-

wiese.