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Englisches

Sept. 2018

D

en Engeln galt schon ganz früh mein Interesse. Dass

ich als Vorschulkind auch die Engländer mit ihnen in

Verbindung brachte, mochte daran gelegen sein, dass eine

Großtante die englische Besatzung, die mehrmals am Tag am

Haus vorbeifuhr, geschwollen „Engelländer“ nannte.

Unsere Mutti betete jeden Abend mit uns: Heiliges

„Schutzengele“ mein, lass mich dir empfohlen sein, steh‘ in

jeder Not mir bei usw. Nöte gab es viele: zum Beispiel dass

die Lehrerin ausgerechnet dann eine Antwort von mir hören

wollte, wenn ich mit meiner Banknachbarin ein wichtiges Ge-

spräch führen musste; wenn sich nach dem Verzehr der

ersten unreifen Äpfel Bauchweh und Durchfall aus-

gerechnet während eines Völkerballspieles an-

kündigte, keine Toilette und kein Busch weit

und breit waren oder das Spiel in der ent-

scheidenden Phase und ohne mich sicher

verloren worden wäre, und

die Sache ruchbar wurde.

Diese Viertelstun-

de am Abend war die

Geborgenheit selbst. Sie

galt störungsfrei nur uns Kin-

dern. Wenn Mutti voll Innigkeit

unsere Schutzengel bat, ja ihnen fast

befahl, auf uns aufzupassen, spürte

ich das große Vertrauen, das Mutti zu

diesen himmlischen Wesen hatte. Es mag

ihr deshalb ein so großes Anliegen ge-

wesen sein, weil sie uns berufsbedingt

oft allein lassen musste. Von der kurzen

abendlichen Zeitspanne nahm ich einen

Vorrat an Gott- und Menschvertrauen

mit, von dem ich ein Leben lang zehren

kann. Ich fühlte mich vollkommen zufrie-

den und geborgen.

Als unser Pfarrer im Religionsunterricht

über die Engel sprach, war ich besonders auf-

merksam. Dieser Pfarrer war in meinen Augen

ein wenig frommer Mann, er rauchte, die Finger

der Raucherhand waren bis zum zweiten Glied gelb, die Hos-

tie roch immer nach Zigaretten, er spielte im Gasthaus Karten

und trank Cognac, warf den Schlüsselbund durch die Klas-

se und zog mich bei den Ohren. Trotzdem mochte ich ihn.

Er konnte so wunderbar aus der Bibel erzählen und brachte

in die Schwarz-Weiß–Welt große, bunte Bildtafeln mit, die

meine Phantasie beflügelten: ich stehe mit der ägyptischen

Prinzessin am Nil und kann zusehen, wie sie in einem wun-

derschönen smaragdgrünen Seidenkleid das Körbchen mit

Moses aus dem Fluss fischt. Nicht einen Moment denke ich

daran, dass es eventuell ein böser Gott sein könnte, der von

Abraham fordert, seinen Sohn Isaak zu opfern: Des Pfarrers

Stimme ließ von Anfang an erahnen, dass die Sache gut aus-

geht. Ich erkenne nur den gütigen Gott, der im rechten Mo-

ment einen Widder schickt. Als der Wal Jonas an den Strand

spuckt, fällt mir auf, dass seine Kleider weder zerknittert noch

vom Mageninhalt des Fisches verschmutzt sind. Ich lausche

Jesus, wie er sich mit der Frau am Jakobsbrunnen unterhält.

Ich höre die Menge jubeln beim Einzug Jesus‘ in Jerusalem,

ich leide mit den Ägyptern, wie sie mit Schreck geweiteten

Augen die Wellen des Roten Meeres über ihren Tross herein-

stürzen sehen, ich rieche den Weihrauch der Hl. Drei Könige,

sehe das erste Mal Kamele in ihrem Gefolge, …

Und eines Tages erzählte dieser Pfarrer von den Engeln.

Jedem Mensch sei ein starker Engel als Beschützer mitge-

geben und andere seien zum Lob Gottes abgeordnet. Beim

nächsten Kirchgang betrachtete ich

die Engel in der Kirche und sor-

tierte sie in Beschützer und

Lober. Als Beschützer kam

nur die große Statue in Frage,

die bei der Prozession mitgetra-

gen wurde und als Lober war in

meinen Augen keiner geeignet.

Diesen dicken, selbstgefälligen

Wesen mit Windeln um die Mit-

te traute ich kein Gotteslob zu.

Sie wären mit ihren Stummelflü-

gelchen nie und nimmer geeignet,

ihre schwabbeligen Körper in die

Lüfte zu erheben. „Meinem Engel“

auf der Brücke auf dem Bild ober-

halb meines Bettes traute ich zu,

Beschützer zu sein. Deshalb wei-

gerte ich mich ab nun, „Schutz-

engele“ zu beten und Mutti

war damit einverstanden,

den Engel erwachsen wer-

den zu lassen.

Mein Schutzengel war klug und ein guter

Schwimmer. Ein riesiger Birnbaum wuchs Me-

ter über das Hausdach hinaus. Wir hatten stren-

ge Anordnung, nicht höher als bis zur Traufenhö-

he zu klettern, denn die Stromleitung ging durch die

Baumkrone zum Dachständer. Als im Herbst hoch oben

besonders schöne Früchte hingen, missachtete ich das Verbot

und kletterte höher. Da brach ein Ast und ich rauschte mit

fliegenden Röcken durch den Baum und blieb mit dem Rock

an einer Latte des Gartenzaunes hängen, fast unverletzt. Der

Rock war allerdings nur noch als Bodentuch zu gebrauchen.

Als die Isel im späten Frühling Hochwasser führte, woll-

te ich ausprobieren, wie weit man in die Flut hineingehen

könne. Da erfasste mich eine Welle, riss mich mit, drückte

mich unter Wasser, Treibholz schlug mir um die Ohren und

die nächste Welle schleuderte mich auf einen großen Stein

ans Ufer. Zitternd dankte ich meinem starken Engel.

Burgl Kofler

Abbildung: „Tristacher Schutzengel“ (Prozessionsstatue)

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