OBERLIENZerlesen 29
Chronik
Weihnachtsgeschichte
aus dem Jahr 1678
aus dem Buch „Die Pfaf n“ von Fanny Wibmer Pedit,
mit freundlicher Genehmigung vom Berenkamp Verlag
In einer alten Badstuben un-
term Schloßberg ist das Pfaffen-
gelichter untergeschloffen. Es ist
die erste Adventwoche und ein gar
schneereicher Winter. Wie mag es
wohl weiter werden? Sie sind dies-
mal alle zusammen vor Hunger
und Entbehrung ganz von der
Kraft gekommen. Sie sind die
letzten Jahr‘ her an mehr ausge-
raubten Brandstätten vorbeigezo-
gen als an behausten Bauernhöfen.
Es gibt keine Arbeit mehr. Es gibt
nichts mehr zu betteln, nichts
mehr zu stehlen. Die Ähne und
das bißl Plunder im Karren drin-
nen machen ihnen eine unendliche
Mühe auf den letzen, verschneib-
ten Wegen. Sie haben schon übers
Jahr her kein Roß mehr, sind vom
Letzten gekommen.
Sie hätten aber wohl doch
drunten im Kärntnerischen blei-
ben sollen, bis der strenge Winter
vorbei ist und es zu apern an-
fängt. Der Unterschlupf wär´
auch zu erleiden gewesen. Doch
den Veit Kramer hat es heimge-
trieben mit einer geheimen, ur-
kräftigen Gewalt, die alle Vor-
sicht hat schweigen machen. Jetzt
aber liegen sie fest, und just da
im Lüentzer Stadtbezirk, wo sie
so nicht gut angeschrieben sind.
Der Veit Kramer ist mit ei-
nem Handkarren auf Perlog. Hat
den Stallknecht aufgeladen, der
sich beim Viehtrieb drüben auf
der Schloßbrucken einen Fuß
gebrochen. Und wie es schon
einmal ist, von den Marktleuten
hat keins eine Zeit haben wollen,
den Samaritan zu machen. Soll
er nur losschieben, der Veit, der
Pfaffin ihr Mann; mag nit scha-
den, wenn das verrufene Gelich-
ter einmal anders als müßig sein
Brot ißt. Der Perloger Bauer wird
sich um den Dienst nicht lumpen
lassen; der hat‘s ja noch, der
kann‘s wohl tun.
Der Michl ist mit dem Vater
fort, ihm zu helfen; ist wohl
schon als Hilfe zu rechnen, mit
seinen fünfzehn Jahren könnt‘ er
leicht schon ein Knechtl sein. Es
ist ein schieches Geschinde, den
schweren Lotter im Karren, den
steilen Weg aufwärts im tiefen
Schnee.
„Heut ist der Tag schon ver-
tan“, murrt die Emerenz. „So
ist der Veit, allweil jedem zu
Diensten und selber der notigste
Mensch, den die Landstraßen
tragt.“
Drinnen in der Lüentzerstadt
blitzen die Stubenlichtlein auf,
der Tag ist um. Über Jöcher und
Höhen leuchtet der schimmernde
Schnee, der sich über Berge und
Wälder kuppelt, und über das Tal
ist das große, weiße, stille Lei-
lach gebreitet.
Heiliger Advent! Die Eme-
renz will bitter werden. Ein
Knecht wird aufgelegt und heim-
gepappelt. Wer in der weiten
Welt kümmert sich um sie und
die Kinder, um die alte, bresthaf-
te Mutter? Wen rührt des Veiten
rechtschaffenes Herz, sein ewi-
ges Gedulden, wer zahlet ihm
heim, wenn er vom Letzten gibt?
Achtzehn Jahr‘ sein sie selber
schon auf der Straßen, allweil
wandern und heimatlos sein. In
Wetter und Wind, in Hitzen und
Kälten unter Gottes weitem
Himmel, ohne Dach und Fach.
Um trocknes Brot roboten, um
Saufraß betteln und nach des
Hungers Gebot auch stehlen,
und nimmermehr auf ein klein-
winzig grünes Zweiglein kom-
men. Es ist ein bitter, bitter har-
tes Los. So hat der Krieg verheert
und entehrt.
Weit herum ist Ruh‘, auf ei-
ner alten Eschen gargelt ein ver-
schlafener Rabe; Pulverschnee
staubt nieder, sonst rührt sich
nichts Lebendiges mehr. Der
Tag geht zur Ruh‘.
Da schleichen zwei Schatten
über das bleiche Wintertuch her,
ein langer, ein kürzerer, und
Schnaufen hört die Emerenz. Sie
sind‘s, der Veit und der Michl.
„Der Tag ist heut hin, müssen
wir nachtigen da in dem elenden
Kotter und ich mueß erst noch ein
Essen zusammenlottern.“ Das ist
der Emerenz herber Gruß. Aber
über des Veit Kramer Gesicht
liegt es wie eine helle Freud‘, er
stößt die Badstubentür auf. Die
Kinder sind gleich wach, reiben
sich verwundert die Augen mun-
ter. Ein Stücklein Talg gibt mü-
des, mattes Licht. „Emerenz,
bleib“, redet der Veit sie an, weil
sie nach einem Korb greifen will.
„Essen haben wir bei uns, der
Perloger hat auch wohl an euern
Hunger gedacht; der Perloger ist
ein gar Umsichtiger.“ Und aus
dem Kotzen schält er Brot und
Speck, einen goldenen Butterwe-
cken. Das Bastele faltet die
Händ‘ bei dem wunderbaren
Anblick, die Ähne f lüstert ein
© Gottfried Stotter
Das Bild zeigt den Ort
unterhalb von Perlog wo das
Haus gestanden sein soll.