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Virgen

Aktiv

42

I

Virgen im Ersten Weltkrieg

Zur Erinnerung: Diese Aufzeichnungen

in der Volksschulchronik verfasste

Schwester M. Kassiana Letzner. Sie sind

hier ohne Kommentare und Korrektu-

ren, aber mit ein paar Kürzungen wieder-

gegeben. Von mir gemachte Ergänzun-

gen stehen zwischen eckigen Klammern

[ ... ]. Die beigefügten Abbildungen

stammen natürlich aus anderen Quellen.

Otfried Pawlin

1917

Das Ansuchen der Gemeinde Virgen um

Nachsicht in der Getreidestellung wurde

nicht berücksichtigt u. so mußte nach

und nach das Getreide gestellt werden,

was manchen Bauern große Opfer auf-

legte. Das Mehl, das dann zum Verkaufe

kam, war ziemlich teuer u. schwarz. Im

Februar u. Anfangs März war wieder

Stellung. Von den älteren Stellungs-

pflichtigen wurden einige für tauglich

befunden. Von den 17jähr. waren die

meisten tauglich u. mußten am 10.

März einrücken.

Da unsere Feinde das Friedensangebot

unseres u. des deutschen Kaisers schnöde

abwiesen, wurde vom 1. Febr. an der

Unterseebootkrieg mit der ganzen

Schärfe u. wohl auch mit vielem Erfolg

durchgeführt. Dieses stramme Vorgehen

brachte unsere Feinde in arge Verlegen-

heiten.

Im Dez. 1916 wurden der Schulleitung

von der Statthalterei „Abt. Kriegshilfs-

amt“ 4 Wehrschilde überschickt. Diese

Schilde sollten in jeder Klasse [von den

Kindern, die eine Spende brachten] be-

nagelt werden u. der Erlös davon an den

k.k. Landesschulrat „Kriegshilfsamt für

Witwen u. Waisen gefallener Tiroler

Krieger“ überschickt werden. Im Jänner

u. Febr. wurde die Benagelung vorge-

nommen u. trug das nette Sümmchen

von 90 K, sage neunzig Kronen, welches

Geld am 21. März der Post zur Weiter-

beförderung übergeben wurde.

In der Zeit vom 25. III. – 4. IV. kam

neuerdings eine Kornkommission. Dies-

mal wurde sämtliches Korn gewogen;

45 kg für den Kopf wurde jedem Haus-

halte überlassen, alles andere wurde teils

durch die hier angestellten Russen, teils

durch eigens für diesen Zweck hieher ge-

schicktes Militär im Hellerhaus zusam-

mengetragen. Sobald bessere Wegver-

hältnisse sind, wird es zum Tal hinaus-

geliefert. Das Militär war in der 1. Klasse

untergebracht, die Küche für dasselbe

war im Gemeinde-Armenhaus. Einiges

Korn wurde nach Windisch Matrei ge-

liefert u. dort gemahlen. Das Mehl kam

zurück u. wurde beim Krämer Martin

Bacher in Virgen gegen Vorlage eines

Mehlbüchleins an unbemittelte Perso-

nen gegen Bezahlung ausgewogen. Im

Juni wurde [das] Korn zum Tal hinaus-

geliefert. 22 Säcke Korn durften in Vir-

gen bleiben u. auch hier gemahlen wer-

den für Leute, die kein Korn ernteten

od. doch zu wenig haben. Leider reichte

der Vorrat nicht immer u. mußte man-

che Familienmutter mit dem leeren

Sacke heimgehen.

Am 6. Juni war in Lienz wieder Stellung.

Von den 18 Stellungspflichtigen war

einer (Bartlmä Mariacher, Lazacher) als

tauglich befunden. Man sah diesen

Mann ungern scheiden, da er ein tüch-

tiger Zimmermann u. Mühlenbauer war.

Am 20. Juni wurden durch Soldaten die

Glocken abgenommen, um dann am 23.

zum Tal hinausgeliefert zu werden. Die

große Glocke in der Pfarrkirche, die sich

durch ihren feierlichen Klang auszeich-

net, wollten die Leute nicht fortlassen.

Der Gemeinde-Vorsteher – Thomas

Lang – suchte bei der Militärbehörde

um die Belassung dieser Glocke an. Als

aber verneinende Antwort kam, reiste er

persönlich zum Hochwst. [Hochwür-

digsten] Fürstbischof – Franziskus Egger

– nach Brixen. Leider konnte nichts

mehr erreicht werden, da hier bereits ein

Protokoll aufgenommen war. Und so

wurde diese schöne Glocke am 26. vom

Turm herabgeworfen – wobei sie leider

zerbrach – um am 27. nach Lienz u. von

dort nach Innsbruck zu wandern, um

Virgen im Ersten Weltkrieg

Wehrschild der 1. Klassemit „benagelter“ Vorderseite (und Vergrößerung). Auf der Rückseite sind die von den Kindern gebrachten Spenden

festgehalten.

Original im Archiv der Gemeindechronik