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ummer

53 - M

ärz

2016

C

hronik

„Es liegt was in der Luft“,

meinte meine Mutter, die

„Freimannbäuerin“

Anna

Duregger, als sich am

Abend

des 6. Mai 1976

die Kühe

beim „Einhängen“ ziemlich

daneben benahmen. Die Tiere

spürten wohl instinktiv schon

das kommende Ereignis. Es

war für Anfang Mai ein recht

heißer Tag und man dachte

eher an ein aufziehendes Ge-

witter. Doch es kam anders.

Viele Erzählungen stimmten

überein, wenn von ächzen-

dem Gebälk, „wie wenn ein

Windstoß hineinführe“ oder

vom „Rauschen eines heran-

nahenden Sturmes“ die Rede

war. Jedenfalls traf man sich

ganz unerwartet und teilweise

bereits in „Nachtkleidung“ -

es war gut 21:00 Uhr - beim

zweiten „Erdstoß“ in heller

Aufregung vor dem Haus

„Erdbeben! Haben wir

noch keines erlebt…!“

Der „Freimann Ann“ ihre

Bedenken galten in erster

Linie einem Stromausfall.

Wie sollten wir Kerzen auf-

stellen können? Sie würden

umfallen und womöglich

Brände verursachen. Es be-

kamen die schrägsten Sze-

narien plötzlich den Hauch

von Wirklichkeit. Von allen

Seiten tönte aufgeregtes Ru-

fen durch die Nacht, was das

unheimliche Empfinden noch

verstärkte. Mein Vater, der

damalige Bürgermeister Pe-

ter Duregger, ergriff als ers-

tes sein wichtigstes Utensil,

nämlich das „Kofferradio“.

Bereits um 21:30 Uhr hörte

man in Radio Kärnten erste

„Zustandsberichte“. Bürger-

meister Duregger machte sich

dann zu Fuß auf den Weg

Richtung

Feuerwehrhaus,

um eventuelle Einsätze zu

begleiten bzw. mit dem Kom-

mandanten Franz Kollnig zu

besprechen. Was er dort an-

traf, war der Rest der Musik-

kapelle, ganz aufgeregt nach

der abgebrochenen Probe

„vor dem Tore“ stehend, das

Probelokal befand sich da-

mals im Feuerwehrhaus und

der Donnerstagabend galt der

Musikprobe.

„Erdbeben…außi, auß‘n,

hinaus…“

Kpm. Siegfried Hoffmann

leitete die Probe, als plötzlich

die Notenständer zu wackeln

begannen. Nach der Reihe

verstummten die verschiede-

nen Instrumente, eins um‘s

andere, bis gespenstische

Ruhe herrschte. „Vor Schreck

erstarrt saßen wir da“, erin-

nert sich Bartl Klaunzer und

beschreibt die nachfolgen-

den Minuten so: „Erdbeben-

auss‘n beim Loch“ schrie

Vor 40 Jahren - 6. Mai 1976

Das Erdbeben

Etwa 80.000 Menschen in 77 Gemeinden waren von den Erd-

beben-Zerstörungen betroffen, 45.000 verloren ihre Häuser

beziehungsweise Wohnungen. Gemona und die Nachbarge-

meinden Venzone und Osoppo wurden schwer zerstört. Vom

berühmten Dom Santa Maria Assunta (Heilige Maria Him-

melfahrt) stürzten das rechte Seitenschiff und der Campanile

ein. Im Dom stehen heute die Säulen etwas schief und erin-

nern noch nach dem Wiederaufbau an das Erdbeben. Auch

der Dom von Venzone wurde völlig zerstört.

(Wikipedia)

Aus unserer Dorfchronik

Ein Erdbeben schwersten

Ausmaßes ereignete sich am

Donnerstag, 6. Mai 1976.

Das Zentrum des Bebens lag

in Friaul, besonders betrof-

fen waren die Orte Gemona,

Osoppo, Buis, nördlich von

Udine. Es war genau 21:00

Uhr. Unsere Kinder lagen,

müde von der Maikäfer-

jagd, im ersten tiefen Schlaf.

Wir saßen im Wohnzimmer.

Plötzlich begannen die Zwei-

ge unserer Zimmerpflanzen

zu zittern. Der Blumenstän-

der wankte. Der Wohnzim-

merluster schwenkte weit

aus. Wir hatten das Gefühl,

in einem fahrenden Zug zu

sitzen. Dann Stille. Ich öff-

nete die Balkontüre. Alles

war unwirklich, so seltsam.

Gleich darauf wieder dieses

Beben, stärker diesmal und

länger. In den Mauern eine

Spannung…ein Knistern…

Die Dachziegel am Nach-

barhaus klirrten leise, in der

Luft war ein Geräusch wie

ein Sturmwind. Es war aber

windstill. Seit Menschen-

gedenken gab es in Euro-

pa kein solches Beben. Die

Leute eilten, teils schon im

Nachthemd, ins Freie. Alle

waren blass, verstört. Be-

sonders die Kinder wollten

sich kaum beruhigen, Hunde

und Katzen reagierten laut,

in den Ställen war es unru-

hig. Um 21:10 Uhr war das

Ärgste vorbei. Es gab leich-

te Sprünge an Gebäuden

(Altarraum der Pfarrkirche

Lienz), aber niemand erlitt

Schaden. Unheimlich wa-

ren die Nachbeben, die seit-

her immer wieder, zum Teil

sehr intensiv, spürbar waren.

Bis Dienstag, 11. Mai zähl-

te man deren fünfzig. Das

ganze Ausmaß des Bebens in

den betroffenen Gebieten zu

schildern, wäre nicht mög-

lich. Ich lege Zeitungsaus-

schnitte der größten öster-

reichischen Tageszeitung für

spätere Lektüre bei. Bemer-

ken möchte ich noch, dass

das Beben überall am Gaim-

berg gleich intensiv auftrat.

Herunten im Tal ebenso, wie

oben beim „Zabernig“ oder

am Zettersfeld.

Zieht man Bilanz: Nur 60

km von uns entfernt lag das

Zentrum der Katastrophe.

Bei dem Beben wurde eine

Energie von 150.000 Me-

gawatt frei. Das ergäbe die

Kraft von 4 Millionen Autos

zu 50 PS. Unsere Berge und

der liebe Gott - sie haben uns

in dieser Nacht beschützt.