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zusammengepfercht, fünf in einer Reihe. Die

Lehrer führten ein strenges Regiment, und

noch strenger war der Pfarrer in den Religi-

onsstunden. Da gab es oft Schläge, bis Blut

aus der Nase floss. Niemand hätte sich

etwas zu sagen getraut, auch die Eltern

nicht. Insgesamt wurde von der Kirche viel

Druck ausgeübt und Angst gemacht.

Die Kriegsjahre waren erst recht eine

schlimme Zeit. Die Männer mussten an die

Front, und Emmas Bruder Leo, der den Hof

übernehmen sollte, fiel in Finnland. Oft

kamen Frauen aus Lienz, um von den

Leisacher Bauern Lebensmittel zu erbetteln.

Beim Zenzer gab es den größten Obstgarten

von Leisach und dort und auf den Feldern

durften sich dann diese armen Frauen etwas

holen. Immer wieder kamen auch Finanzer

vorbei, um zu kontrollieren, ob wohl nicht

schwarz Schnaps gebrannt wurde. Aber die

Zenzer-Mutter verstand es gut, sie mit eini-

gen Kostproben zufrieden zu stellen. Als sie

einmal angezeigt und bei der Gestapo vor-

geladen wurde, nahm sie auch zwei Flaschen

Schnaps mit und überzeugte damit die Be-

amten von ihrer Rechtschaffenheit. Auch die

wohlhabenden Lienzer Geschäftsleute

nahmen Butter und Schnaps vom Zenzer

lieber als Geld.

Ihren Viktor lernte Emma kennen, als er eine

Lehrstelle bei ihrem damaligen Nachbarn,

dem Schneidermeister Oberwalder, antrat.

Viktor stammt aus St. Veit in Defereggen, aus

der damals größten Familie mit 17 Kindern.

An seinem ersten Arbeitstag hatte er den

Auftrag, eine große Waschschüssel zum

Oberhöller zu tragen, weil gerade ein Kind

zur Welt kam. Dieses Kind war Josef Ober-

walder, der später als Volksschuldirektor

lange Jahre Emmas „chef“ sein sollte.

Viktor arbeitete gerne als Schneider und

legte auch in Innsbruck die Meisterprüfung

ab, aber nach einer schweren Krankheit

vertrug er die Bügeldämpfe nicht mehr und

musste den Beruf wechseln. Nach einem Jahr

als Waldarbeiter kam er wieder zu Kräften

und wurde als Hotelportier beim Hotel

Traube angestellt. Diese Tätigkeit machte er

so gut, dass er mehr Trinkgeld als Lohn

bekam, aber nach zehn Jahren hatte er von

den langen Arbeitszeiten (12 bis 15 Stunden

am Tag) genug und wechselte zum Einrich-

tungshaus Nussbaumer, wo er bis zu seiner

Pensionierung blieb.

Einen eigenen Hausstand und eine Familie

zu gründen war für das junge Paar nur mög-

lich, weil ihnen Viktors damaliger chef in

seinem neu errichteten Haus an der Drau

zwei Zimmer als kleine Wohnung zur Ver-

fügung stellte. Als die Familie wuchs, traf es

sich gut, dass Emma die Stelle als Schul-

wartin angeboten bekam. Diese Arbeit war

zwar nicht gut bezahlt, aber sie war mit

einer Dienstwohnung im Obergeschoß des

Schulhauses verbunden. 37 Jahre lang war

Emma mit Leib und Seele Schulwartin. Sie

hielt Haus und Umgebung sauber und intakt,

heizte im Winter die öfen und war

Ansprechpartnerin für Schüler, Eltern und

Lehrpersonen, was ihrem geselligen Wesen

sehr entsprach.

Auch nachmittags und abends war im Schul-

haus oft etwas los: Theater- und chorproben,

oder auch die Proben des berühmten Osttiro-

ler Viergesangs. Beim Theaterverein spielte

Emma selbst fast 30 Jahre lang mit und stand

oft auf der Bühne. Heute wundert sie sich,

dass sie neben Arbeit und Familie Zeit dafür

hatte, aber „wir waren ja voll Saft und

Kraft“, erklärt sie gleich selbst. Erholung in

Form eines Urlaubs brauchten sie nicht, weil

sie ihre Arbeit gern taten und in einer schö-

nen Gegend lebten. Deshalb unternahmen

sie weitere Fahrten nur, um Verwandte zu be-

suchen, vor allem die Töchter in der Schweiz

oder in Unterkärnten.

Als die Wohnanlage im Kernfeld gebaut

wurde, erwarben Emma und Viktor eine

kleine Wohnung mit Garten im Erdgeschoß,

in der sie auch heute noch, mit fast 90 Jah-

ren, eigenständig und ohne Hilfe leben kön-

nen. Sie freuen sich über Besuch, weil das

gemütliche Zusammensitzen beim „Ratschen“

und Lachen für sie die netteste Unterhaltung

ist. Der alten Zeit trauern sie nicht nach. Sie

war vor allem mit sehr viel Arbeit, Mühen

und Schmutz verbunden. Nur der gute

Zusammenhalt machte diese Zeit erträglich

„Streiten hätt’s gar nicht getragen“, sagt

Emma „man hat sich ja gegenseitig ge-

braucht und immer zusammengeholfen.“

Heute ist alle viel schöner und gepflegter,

den Menschen geht es viel besser, aber der

Zusammenhalt ist nicht mehr so stark.

M. H.