REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
SEPTEMBER/OKTOBER 2017
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Sie ist klein, zart und ein
richtiges Energiebündel. Wenn
sie lacht, ist es herzhaft und so
gar nicht aufgesetzt. Ihre Haare
trägt sie stets offen. „Ich mag
nicht sehr gerne, wenn man
meine Wunden seitlich am
Kopf sieht“, erklärt sie.
Sie trägt lieber langärmelige
statt kurzärmelige T-Shirts.
Denn auch unter der Kleidung
versteckt sie Wunden. „Und
diese sind ziemlich ,schiach‘“,
wie sie sagt. Sie entstanden
durch Misshandlung in der
Später ließ sich Margit zur Krankenschwester ausbilden. Sie begleitet auch sterbende Kinder und
Missbrauchsopfer.
Margit S. (51) verfügt über eine ausgeprägte psychische Wider-
standskraft, die ihr ein gutes Leben ermöglicht, statt amWahnsinn
ihrer Kinder- und Jugendzeit zu zerbrechen.
schreibung weiß man, was sie
damit meint. Als regelrechten
Befreiungsschlag erlebte sie
dann den Tod von Vater und
Großvater. „Sie starben kurze
Zeit hintereinander.“ Margit
war damals 20 Jahre alt, ihre
Geschwister nur wenig jünger.
„Heute leben sie als schwer ge-
schädigte Menschen jeder für
sich allein und in Österreich
verstreut.“
Margit hat jedoch Familie,
einen guten Ehemann und zwei
gesunde, erwachsene Kinder,
die einen erfolgreichen Weg in
ihrem Leben einschlagen konn-
ten. „Ich fragte mich lange,
warum gerade ich die Qualen
meiner Kinder- und Jugendzeit
im Vergleich zu meinen Ge-
schwistern so gut verkraften
konnte. Heute weiß ich es.“
Resilienz
Margit verfügt über eine
außergewöhnliche psychische
Widerstandskraft (Resilienz),
also über eine große Fähigkeit,
Krisen zu bewältigen. Die
51-Jährige war schon ein „ge-
fragtes Studienobjekt“ in der
Resilienzforschung und konnte
auch durch ihre Person aufzei-
gen, was es ausmacht, nicht am
Erlebten zu zerbrechen, son-
dern weiterzumachen.
„So war es mir schon als
Wenn man sich das
traurige frühere Leben
der 51-jährigen Margit
S. aus dem Pustertal
erzählen lässt, kann
man fast nicht glauben,
dass sie psychisch
völlig gesund blieb.
Niemals spielte sie mit
dem Gedanken aus
diesem Leben schei-
den zu wollen. Denn
Margit verfügt über
eine enorme psy-
chische Widerstands-
kraft, sprich Resilienz.
Kinder- und Jugendzeit. Der
Vater war psychisch krank.
„Er hat mich und meine Ge-
schwister täglich attackiert.“
Auch der Großvater hat eini-
ges zu den Qualen, die die Ge-
schwister ertragen mussten,
beigetragen. „Der Großvater
war einst im Konzentrations-
lager, weil er einen Beamten
tätlich angriffen hatte.“ Die
Brutalitäten, die er damals er-
lebte, habe er an den Kindern
ausgelassen. „Die Mutter war
ein ‚armes Hascherl‘, psy-
chisch und physisch ‚unter der
Knute‘ von Ehemann und
Schwiegervater.“
Befreiungsschlag
„Meine Mutter ist dann früh
gestorben, aus Gram“, vermutet
Margit. Die genaue Todes-
ursache kennt sie aber nicht.
Nach dem Tod musste sie den
Platz der Mutter einnehmen.
„In jeder Hinsicht. Auch für
den Großvater.“ Bei diesen
Worten verzieht sich ihr hüb-
sches Gesicht. Auch ohne Be-
Trotz schlimmen Erlebnissen Leb