ZEITZEUGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JULI/AUGUST 2017
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terscheiben der Partei einschla-
gen. Darauf stand natürlich
mindestens das KZ. Bei uns
spielte natürlich auch eine ge-
wisse Abenteuerlust mit.“
Amerikaner beim
„Kreuzl“
„Damals, als die Amerikaner
über Osttirol hinweg flogen, um
Städte in Deutschland zu bom-
bardieren, stürzte einer der
Flieger beim Rückflug über Sil-
lian ab. Es war der 31. Dezem-
ber. Zwei Männer konnten sich
mit dem Fallschirm retten.
Einer landete auf Südtiroler
Gebiet, einer auf unserem,
beim sogenannten ,Kreuzl‘, wo
es eine tolle Skiabfahrt gab.“
Gemeinsam mit einem Nach-
barn, einem Gastwirt, beeilte er
sich hinauf zum Amerikaner,
der in einem Baum gelandet
war. „Er konnte sich selbst von
dort befreien. Wir wollten ihm
dann helfen und ihn bei einem
Bauern verstecken. Der Ameri-
kaner war meine erste Gele-
genheit mit jemandem Englisch
zu sprechen. Ich bot ihmWeih-
nachtskekse an, aber er hatte
sich bei der Landung in die
Zunge gebissen und konnte
nicht essen.“ Goller schnappte
sich allerdings eine Landkarte
aus der Brusttasche. „Das war
für uns damals eine unglaub-
liche Karte. Da war ganz
Europa drauf.“
Er hatte große Angst
Der Amerikaner hatte große
Angst und vertraute den Ein-
heimischen nicht. Er wollte lie-
ber in ein Kriegsgefangenen-
lager, anstatt sich von ihnen
helfen zu lassen. „Ich weiß,
dass er auf dem Bahnhof dann
von der Gestapo gefasst und
furchtbar verprügelt wurde und
in Folge in ein Lager kam.“
Später holte man sich den Fall-
schirm, umWindjacken daraus
zu machen.
Mit 15 Jahren sollte Goller
dann in den Krieg ziehen – als
Luftwaffenhelfer. „Doch am
Heiligen Drei Könige-Tag brach
ich mir beim Skifahren wieder
das Bein und konnte somit vor-
erst noch daheimbleiben.“ Bei
der Nachmusterung „half“ dann
sein Vater nach, damit er dies-
mal auch nicht in den Krieg
musste. „Er gab mir eine Spritze
mit gekochter Milch in den Hin-
tern. So bekam ich hohes Fie-
ber. Zudem täuschte ich starke
Kopfschmerzen vor, die bis ins
Gehirn reichen würden. Man er-
klärte mich vorerst wieder für
untauglich. Was dann noch Tage
später wirklich weh tat, war der
Einstich der Spritze.“ Bei einer
weiteren Nachmusterung er-
klärte ihn der damalige Amts-
arzt von Lienz, ein Anti-Nazi,
als noch nicht rehabilitiert. „Ich
war so unendlich froh.“
Partisanen
Von einem Schulkameraden
wusste er, dass dieser nach Ost-
preußen musste und später zu
Fuß bis nach Kötschach-Mau-
wegen seiner vaterländischen
Gesinnung von den Nationalso-
zialisten verhaftet wurde und ei-
nige Zeit im Konzentrationsla-
ger Dachau verbringen musste.
Zur Gestapo beordert
Goller erinnert sich auch
noch gut daran, wie hart die
Strafen waren, wenn man beim
Schwarzsender-Hören erwischt
wurde. „Es folgten eine An-
zeige und das Einsperren. Ich
kann mich auch an einen Vill-
grater erinnern, der deswegen
sogar im Konzentrationslager
landete, nachdem man ihn
mehrmals erwischt hatte. Auch
bei uns daheim hörte man viel
Schwarzsender.“
Auch Goller wurde als junger
Bursche einmal zur Gestapo be-
ordert – eingefädelt von einem
SS-Obersturmbannführer, der
in der Oberschule in Lienz Di-
rektor war. „Das war 1942 oder
1943. Die Gestapo sagte zu mir:
,Günther’, der Papa hat gestan-
den, dass ihr eine monarchisti-
sche Bewegung aufstellt.‘ Mir
war sofort klar, dass sie mich in
eine Falle locken wollten.“
Goller hatte sich selbst im Wi-
derstand organisiert. „Gemein-
sam mit vier anderen Jugendli-
chen aus dem Oberland und
Lienz. Wir verübten dann kleine
Attentate wie Hakenkreuzfah-
nen herunterreißen oder Fens-
then flüchtete. Es war Dr. Leo
Klocker, der Tierarzt. Goller
machte während der Nazi-Zeit
auch bei den Kärntner Reichs-
meisterschaften in Garmisch-
Partenkirchen mit. „Osttirol
gehörte damals ja zu Kärnten.
Dort trainierte uns Erich Rana-
cher, der von der Deutschen
Wehrmacht dort abgestellt
wurde, weil er eben ein guter
Skifahrer war.“ Eines Tages
fragte er Goller: „Du bist doch
der Sohn vom Tierarzt? Also
ein Anti-Nazi?“ Er forderte den
jungen Sillianer somit auf, sich
mit ihm den Partisanen in Slo-
wenien anzuschließen. Goller
war Feuer und Flamme. Als
sein Vater davon erfuhr, fuhr er
ihn an, ob er denn „narrisch“
sei. „Da wirst du gleich er-
schossen“, so der Vater. Goller
sagte Ranacher dann schweren
Herzens ab. Ranacher ließ sich
dann tatsächlich zum Partisa-
nen ausbilden. „Er wurde letzt-
endlich bei der Villacher Alpe
gefasst und in Graz gehängt.
Das hat mich schwer betroffen
gemacht.“ Martina Holzer
Rede Hitlers an die jubelnden Massen auf dem Wiener Heldenplatz vom Balkon im ersten Oberge-
schoss der Hofburg aus, 15. März 1938.
Foto: Bundesarchiv/183-1987-0922-500
in Widerstandskämpfer
Nach dem Zweiten
Weltkrieg
Günther Goller besuchte
nach 1945 das Gymnasium in
Schwaz in Tirol. „Ich sollte
dann eigentlich in die Fußstap-
fen des Vaters treten und Tier-
arzt werden. Nach zwei Se-
mestern an der tierärztlichen
Hochschule kam ich dahinter,
dass man auch Orientalistik
studieren konnte und wech-
selte.“ Danach studierte Goller
noch Rechtswissenschaften.
Letztendlich landete er aber in
der Politik. Sie wurde zu sei-
nem Lebensinhalt. Zuerst
wurde er in Wien ÖVP-Klub-
sekretär, dann Stadtrat und bis
zu seinem Ausscheiden Klub-
obmann der Wiener Volkspar-
tei. Goller ist Ritter des Sou-
veränen Malteserordens und
Ehrenbürger der Stadt Wien.
Zudem erhielt er das Große
Goldene Ehrenzeichen für Ver-
dienste um das Land Wien.