Stark reduziertes Leben
„Die Reduktion des Lebens
auf die Aufgabe des Überlebens
nimmt Ila die Basis und Grund-
lage, um ihren Interessen, vor
allem intellektueller Art, nach-
zugehen und ihr vertraute und
genehme Menschen in anre-
gender Atmosphäre zu treffen.
Sie war gezwungen, in einer
kleinen, ländlich geprägten
Stadt zu leben, die sie ohne
Krieg nicht als Wohnort ge-
wählt hätte“, betont Sila.
In der Schlossgasse be-
wohnte Ila vorerst mit Lorli,
später mit der nachkommenden
Mutter Laura in einem Haus ein
Erkerzimmer im Erdgeschoss.
Lorli zog in ein beheizbares
Zimmer nahe der Schlossgasse.
Der Alltag war geprägt von
Fliegeralarmen und Detonatio-
nen. Immer wieder hielt Ila ihre
Gedanken und Erlebnisse im
Tagebuch fest.
„Schauerlich in
der Gewalt“
So unter anderem am 5. No-
vember 1944. „Lorli und ich
wanderten nach Oberlienz und
setzten uns auf eines der niede-
ren Mäuerchen. Da ertönte eine
ferne, dumpfe Detonation,
schauerlich in der Gewalt. Und
noch eine ganze Kette. Aber
kein Flugzeug war zu hören, und
selbst durch den Feldstecher war
nichts wahrzunehmen. Und
immer wieder neue Detonatio-
nen. Wahrscheinlich ein Angriff
auf den Südtiroler Raum. So
sieht das Gesicht heutiger Aus-
flüge an einem Sonntagmorgen
aus. Mir macht dieses ferne,
dumpfe, lawinenartige Getöse
einen schrecklichen Eindruck.
Wir mussten auch auf dem gan-
zen Weg darauf bedacht sein,
eventuell eine Deckung aufzu-
suchen, für den Fall, dass im
Tiefflug mit Bordwaffen auf Per-
sonen geschossen wird. Im Feld
arbeitende Bauern sind auf diese
Weise hier getötet worden.“
„Die Vormittage sind
ungemütlich“
Und am Vormittag des 6. No-
vember erlebte man in Lienz
dreimal innerhalb von drei Stun-
den Voralarm, Alarm und Ent-
warnung. „Furchtbare Detona-
tionen. Große Verbände über un-
seren Köpfen. Dabei bedecktes,
regnerisches, nebliges Wetter.
Die Vormittage sind ungemüt-
lich. Es ist unmöglich einer erns-
ten, konzentrierten Beschäfti-
gung nachzugehen. Man horcht
entweder auf die Sirene oder auf
das Brummen der Bomber über
uns, oder auf Einschläge jenseits
der Dolomiten. Zuerst fand ich’s
hier in Lienz wunderbar ruhig,
nur eben zwischen 10 und 2 Uhr
ist es nicht ruhig. Und es ist mir
doch lieber als in Wien, wo man
nach Angriffen die Zerstörungen
sehen musste und über der gan-
zen Stadt immer so eine un-
heimliche Stimmung lag.“
„Muss meine Traurig-
keit verschweigen“
Sila: „Der letzte Kriegswinter
(1944/45) war in Lienz beson-
ders kalt und schneereich. Umso
drückender die Stimmung.“ Ila
notierte: „Heute Mittwoch, 15.
November, im dichtesten
Schneegestöber war von 9 Uhr
bis halb 3 Uhr Alarm. Ganz
niedrig, durch dichten Nebel
drang das Summen der Motoren.
Mir ist heute, als begrabe dieses
unaufhörliche Schneien mich
und jede meiner Hoffnungen.
Aber was haben solche Empfin-
dungen heute denn für eine Be-
rechtigung in einer Zeit so un-
gemessenen Schmerzes und nie
dagewesener Gräuel. Ich muss
meine Traurigkeit ganz, ganz
tief verschweigen. Sie wird
darob aber nicht kleiner.“
Erster Abwurf
Tagebucheintrag vom 23. No-
vember: „Gestern wurde hier
zum erstenmale etwas abgewor-
fen – zwischen dem Dorf Tris-
tach und Lienz. Die Bomben
waren leicht und gingen in die
Felder. Ich war auf einem Spa-
ziergang als die Verbände knapp
ober mir hinflogen und die
Schießerei begann. Es wurde mit
Bordwaffen geschossen. Als ich
dann wieder zuhause war, fielen
erst die Bomben, unser kleines
Haus bebte in allen Fugen. Eine
riesige schwarze Rauchwolke
lag über dem Tal, sodass man
meinte, es müssten Brandbom-
ben gewesen sein. Der Himmel
sah wüst aus an dem Vormittag,
durchkreuzt und besudelt von
weißen Kondensstreifen. Sie
flogen ja kreuz und quer, viele
Stunden lang.“
Hoffnungslosigkeit
„Woran Ila Egger-Lienz auch
dachte. Sie sah kein Licht, die
Zukunft erschien ihr wie eine
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FEBER/MÄRZ 2017
41
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Mehr Infos unter
www.christl-reisen.atDer „heilige Bezirk“
mit der Basilika.
Grotte in
Lourdes.
In diesem Haus in einem erdgeschoßigen Erkerzimmer wohnte Ila Egger-Lienz während des Krieges
vorerst mit ihrer Schwester Lorli, dann mit ihrer Mutter Laura.
Foto: Martina Holzer