REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JÄNNER/FEBER 2017
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Zu seinen Kunden zählen
auch Prominente, die man aus
Film und Fernsehen kennt.
„Darauf bin ich sehr stolz. Aber
es war harte Arbeit um dorthin
zu kommen. Als Vorbild diente
mir immer Demosthenes (384
bis 322 v. Chr.). Er hatte als
Kind einen Sprachfehler und
trainierte dann solange mit
einem Stein unter der Zunge,
bis er zum großen Redner
wurde“, schmunzelt Richard.
„Unbenannte“ Krankheit
Er war das jüngste Kind.
Seine Brüder und Schwestern
waren alle viel älter und schon
wusste mit der Erkrankung der
Mutter nicht umzugehen und er-
griff so oft es ging die Flucht.
Tage- und wochenlang. Er hatte
regelrecht Angst vor ihr. Zudem
war sie eine große, starke Frau,
und der Vater eher von kleiner
Gestalt so wie wir Kinder es
waren.“ Als Richard von der
Mutter vor die Tür gesetzt
ich diese Nacht überstanden
habe. Aber ich schrie lange vor
der Tür, die Mutter solle mich
wieder hereinlassen. Aber es
regte sich nichts. Ich war sehr
verzweifelt.“ Am nächsten Tag
hörte er die Stimme der Mutter.
Sie rief nach ihm und hatte Trä-
nen in den Augen. „Es tat ihr
furchtbar leid, was sie getan
heimgehe. Dann war sie halb-
wegs beruhigt.“
Schule als Anker
Die Schule war für Richard in
jeder Hinsicht ein Segen. „Die
Lehrer ahnten, was daheim los
ist. Sie versuchten auch mit mei-
nen Eltern zu sprechen. Aber das
nützte leider nichts. Besonders
bald aus dem Haus. Aber nicht
immer freiwillig. Die Mutter
vertrieb sie letztendlich durch
ihre psychiatrische Erkrankung.
„Sie hielten es daheim einfach
nicht mehr aus.“ Schizoaffektive
Störungen würde man die Pro-
bleme der Mutter heute bezeich-
nen. Damals, auf dem einsamen
Bergbauernhof, hatte man aber
keinen Namen dafür, wenn die
Mutter eine Depression, dann
wieder eine krankhafte Hoch-
stimmung in Verbindung mit
Schizophrenie an den Tag legte.
„Das Schlimmste war immer,
dass man ihre Gedankengänge
nicht verstand. Sie waren oft
sehr unlogisch. Daraus entstan-
den immer wieder kleine und
große Katastrophen“, erzählt
Richard, der sich gut daran erin-
nert, wie er einmal aus dem
Nichts heraus von der Mutter
aus dem Haus gesperrt wurde
und die ganze Nacht im Freien
verbringen musste.
„Er hatte Angst vor ihr“
„Meine Geschwister waren
damals schon alle weg. Mein
Vater arbeitete auswärts. Er
wurde, war gerade ein schnee-
reicher Winter mit tiefen Tem-
peraturen und er acht Jahre alt.
„Ich weiß gar nicht mehr, wie
hatte und war überglücklich,
dass sie mich nicht erfroren,
sondern lebend auffand.“
Starke Gemüts-
schwankung
Die „glückliche“ Phase der
Mutter hielt aber nicht lange an.
„Eine Stunde später schrie sie
wie wild durch die Gegend,
weil sie glaubte, dass jemand
aus dem Dorf ihr Hab und Gut
stehlen will. Aber es war ja nie-
mand da.“ Dann fand Richard
sie wieder im Bett. Stundenlang
tagsüber, oder auch tagelang
weinend. Um den kleinen Vieh-
bestand kümmerte er sich meist
selbst, „so wie es mir der Vater
gezeigt und gelernt hatte.“
In die Schule ging Richard
sehr wohl. „Auch wenn die
Mutter oft ganz aggressiv
wurde, wenn ich mich wieder
auf den Weg dorthin machte.
Sie war auf die Schule wahn-
sinnig eifersüchtig. Sie glaubte
oft, dass ich nicht mehr zu-
rückkehre. Ich musste ihr viele
Male fest versprechen, dass ich
sofort nach Schulende wieder
ein Lehrer bemühte sich sehr um
mich und versuchte mir in seiner
Freizeit halbwegs das Sprechen
beizubringen. Als ich einschulte,
konnte ich ja kaum reden. Es
wurde mit mir daheim einfach
fast nicht verbal kommuniziert.
Nur ein paar Befehle und ein
paar Sager kannte ich.“ Richard
wurde deshalb auch von seinen
Mitschülern
ausgegrenzt.
Freunde hatte er deshalb keine.
Und schon gar nicht wollte ihn
einer besuchen kommen. Viele
hatten Angst vor seiner Mutter.
Richard wurde auch oft von ihr
geschlagen. „In ihremWahn be-
hauptete sie, ich wolle ihr nur
Böses antun. Ich sei vom Teufel
geschickt. Wenn sie wieder kla-
rer im Kopf war, versuchte sie
alles gut zu machen, indem sie
mir Kekse gebacken oder eine
Hose genäht hat.“ Richard ist
überzeugt: „Wenn sie diese Er-
krankungen nicht gehabt hätte,
wäre sie sicher eine gute, warm-
herzige Mutter gewesen.“
„Vater beschützte mich“
Eine große Erleichterung
war, wenn der Vater daheim
Was Hänschen nicht
lernt, lernt Hans nim-
mermehr. Dieses alte
Sprichwort hat aber
nicht immer seine
Gültigkeit. Wie etwa bei
Richard (62), der seine
frühen Kinderjahre auf
einem entlegenen Berg-
bauernhof hierzulande
verbrachte, völlig ver-
nachlässigt, besonders
auch sprachlich. Heute
arbeitet er als erfolg-
reicher Sprechtrainer.
Nach seiner harten Kindheit schaffte es Richard mit Hilfe seiner Geschwister, sich ein schöneres
Leben aufzubauen.
Die große Vernachlässigung
Richards in seiner Kindheit
wirkte sich auch stark auf
seine sprachliche Entwicklung
aus. Erst als Erwachsener er-
lernte er das Sprechen in aus-
reichendem Maße – letztendlich
bis hin zur Perfektion.
Aus traurigemKind wurde ein