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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JÄNNER/FEBER 2017

30

Zu seinen Kunden zählen

auch Prominente, die man aus

Film und Fernsehen kennt.

„Darauf bin ich sehr stolz. Aber

es war harte Arbeit um dorthin

zu kommen. Als Vorbild diente

mir immer Demosthenes (384

bis 322 v. Chr.). Er hatte als

Kind einen Sprachfehler und

trainierte dann solange mit

einem Stein unter der Zunge,

bis er zum großen Redner

wurde“, schmunzelt Richard.

„Unbenannte“ Krankheit

Er war das jüngste Kind.

Seine Brüder und Schwestern

waren alle viel älter und schon

wusste mit der Erkrankung der

Mutter nicht umzugehen und er-

griff so oft es ging die Flucht.

Tage- und wochenlang. Er hatte

regelrecht Angst vor ihr. Zudem

war sie eine große, starke Frau,

und der Vater eher von kleiner

Gestalt so wie wir Kinder es

waren.“ Als Richard von der

Mutter vor die Tür gesetzt

ich diese Nacht überstanden

habe. Aber ich schrie lange vor

der Tür, die Mutter solle mich

wieder hereinlassen. Aber es

regte sich nichts. Ich war sehr

verzweifelt.“ Am nächsten Tag

hörte er die Stimme der Mutter.

Sie rief nach ihm und hatte Trä-

nen in den Augen. „Es tat ihr

furchtbar leid, was sie getan

heimgehe. Dann war sie halb-

wegs beruhigt.“

Schule als Anker

Die Schule war für Richard in

jeder Hinsicht ein Segen. „Die

Lehrer ahnten, was daheim los

ist. Sie versuchten auch mit mei-

nen Eltern zu sprechen. Aber das

nützte leider nichts. Besonders

bald aus dem Haus. Aber nicht

immer freiwillig. Die Mutter

vertrieb sie letztendlich durch

ihre psychiatrische Erkrankung.

„Sie hielten es daheim einfach

nicht mehr aus.“ Schizoaffektive

Störungen würde man die Pro-

bleme der Mutter heute bezeich-

nen. Damals, auf dem einsamen

Bergbauernhof, hatte man aber

keinen Namen dafür, wenn die

Mutter eine Depression, dann

wieder eine krankhafte Hoch-

stimmung in Verbindung mit

Schizophrenie an den Tag legte.

„Das Schlimmste war immer,

dass man ihre Gedankengänge

nicht verstand. Sie waren oft

sehr unlogisch. Daraus entstan-

den immer wieder kleine und

große Katastrophen“, erzählt

Richard, der sich gut daran erin-

nert, wie er einmal aus dem

Nichts heraus von der Mutter

aus dem Haus gesperrt wurde

und die ganze Nacht im Freien

verbringen musste.

„Er hatte Angst vor ihr“

„Meine Geschwister waren

damals schon alle weg. Mein

Vater arbeitete auswärts. Er

wurde, war gerade ein schnee-

reicher Winter mit tiefen Tem-

peraturen und er acht Jahre alt.

„Ich weiß gar nicht mehr, wie

hatte und war überglücklich,

dass sie mich nicht erfroren,

sondern lebend auffand.“

Starke Gemüts-

schwankung

Die „glückliche“ Phase der

Mutter hielt aber nicht lange an.

„Eine Stunde später schrie sie

wie wild durch die Gegend,

weil sie glaubte, dass jemand

aus dem Dorf ihr Hab und Gut

stehlen will. Aber es war ja nie-

mand da.“ Dann fand Richard

sie wieder im Bett. Stundenlang

tagsüber, oder auch tagelang

weinend. Um den kleinen Vieh-

bestand kümmerte er sich meist

selbst, „so wie es mir der Vater

gezeigt und gelernt hatte.“

In die Schule ging Richard

sehr wohl. „Auch wenn die

Mutter oft ganz aggressiv

wurde, wenn ich mich wieder

auf den Weg dorthin machte.

Sie war auf die Schule wahn-

sinnig eifersüchtig. Sie glaubte

oft, dass ich nicht mehr zu-

rückkehre. Ich musste ihr viele

Male fest versprechen, dass ich

sofort nach Schulende wieder

ein Lehrer bemühte sich sehr um

mich und versuchte mir in seiner

Freizeit halbwegs das Sprechen

beizubringen. Als ich einschulte,

konnte ich ja kaum reden. Es

wurde mit mir daheim einfach

fast nicht verbal kommuniziert.

Nur ein paar Befehle und ein

paar Sager kannte ich.“ Richard

wurde deshalb auch von seinen

Mitschülern

ausgegrenzt.

Freunde hatte er deshalb keine.

Und schon gar nicht wollte ihn

einer besuchen kommen. Viele

hatten Angst vor seiner Mutter.

Richard wurde auch oft von ihr

geschlagen. „In ihremWahn be-

hauptete sie, ich wolle ihr nur

Böses antun. Ich sei vom Teufel

geschickt. Wenn sie wieder kla-

rer im Kopf war, versuchte sie

alles gut zu machen, indem sie

mir Kekse gebacken oder eine

Hose genäht hat.“ Richard ist

überzeugt: „Wenn sie diese Er-

krankungen nicht gehabt hätte,

wäre sie sicher eine gute, warm-

herzige Mutter gewesen.“

„Vater beschützte mich“

Eine große Erleichterung

war, wenn der Vater daheim

Was Hänschen nicht

lernt, lernt Hans nim-

mermehr. Dieses alte

Sprichwort hat aber

nicht immer seine

Gültigkeit. Wie etwa bei

Richard (62), der seine

frühen Kinderjahre auf

einem entlegenen Berg-

bauernhof hierzulande

verbrachte, völlig ver-

nachlässigt, besonders

auch sprachlich. Heute

arbeitet er als erfolg-

reicher Sprechtrainer.

Nach seiner harten Kindheit schaffte es Richard mit Hilfe seiner Geschwister, sich ein schöneres

Leben aufzubauen.

Die große Vernachlässigung

Richards in seiner Kindheit

wirkte sich auch stark auf

seine sprachliche Entwicklung

aus. Erst als Erwachsener er-

lernte er das Sprechen in aus-

reichendem Maße – letztendlich

bis hin zur Perfektion.

Aus traurigemKind wurde ein