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OSTTIROLER

NUMMER 9-10/2016

2

HEIMATBLÄTTER

arbeiten mussten (nur einige wenige ar-

beiteten als Freigänger in Lienzer Betrie-

ben), kamen die Gefangenen in den ande-

ren Barackenlagern durch ihren Arbeits-

einsatz mit der einheimischen Bevölke-

rung in Kontakt.

Diesbezüglich gibt der Militärhistoriker

Hubert Speckner in seinem 2003 erschie-

nenen Buch „In der Gewalt des Feindes.

Kriegsgefangenenlager in der ‚Ostmark‘

1939 bis 1945“ folgenden Bericht über die

befürchtete Annäherung der Bevölkerung

an die Kriegsgefangenen:

1

„Stellte der – bereits frühzeitig geplante

– Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen

einerseits eine absolute Notwendigkeit für

die ‚Kriegswirtschaft‘ des ‚Dritten Rei-

ches‘ dar, so lagen gerade darin auch die

meisten ‚volkstumspolitischen Gefahren‘

durch die starke Annäherung der ‚deut-

schen Volksgenossen‘ an die kriegsgefan-

genen Angehörigen der Feindmächte. Der

gravierende Arbeitskräftemangel der deut-

schen ‚Kriegswirtschaft‘ zwang jedoch die

Parteiideologen zur Zurücknahme vieler

Verordnungen ‚zum Schutze der Volksge-

sundheit‘ aufgrund ihrer Behinderung des

umfassenden Arbeitseinsatzes von fremd-

ländischen Arbeitskräften – Zivilarbeitern

und Kriegsgefangenen.“

1. Die Baracken am Rindermarkt

Die Zeitzeugin

Elisabeth Aigner

geb.

Schumi (geb. 1924) wohnte von 1924 bis

1972 unmittelbar oberhalb der Baracken

im „Hoferhaus“ und weiß zu berichten:

2

„Auf dem östlich gelegenen Gelände be-

fand sich in den 1930er-Jahren der Lienzer

Vergnügungspark mit Caldaras Ringel-

spiel und einer Schießbude. Dieser über-

siedelte Ende der 30er-Jahre in den Drau-

park. An dessen erster Stelle wurden der

Michaeli- und der Viehmarkt mit den

erforderlichen Haltestangen errichtet. Im

Jahre 1941 übersiedelte der Michaeli-

markt in die Nähe des Bahnhofes. 1942

wurden auch die Haltestangen, auf denen

ich mit meinen Geschwistern viel herum-

geturnt hatte, entfernt. Im gleichen Jahr

wurden von der Deutschen Wehrmacht drei

‚Steinbaracken‘ (mit roten Ziegeln gemau-

ert) errichtet, zur Unterbringung ihrer Un-

teroffiziere und des Kaderpersonals. Im

April 1945 zogen dann Kosakenfamilien

ein und nach Verlegung der Kosaken in die

Peggetz die englische Besatzung bis Sep-

tember 1945. Nach Überstellung der Eng-

länder in die Steiermark fanden Vertrie-

bene und Flüchtlingsfamilien dort eine

Unterkunft. Mit der Errichtung der Wohn-

blöcke in der Maximilianstraße Mitte der

1950er-Jahre übersiedelten die meisten

Familien dorthin. Diese Baracken wurden

abgetragen mit Ausnahme der 3er-Bara-

cke, die vom Glasermeister Rainer ange-

kauft und deren vordere Hälfte zu einer

Werkstätte umgebaut wurde.“

Frau Elisabeth Aigner war nach Beendi-

gung ihrer Schul- und Lehrzeit von De-

zember 1942 bis Jänner 1945 als Schreib-

kraft angestellt beim WSTOÄ-Lienz

(Wehrmachtstandortältesten) unter Oberst-

leutnant Cesany im Erdgeschoss des

Nebengebäudes der Franz-Josef-Kaserne.

Sie war mit dem Innsbrucker Rauch-

fangkehrermeister Anton Aigner (1922-

1996) verheiratet, und dieser Ehe ent-

stammen die Kinder Ingrid und Anton. In

einem Brief an Mag. Roland Domanig

schreibt Frau Aigner:

„Unsere Jugend war

von jahrelangen Kriegsereignissen ge-

prägt. Eine glückliche Jugend war es

nicht! Mit Sehnsucht wünschten wir uns

den baldigen Friedensengel herbei. Wir

waren dankbar für jede warme Mahlzeit,

für alles Essbare und für ausreichende

Kleidung. Nicht mehr benötigte Kleidung

wurde zertrennt und umgearbeitet. Wir

waren für alles dankbar und zufrieden. Ist

das die gegenwärtige Jugend auch?“

Herta Bödenler

(geb. 1936):

3

„Ich wohnte in den 1950er-Jahren zeit-

weise in der sogenannten GZ-Baracke am

Grafenanger, übersiedelte dann mit mei-

nem Mann in die 6er-Baracke, wo wir mit

unserem ersten Kind nur einen Raum zur

Verfügung hatten. Für den Neubau des

Die beim Viehmarkt benötigten zahlreichen Haltestangen für die Rinder, 1941.

(Sammlung Elisabeth Aigner)

Foto: Privataufnahme

Lageplan der drei gemauerten Baracken

am Rindermarkt.

(Stadtgemeinde Lienz)

Der „Lienzer Vergnügungspark“ am Rindermarkt (Beda Weber-Gasse) im Jahr 1932 mit

Zeitzeugin Elisabeth Schumi als sechsjähriges Mädchen vor ihrem Wohnhaus.

(Sammlung Elisabeth Aigner)

Foto: Privataufnahme