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“Buchstabil“ = Mobbing seinerzeit
März 2019
E
in „Buchstabil“ war seinerzeit
eine Art Spottschrift. Sollte
etwas Unsauberes, Lächerliches oder
gar Ungesetzliches an die große Glocke
gehängt werden, oder etwas der dörfli-
chen Sitte Widerstrebendes angepran-
gert werden, wurde ein „Buchstabil“
verfasst.
Es handelte sich dabei meist um
Zwei- oder Vierzeiler, manchmal auch
um einen längeren Reim. Es wurde auf
ein Blatt Papier geschrieben und den
Geschmähten an die Hauswand, den
Stall oder den Gartenzaun genagelt. Es
konnte aber auch in mehrfacher Ausfüh-
rung an Zäunen angebracht sein, zum
Beispiel am Sonntagmorgen entlang des
Kirchweges. Das „Gedicht“ war meis-
tens in Blockbuchstaben gefertigt, denn
die Verfasser wollten sich nicht durch
ihre Handschrift verraten. In manchen
Orten waren die Ränkeschmiede aber
bekannt. Auch in Tristach wurden von
Zeit zu Zeit „Buchstabile“ angebracht.
Über den Ursprung des Begriffes
Pasquill (gekürzt aus Wikipedia): Der
Name Pasquill soll sich von einem
Schneider namens Pasquino herleiten,
der im 16. Jahrhundert in Rom lebte.
Er pflegte an eine Statue in seiner Nach-
barschaft scharfe satirische und schmä-
hende Epigramme anzuheften, was ihm
bald Dichter, Studenten und Professoren
gleichtaten ...
Im Brockhaus wird Pasquino als
Schuhflicker beschrieben. Ob Schneider
oder Schuster - ein Spötter war er auf
jeden Fall.
Wie aus dem Pasquill im Laufe
der Jahre ein „Buchstabil“, bzw. ein
„Buschgabill“ wurden, lassen sich mit
Phantasie schlüssige Erklärungen fin-
den. Für das „Buchstabil“ spricht, dass
aus Buchstaben Wörter und Reime ge-
macht werden und beim „Buschgabill“
könnte „etwas im Busch sein“ oder es
wird „auf den Busch geklopft“.
Im Defereggen sollte es sogar folgen-
den Ausspruch gegeben haben: „Pass
auf, sinst kimmsche ins ‚Buschabil‘.“
Ein paar Beispiele aus Osttirol: Als
ein Bauer beobachtet wurde, wie er
beim Brennholzholen auch noch ein
paar Äste aus Nachbars Wald mitgehen
ließ, hieß es:
DER BEI DER BRUGGN HAT KOAN
STOLZ - ER LÄSST SICH WÄRMEN
VOM FREMDEN HOLZ.
Das „Buchstabil“ war meist ver-
schlüsselt und nicht immer war sofort
zu erkennen, wer gemeint war. Im obi-
gen Beispiel war es einfach, denn bei
der „Bruggn“ war nur ein Haus. Manch-
mal gab es auch langes Rätseln, wer
gemeint war. Im Zuge dieser Raterei
verriet sich manchmal der Schreiber
selbst durch eine unvorsichtige Äuße-
rung. Die Verspotteten ließen die Zettel
bei Nacht und Nebel verschwinden. Es
konnte aber auch sein, dass sie an den
Zäunen vermoderten, wenn der Text nur
dubiose Vermutungen enthielt. Waren
die Betroffenen abgebrüht genug und
reagierten überhaupt nicht, waren die
Schreiber die Dummen.
Das „Buchstabil“ konnte auch nur
blanke Schadenfreude sein: Ein Gast
hatte beim Ball im Gemeindesaal zu
viel getrunken und zu viel getanzt und
anschließend seine Zahnprothese in den
Fallabort gekotzt. In diesem Fall wurde
der Täter beim Namen genannt:
IM GEMEINDEHAUS IM HEISL,
LIEGT DEM PEPE SEIN GEBEISSL.
Ein junger arbeitsscheuer Bauer,
hatte einen großen Hof geerbt. Als spät
im Oktober noch die Erdäpfel in sei-
nem Acker waren, hatte ein besonders
„Intelligenter“ in einem Halbsatz sogar
Goethe bemüht und an die Stalltür des
reichen Erben folgenden Text genagelt:
WAS DU ERERBT VON DEINEN
VÄTERN, ERWIRB ES, UM ES ZU
BESITZEN - DAS GEHT ABER
NICHT IM SITZEN.
Auch ganze Gruppen konnten den
Spöttern zum Opfer fallen: die Bauern,
die Knechte, die Mägde, die Sänger usw.
Im Villgratental fand in den 90er
Jahren des vorigen Jahrhunderts eine
alternative und wohl auch absichtlich
etwas provokante Kulturinitiative statt.
Konzerte, Lesungen, Installationen und
moderne Kunst aus alten bäuerlichen
Werkzeugen und Geräten erregten Auf-
sehen und Unverständnis. „Buschgabil-
le“ trugen neben anderen unguten Ak-
tionen zum Scheitern des interessanten
Projektes bei.
Das „Buchstabil“ konnte harmlose
Unterhaltung, bissiger Humor, ein Lä-
cherlichmachen oder eine arge Verun-
glimpfung sein, konnte aber auch zu
seelischen Verletzungen und schwerem
Unfrieden führen.
Zum Glück gibt es diesen „ Brauch“,
diese Unsitte bei uns nicht mehr. Ein
Beweis dafür, dass früher nicht alles
besser war.
„Buchstabil“ = Mobbing seinerzeit.
Herzlichen Dank
an Dipl. Ing. An-
ton Draxl für den Hinweis über die Her-
kunft des Wortes.
Burgl Kofler
Pasquill - „Buchstabil“ - „Buschgabill“
Foto (gemeinfrei): Peter Heeling
Pasquinus-Statue in Rom