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Dorfleben – Menschen

Virger

Zeitung

Tschechien. Ich habe einen älteren

Bruder. 1945 wurden wir von den

Russen aus der Heimat vertrieben,

meine Mutter musste sich allein

mit ihren beiden Kindern und

einem Rucksack auf den Weg ma-

chen. Mein Vater kam erst zwei

Jahre später wieder zu uns. Die

Familie wurde durch die Kriegswir-

ren völlig zerrissen, ein Teil ge-

langte nach Österreich, einige fan-

den sich hinter dem Eisernen Vor-

hang wieder und andere, so wie

wir, kamen nach Westdeutschland.

In den ersten Nachkriegsjahren

fand man mit Hilfe des Roten

Kreuzes heraus, wer von der Fami-

lie den Krieg überlebt hatte und

wo die einzelnen Familienmitglie-

der waren. Das waren Zeiten gro-

ßer Angst und Sorge.

Wir lebten bis 1953 in einem not-

dürftig errichteten Barackenlager

in der Nähe eines kleinen Eifel-

dorfes ca. eine Stunde Fahrzeit bis

zur belgisch-holländischen Grenze.

In dieser Gegend hatten während

des Krieges heftige Kämpfe stattge-

funden, sodass in den größten,

teils verbrannten Wäldern rund-

um in den ersten Jahren noch viele

Minen lagen. Wir Kinder sammel-

ten trotz aller Verbote Patronen,

Teile von Handgranaten und alles

Eisen, das man damals verkaufen

konnte. Mein Vater, der als Förster

ständig im Wald unterwegs war,

hatte einen langen Stock, mit dem

er jeden Schritt abtastete um nicht

auf eine Mine zu treten. Wir hat-

ten damals viel Angst. Es gab

wenig zu essen, aber es wuchsen

viele Beeren, Pilze, es gab für uns

Fallobst und wir sammelten Buch-

eckern, aus denen Öl gepresst

wurde. Die einheimische Bevölke-

rung war sehr misstrauisch und

stand uns Flüchtlingen ablehnend

gegenüber, und fast täglich wurde

ich auf dem Schulweg von den grö-

ßeren Buben geschlagen. Ich be-

gann die Schule zu schwänzen, bis

die Eltern und Lehrer drauf

kamen, dann wurde es etwas bes-

ser. All diese Erlebnisse prägten

meine Kindheit sehr, und das Ge-

fühl der Fremdheit ist mir in gewis-

ser Weise bis heute geblieben. Ich

mied oft die Menschen und ver-

brachte lieber meine Zeit im Wald

und mit unseren Tieren, denn wir

hatten als Försterfamilie später

eine kleine Landwirtschaft. So

wuchs meine Naturverbundenheit

und das Bedürfnis sie zu schützen.

Nach der Volksschule besuchte ich

das Gymnasium und nach der Ma-

tura studierte ich an verschiedenen

deutschen Universitäten Politische

Wissenschaften und Geschichte.

In dieser Zeit wurde mir jedoch

klar, dass ich im Grunde meines

Herzens nichts anderes wollte als

Ärztin zu werden. So begann ich

mein Medizinstudium in Freiburg

im Breisgau und schloss es in Inns-

bruck ab. Nach Innsbruck kam

ich, weil mich die Bergwelt ma-

gisch anzog und ich mich dort zu

Hause fühlte. Meine Eltern unter-

stützten mich während des Studi-

das ehepaar stocker-waldhuber mit kindern, schwiegerkindern und enkeln.