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ZEITZEUGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MAI/JUNI 2018

12

Verhaftung

Am 8. Dezember 1943

klopfte es an die Haustüre der

Melzers. „Die Gestapo stand

vor der Tür und verhörte mei-

nen Vater in seinem kleinen

Büro. Ich sah noch wie die

Mama mit einem Stapel Papier

in den ersten Stock hinauflief

und alles in das Klo spülte.

Später erfuhr ich, dass dies Na-

menslisten von Widerstands-

kämpfern waren.“ Bereits am 8.

und 9. Dezember 1943 wurden

sehr viele Akademiker ver-

haftet. Auch Vater Anton war

darunter. „Zuerst kam er ins

berüchtigte Gestapo-Gefängnis

in der Herrengasse. Er war

allerdings ein großer Diplomat

und äußerst schlagfertig. So

konnten sie ihm auch nichts

Wesentliches nachweisen. Er

blieb aber in Haft.“

Die Bomben fallen

Ab 1943 begannen zudem die

Luftangriffe auf das Alpenvor-

land. Ab 15. Dezember ging es

in Innsbruck los, und es kam zu

gesamt 22 schweren Bomben-

angriffen. „Am Tag bombar-

dierten immer die Amerikaner,

nachts die Engländer. Da er-

wischte es auch die Jesuitenkir-

che, in der sich meine Mutter

noch eine Viertelstunde zuvor

aufgehalten hatte.“ Durch die

15.000 Tonnen Bomben starben

in Innsbruck 500 Menschen

und zahlreiche Wohnhäuser

wurden zerstört. Das Haus der

Melzers in der Kravoglgasse

wurde zwar nie getroffen, aber

eines Tages krachte eine

Bombe auf die Wiese vor dem

Haus. „Durch den Luftdruck

zerbarsten alle Fensterscheiben.

Wir waren bei dem Bomben-

einschlag im Keller. Ganz in

der Nähe, in der Lutterotti-

straße, erwischte es eine ganze

Familie.“

Verbindung zu den

Amerikanern

„Man weiß bis heute nicht

genau, warum der nördliche

Stadtteil von Innsbruck (Sag-

gen) fast keine Bomben abbe-

kam.“ Aber es gibt Vermutun-

gen. „Dort befindet sich näm-

lich neben dem Germanikum in

Rom die zweitberühmteste

Priesterausbildungsstätte der

Welt. Auch viele amerikanische

Theologiestudenten waren dort,

später wurden sie teils auch Bi-

schofe. Man glaubt, dass sie

heimlich zu den Amerikanern

Kontakt aufgenommen haben,

damit der Stadtteil Saggen von

den Bombardierungen ver-

schont bleibt“, meint Melzer.

Er und seine Mutter überleb-

ten einen Bombenangriff als sie

gerade auf dem Hohen Weg,

einer Straße neben dem Inn,

unterwegs waren. „Wir schaff-

ten es beim Fliegeralarm nicht

mehr in den nahen Stollen. In

eine Nische neben der Straße

mussten wir uns sofort flach auf

den Bauch legen. Wir kamen

mit dem Leben davon, und ich

sah dann nur mehr die Rauch-

fahnen von den getroffenen

Häusern aufsteigen.“

Freude über kaputte

Schule

Als die Pradler Volksschule

zerstört wurde, machte der

junge Rudolf allerdings einen

Freudensprung. „Erstens wegen

dem Nazi-Lehrer Wallnöfer,

zweitens dachte ich, dass ich

nun nicht mehr in die Schule

gehen muss. Allerdings ging es

eine Woche später mit dem

Oberleitungsbus nach Mühlau

hinauf zur Schule.“ Unterhalb

der Kirche in Mühlau gab es

den Luftschutzkeller. „Vormit-

tags war Fliegeralarm. Dort ist

die ganze Schule hinein. Der

Geruch in dem Keller war

fürchterlich. Ich hielt mir des-

halb immer mein braunes Jau-

sensackl aus Papier vor die

Nase. Nachmittags gegen 16

Uhr kam ich heim.“

Gut kann er sich an die spe-

ziellen Feiertage der Nazis er-

innern. „Sie wurden immer

mordsmäßig gefeiert.“ Etwa

der „Marsch auf die Feldherrn-

halle“ oder der Muttertag.

„Letzterer natürlich, weil die

Kinder als Kanonenfutter not-

wendig waren.“

Unter Todesstrafe

Heimlich wurde Melzer auch

zum Religionsunterricht ge-

schickt, in die Pradler Wohnung

des Mediziners Dr. Flora, Vater

des bekannten Karikaturisten

Paul Flora. „Der Unterricht,

gehalten vom Jesuitenpater

Johann Steinmayr aus Gsies in

Südtirol, war ja streng ver-

boten. Wir Kinder sind einzeln

abends zur Haustür hinein und

einzeln auch wieder hinaus.“

Im Oktober 1943 wurde Stein-

mayr verhaftet und nach Berlin

überstellt. Dort verurteilte ihn

der Volksgerichtshof imAugust

1944 wegen „Wehrkraftzerset-

zung“ zum Tod durch Enthaup-

tung. Trotz verschiedener

Gnadengesuche wurde das

Urteil einen Monat später

im Zuchthaus Brandenburg-

Görden vollstreckt.

Hilfe von anderen

„Während der Vater in Unter-

suchungshaft war, half uns die

Familie Stepanek sehr mit Obst

und Gemüse. Pfarrer Alfons

Kröss von Pradl steckte der

Mutter heimlich Geld zu.

Auch seine jetzige Ehefrau

Erika (geb. 1939) lebte bei den

Bombardierungen in Innsbruck

und kann einiges erzählen. „Wir

wohnten damals in Wilten. Mein

Vater war Lokführer. Im Keller

hatten wir einen Luftschutzkel-

ler mit Stockbetten und Eisen-

Nach dem „Anschluss“: Propagandistischer Empfang des deutschen Reichskanzlers und „Führers“

Adolf Hitler (rechts dahinter NS-Gauleiter Franz Hofer), Bahnhof Innsbruck, 5. April 1938.

Fotograf: Richard Müller; Sammlung Gerhard Winkler – TAP.

HR Dr. Anton Melzer, der Vater von Rudolf Melzer, war ein lei-

denschaftlicher Widerstandskämpfer. Zuletzt wurde er Bürger-

meister von Innsbruck.